Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.Droht in Italien ein Kulturkampf? stecken. Aber bei näherm Nachdenken und wenn man mit dem italienischen Es würde nicht schwer fallen, noch vieles andre zur Begründung unsrer Grcnzbotcn III. 1L83. 3
Droht in Italien ein Kulturkampf? stecken. Aber bei näherm Nachdenken und wenn man mit dem italienischen Es würde nicht schwer fallen, noch vieles andre zur Begründung unsrer Grcnzbotcn III. 1L83. 3
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0065" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/289188"/> <fw type="header" place="top"> Droht in Italien ein Kulturkampf?</fw><lb/> <p xml:id="ID_247" prev="#ID_246"> stecken. Aber bei näherm Nachdenken und wenn man mit dem italienischen<lb/> Leben vertrauter geworden ist, muß man doch eingestehen, daß diese Kapitalien<lb/> keineswegs ganz tot sind. Denn die Kirchen dienen dem Bedürfnis des Süd¬<lb/> länders nicht weniger mit ihrer Pracht und ihren prunkvollen Zeremonien, als<lb/> mit ihrer kühlen Stille und ihrer überwältigenden Einsamkeit; und dieses Be¬<lb/> dürfnis wird auch nicht schwinden, wenn sich Aufklärung und Wohlstand mehr<lb/> und mehr verbreiten. Die Pracht der Kirche verletzt das Gefühl des Armen<lb/> durchaus nicht, im Gegenteil, ihn tröstet, erhebt, erquickt, versöhnt der Anblick<lb/> eines Reichtums, der ihm persönlich versagt ist, den aber die Kirche vor ihm<lb/> und für ihn entfaltet. Ein einfacher, schmuckloser Gottesdienst, Kirchen ohne<lb/> Marmor, Mosaikboden, Gemälde, kostbare Altäre, Priester ohne schimmernde<lb/> und spitzenbesetzte Gewänder würden dem Italiener unerträglich sein. Mag<lb/> eine Kirche Jahrhunderte lang einer würdigen Fassade entbehren (wie San<lb/> Lorenzo in Florenz und der Dom daselbst bis in dieses Jahrzehnt), dem Innern<lb/> darf an Schmuck und Pracht nichts abgehen.</p><lb/> <p xml:id="ID_248" next="#ID_249"> Es würde nicht schwer fallen, noch vieles andre zur Begründung unsrer<lb/> Ansicht über das Verhältnis zwischen Volk und Kirche anzuführen, wir glauben<lb/> aber, daß das Angeführte genügt, um den Leser zu überzeugen, daß Italien mit<lb/> einem andern Maßstabe gemessen werden muß als Deutschland. Ein Kultur¬<lb/> kampf wie in Deutschland ist in Italien undenkbar. Der Papst mag nach<lb/> Wiedererlangung der weltlichen Herrschaft trachten, der Staat mag in seinem<lb/> Bestreben fortfahren, die päpstliche Macht noch weiter zu beschränken, die Kirche<lb/> wird bleiben, was sie ist und wie sie ist, ein intcgrirender Teil des Volkslebens,<lb/> eine Offenbarung desselben, die nicht verschwinden wird, so lange die Italiener<lb/> Italiener bleiben. Wenn es Agitatoren hie und da gelingt, den Pöbel auf¬<lb/> zuhetzen und zu gewaltsamen Ausschreitungen gegen die Kirche aufzuregen, so<lb/> beweist dies nichts weiter, als daß am gegebenen Orte und zur gegebenen<lb/> Zeit Stoff zum Zwiste angesammelt war. Der Papst selbst mag sich trotz aller<lb/> Proteste gegen den Verlust der weltlichen Herrschaft doch wohl der Überzeugung<lb/> nicht verschließen, daß seine sittliche Macht kaum in wenigen Zeiten des Mittelalters<lb/> größer gewesen ist als in der Gegenwart, wo er in rein politischen Händeln<lb/> von mächtigen Staaten als Schiedsrichter angerufen wird, wo selbst prote¬<lb/> stantische Staaten wie Preußen und England seiner Hilfe bei innern Schwierig¬<lb/> keiten nicht entbehren können und diese mit Zugeständnissen an die katholische<lb/> Kirche erkaufen müssen. Es giebt einsichtige und urteilsfähige Italiener, welche<lb/> behaupten, Pius IX. sei im Geheimen mit Viktor Emanuel über die politische<lb/> Neugestaltung Italiens einverstanden gewesen. Sein Nachfolger kann jedenfalls<lb/> nicht verkennen, daß jetzt, nachdem der italienische Einheitsstaat in die Gemüter<lb/> eingewachsen ist, sich durch Finanzen, Heer und Marine gefestigt hat, ein ge¬<lb/> achtetes Glied des europäischen Areopags geworden ist, daß jetzt der Wieder¬<lb/> herstellung eines weltlichen Kirchenstaates in Italien Erschütterungen aller mo-</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> Grcnzbotcn III. 1L83. 3</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0065]
Droht in Italien ein Kulturkampf?
stecken. Aber bei näherm Nachdenken und wenn man mit dem italienischen
Leben vertrauter geworden ist, muß man doch eingestehen, daß diese Kapitalien
keineswegs ganz tot sind. Denn die Kirchen dienen dem Bedürfnis des Süd¬
länders nicht weniger mit ihrer Pracht und ihren prunkvollen Zeremonien, als
mit ihrer kühlen Stille und ihrer überwältigenden Einsamkeit; und dieses Be¬
dürfnis wird auch nicht schwinden, wenn sich Aufklärung und Wohlstand mehr
und mehr verbreiten. Die Pracht der Kirche verletzt das Gefühl des Armen
durchaus nicht, im Gegenteil, ihn tröstet, erhebt, erquickt, versöhnt der Anblick
eines Reichtums, der ihm persönlich versagt ist, den aber die Kirche vor ihm
und für ihn entfaltet. Ein einfacher, schmuckloser Gottesdienst, Kirchen ohne
Marmor, Mosaikboden, Gemälde, kostbare Altäre, Priester ohne schimmernde
und spitzenbesetzte Gewänder würden dem Italiener unerträglich sein. Mag
eine Kirche Jahrhunderte lang einer würdigen Fassade entbehren (wie San
Lorenzo in Florenz und der Dom daselbst bis in dieses Jahrzehnt), dem Innern
darf an Schmuck und Pracht nichts abgehen.
Es würde nicht schwer fallen, noch vieles andre zur Begründung unsrer
Ansicht über das Verhältnis zwischen Volk und Kirche anzuführen, wir glauben
aber, daß das Angeführte genügt, um den Leser zu überzeugen, daß Italien mit
einem andern Maßstabe gemessen werden muß als Deutschland. Ein Kultur¬
kampf wie in Deutschland ist in Italien undenkbar. Der Papst mag nach
Wiedererlangung der weltlichen Herrschaft trachten, der Staat mag in seinem
Bestreben fortfahren, die päpstliche Macht noch weiter zu beschränken, die Kirche
wird bleiben, was sie ist und wie sie ist, ein intcgrirender Teil des Volkslebens,
eine Offenbarung desselben, die nicht verschwinden wird, so lange die Italiener
Italiener bleiben. Wenn es Agitatoren hie und da gelingt, den Pöbel auf¬
zuhetzen und zu gewaltsamen Ausschreitungen gegen die Kirche aufzuregen, so
beweist dies nichts weiter, als daß am gegebenen Orte und zur gegebenen
Zeit Stoff zum Zwiste angesammelt war. Der Papst selbst mag sich trotz aller
Proteste gegen den Verlust der weltlichen Herrschaft doch wohl der Überzeugung
nicht verschließen, daß seine sittliche Macht kaum in wenigen Zeiten des Mittelalters
größer gewesen ist als in der Gegenwart, wo er in rein politischen Händeln
von mächtigen Staaten als Schiedsrichter angerufen wird, wo selbst prote¬
stantische Staaten wie Preußen und England seiner Hilfe bei innern Schwierig¬
keiten nicht entbehren können und diese mit Zugeständnissen an die katholische
Kirche erkaufen müssen. Es giebt einsichtige und urteilsfähige Italiener, welche
behaupten, Pius IX. sei im Geheimen mit Viktor Emanuel über die politische
Neugestaltung Italiens einverstanden gewesen. Sein Nachfolger kann jedenfalls
nicht verkennen, daß jetzt, nachdem der italienische Einheitsstaat in die Gemüter
eingewachsen ist, sich durch Finanzen, Heer und Marine gefestigt hat, ein ge¬
achtetes Glied des europäischen Areopags geworden ist, daß jetzt der Wieder¬
herstellung eines weltlichen Kirchenstaates in Italien Erschütterungen aller mo-
Grcnzbotcn III. 1L83. 3
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |