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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

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Frau Gottsched.

und Übersetzungen von Gottsched, Elias Schlegel, Gottfried Lange, von Strande,
Dotharding, Pitschel, Quistorp, Mich, Frh. von Glaubitz und von Benj.
Ephraim Krüger. Die größte Anzahl der gelieferten Stücke aber rührte von
Frau Gottsched her, drei Trauer- und neun Lustspiele, sieben Übersetzungen
und fünf eigne Dichtungen. Unter den Trauerspielen ist eine eigne Dichtung,
die Panthca, die ihren Stoff aus der Cyropädie des Xenophon schöpft, die beiden
andern sind die Übertragungen der "Alzire" von Voltaire und der "Cornelia"
von Mademoiselle Barbier. Unter den Lustspielen finden sich folgende Über¬
setzungen: Molieres Menschenfeind, die Widersprecherin von Dufresny, der
Verschwender und der poetische Dorfjunker von Destouches, das Gespenst mit
der Trommel, ebenfalls von Destouches, der aber seinerseits hier wieder ein
Lustspiel von Addison benutzt hatte. Gelegentlich der Aufführung des letzt¬
genannten Lustspiels in Hamburg erkennt Lessing in seiner Dramaturgie an,
daß Frau Gottsched einige feine Züge des englischen Originals, die in der
französischen Bearbeitung verloren gegangen waren, in ursprünglicher Frische
wiederhergestellt habe.

Wichtiger noch als diese Übersetzungen aus dem Französischen waren Frau
Gottscheds eigne Versuche auf dem Gebiete des deutschen Lustspiels. Man
darf wohl sagen, daß sie zu dem regelmäßigen deutschen Lustspiele in ähnlicher
Weise den Grund gelegt hat, wie ihr Gatte zu dem heroischen Trauerspiel.
Als Gottsched 1740 die erste Vorrede zu seiner "Deutschen Schaubühne" schrieb,
sah er sich zu der Erklärung veranlaßt, daß er wohl wegen regelmäßiger Trauer¬
spiele nicht in Verlegenheit sei, aber umso mehr wegen regelmäßiger Lustspiele.
"Wo hätte ich Komödien hergenommen, die regelmäßig gewesen wären, da man
uns dergleichen noch gar nicht hat drucken lassen?" Und zwei Jahre später
muß er sich immer noch mit der Hoffnung trösten, daß "wir mit der Zeit
eigene komische Poeten bekommen werden, die was Gescheites machen können;
denn was manche Komödianten selbst zusammenstümpeln, das ist nichts besser,
als die Geburten der italienischen Schaubühne."

Merkwürdigerweise nahm Gottsched eine sehr tüchtige Arbeit seiner Gattin,
die schon 1736, aber freilich ohne Namen erschienen war, nicht in seine Schau¬
bühne auf. Die Gründe dafür waren nicht litterarische; die Rücksicht auf den
Stoff des Lustspiels gebot diese Vorsicht, wie früher die Verschweigung des
Namens. "Die Pietisterei im Fischbeinrocke oder die doktormäßige Frau" war
mehr eine Nachdichtung als eine Übersetzung von des französischen Jesuiten
Bougeant Lustspiel Ils tsnuns ävetsur, in welchem die jansenistische Sekte
in Frankreich verspottet wurde. Frau Gottsched hatte das Stück ganz auf
deutsche Verhältnisse übertragen, Namen und Umstände dergestalt geändert,
daß die Nachahmung, wie ihr Gatte sagt, "ein auf deutschem Boden gewachsenes
Original zu sein schien." Statt Jesuiten und Jansenisten hatte sie Orthodoxe
und Pietisten einander gegenüber gestellt.


Frau Gottsched.

und Übersetzungen von Gottsched, Elias Schlegel, Gottfried Lange, von Strande,
Dotharding, Pitschel, Quistorp, Mich, Frh. von Glaubitz und von Benj.
Ephraim Krüger. Die größte Anzahl der gelieferten Stücke aber rührte von
Frau Gottsched her, drei Trauer- und neun Lustspiele, sieben Übersetzungen
und fünf eigne Dichtungen. Unter den Trauerspielen ist eine eigne Dichtung,
die Panthca, die ihren Stoff aus der Cyropädie des Xenophon schöpft, die beiden
andern sind die Übertragungen der „Alzire" von Voltaire und der „Cornelia"
von Mademoiselle Barbier. Unter den Lustspielen finden sich folgende Über¬
setzungen: Molieres Menschenfeind, die Widersprecherin von Dufresny, der
Verschwender und der poetische Dorfjunker von Destouches, das Gespenst mit
der Trommel, ebenfalls von Destouches, der aber seinerseits hier wieder ein
Lustspiel von Addison benutzt hatte. Gelegentlich der Aufführung des letzt¬
genannten Lustspiels in Hamburg erkennt Lessing in seiner Dramaturgie an,
daß Frau Gottsched einige feine Züge des englischen Originals, die in der
französischen Bearbeitung verloren gegangen waren, in ursprünglicher Frische
wiederhergestellt habe.

Wichtiger noch als diese Übersetzungen aus dem Französischen waren Frau
Gottscheds eigne Versuche auf dem Gebiete des deutschen Lustspiels. Man
darf wohl sagen, daß sie zu dem regelmäßigen deutschen Lustspiele in ähnlicher
Weise den Grund gelegt hat, wie ihr Gatte zu dem heroischen Trauerspiel.
Als Gottsched 1740 die erste Vorrede zu seiner „Deutschen Schaubühne" schrieb,
sah er sich zu der Erklärung veranlaßt, daß er wohl wegen regelmäßiger Trauer¬
spiele nicht in Verlegenheit sei, aber umso mehr wegen regelmäßiger Lustspiele.
„Wo hätte ich Komödien hergenommen, die regelmäßig gewesen wären, da man
uns dergleichen noch gar nicht hat drucken lassen?" Und zwei Jahre später
muß er sich immer noch mit der Hoffnung trösten, daß „wir mit der Zeit
eigene komische Poeten bekommen werden, die was Gescheites machen können;
denn was manche Komödianten selbst zusammenstümpeln, das ist nichts besser,
als die Geburten der italienischen Schaubühne."

Merkwürdigerweise nahm Gottsched eine sehr tüchtige Arbeit seiner Gattin,
die schon 1736, aber freilich ohne Namen erschienen war, nicht in seine Schau¬
bühne auf. Die Gründe dafür waren nicht litterarische; die Rücksicht auf den
Stoff des Lustspiels gebot diese Vorsicht, wie früher die Verschweigung des
Namens. „Die Pietisterei im Fischbeinrocke oder die doktormäßige Frau" war
mehr eine Nachdichtung als eine Übersetzung von des französischen Jesuiten
Bougeant Lustspiel Ils tsnuns ävetsur, in welchem die jansenistische Sekte
in Frankreich verspottet wurde. Frau Gottsched hatte das Stück ganz auf
deutsche Verhältnisse übertragen, Namen und Umstände dergestalt geändert,
daß die Nachahmung, wie ihr Gatte sagt, „ein auf deutschem Boden gewachsenes
Original zu sein schien." Statt Jesuiten und Jansenisten hatte sie Orthodoxe
und Pietisten einander gegenüber gestellt.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/614>, abgerufen am 23.07.2024.