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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

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Die Schulvereine.

Landschaften, Industrie, Landwirtschaft u. s. w. aus den Geldern der Volks¬
genossen unterstützt werden sollen und auch der nationale Geist belebt werden
soll. Diese tschechischen Schöpfungen sind fast überall als trotzige Antwort auf
vorangegangene deutsche Schutzvereine entstanden und bestehen daher für den
Böhmerwald, das nördliche Böhmen und andre Orte mehr. Zu erwähnen ist
auch der alte Verein Kg-tief kiau, für die Volksbildung berechnet, jedoch immer
mehr in eine einseitig nationale Richtung hineingedrängt.

Von den Polen läßt sich so viel Rührigkeit nicht berichten. In Deutsch¬
land dürfen sie nicht, wie sie gern möchten, und in Österreich brauchen sie,
wenigstens den Deutschen gegenüber, keine große Verteidigung. Die Polen
haben zu jeder Zeit eine exklusive Stellung eingenommen, spielen im öster¬
reichischen Parlamente das Zünglein an der Wage und im eignen Landtage
die unbeschränkten Herren. Eine nationale Schulbewegung, die gegen die Deutschen
gerichtet wäre, kann hier schon deswegen nicht leicht organisirt werden, weil
das gemeinsame Grenzgebiet nur äußerst klein ist und nicht einmal das kleine
Herzogtum Teschen vollständig umfaßt. Außerdem ist die polnische Kultur in
den Kreisen, die der Volksschule bedürftig sind, gegenüber der deutschen so
weit und so offenbar zurück, daß sie es nur mit Freuden begrüßen kann, wenn
irgendwo ein deutscher Schulmeister sich niederläßt. Solche vereinzelte Bildungs¬
inseln kommen über das ganze Kronland Galizien zerstreut vor und werden be¬
sonders von den unzähligen Juden dieses Landes aus praktischen Rücksichten
begünstigt. Wenn also ein polnischer Schulverein, etwa die OLviatg, luäova,
Schulen und sonstige Anstalten errichtet, so geht er hierbei wohl nicht als
Kämpfer gegen andre Stämme, sondern nur als friedlicher Kulturträger vor.
Kampf, und zwar der Kampf des Unterdrückers, wird höchstens gegen ein
Brudervolk geführt, gegen die russenfreundlichen Nuthenen.

An der östlichen Sprachgrenze heruntergehend, begegnen wir dem harm¬
losen Völkchen der Slowaken, deren Nationalgefühl allerdings auch einige Hei߬
köpfe hervorgebracht hat, bei den meisten Angehörigen dieses Stammes aber,
den weltbekannten Topfbindern und Kesselflickern, sich nur in süßen und schwer¬
mütigen Heimatsliedern äußert. Ferner den Magyaren, die leider keinen Schul¬
verein nötig haben, um alles Deutsche, was sich bei ihnen findet, unbarmherzig
zu magyarisiren. Gegen diesen Widersacher wird sich so lange nichts ausrichten
lassen, als die westliche Reichshälfte von der östlichen in allen möglichen Dingen
bevormundet wird. Die Magyaren haben die schon angedeutete Periode des
künftigen Völkerkampfes am frühesten vorausgesehen und ihre kleine Schar am
genauesten berechnet; sie fanden aber in dem Dualismus der Monarchie, durch
den sie, obwohl sie selbst im eignen Lande die Minderheit bilden, zu unbe¬
schränkter Herrschaft gelangten, das kräftigste Hilfsmittel zur Züchtung eines
ungarischen Patriotismus, und wehe dem Deutschen oder Rumänen aus Sieben¬
bürgen oder dem Banate, der diesen nicht auch magyarisch zu beteuern vermöchte!


Die Schulvereine.

Landschaften, Industrie, Landwirtschaft u. s. w. aus den Geldern der Volks¬
genossen unterstützt werden sollen und auch der nationale Geist belebt werden
soll. Diese tschechischen Schöpfungen sind fast überall als trotzige Antwort auf
vorangegangene deutsche Schutzvereine entstanden und bestehen daher für den
Böhmerwald, das nördliche Böhmen und andre Orte mehr. Zu erwähnen ist
auch der alte Verein Kg-tief kiau, für die Volksbildung berechnet, jedoch immer
mehr in eine einseitig nationale Richtung hineingedrängt.

Von den Polen läßt sich so viel Rührigkeit nicht berichten. In Deutsch¬
land dürfen sie nicht, wie sie gern möchten, und in Österreich brauchen sie,
wenigstens den Deutschen gegenüber, keine große Verteidigung. Die Polen
haben zu jeder Zeit eine exklusive Stellung eingenommen, spielen im öster¬
reichischen Parlamente das Zünglein an der Wage und im eignen Landtage
die unbeschränkten Herren. Eine nationale Schulbewegung, die gegen die Deutschen
gerichtet wäre, kann hier schon deswegen nicht leicht organisirt werden, weil
das gemeinsame Grenzgebiet nur äußerst klein ist und nicht einmal das kleine
Herzogtum Teschen vollständig umfaßt. Außerdem ist die polnische Kultur in
den Kreisen, die der Volksschule bedürftig sind, gegenüber der deutschen so
weit und so offenbar zurück, daß sie es nur mit Freuden begrüßen kann, wenn
irgendwo ein deutscher Schulmeister sich niederläßt. Solche vereinzelte Bildungs¬
inseln kommen über das ganze Kronland Galizien zerstreut vor und werden be¬
sonders von den unzähligen Juden dieses Landes aus praktischen Rücksichten
begünstigt. Wenn also ein polnischer Schulverein, etwa die OLviatg, luäova,
Schulen und sonstige Anstalten errichtet, so geht er hierbei wohl nicht als
Kämpfer gegen andre Stämme, sondern nur als friedlicher Kulturträger vor.
Kampf, und zwar der Kampf des Unterdrückers, wird höchstens gegen ein
Brudervolk geführt, gegen die russenfreundlichen Nuthenen.

An der östlichen Sprachgrenze heruntergehend, begegnen wir dem harm¬
losen Völkchen der Slowaken, deren Nationalgefühl allerdings auch einige Hei߬
köpfe hervorgebracht hat, bei den meisten Angehörigen dieses Stammes aber,
den weltbekannten Topfbindern und Kesselflickern, sich nur in süßen und schwer¬
mütigen Heimatsliedern äußert. Ferner den Magyaren, die leider keinen Schul¬
verein nötig haben, um alles Deutsche, was sich bei ihnen findet, unbarmherzig
zu magyarisiren. Gegen diesen Widersacher wird sich so lange nichts ausrichten
lassen, als die westliche Reichshälfte von der östlichen in allen möglichen Dingen
bevormundet wird. Die Magyaren haben die schon angedeutete Periode des
künftigen Völkerkampfes am frühesten vorausgesehen und ihre kleine Schar am
genauesten berechnet; sie fanden aber in dem Dualismus der Monarchie, durch
den sie, obwohl sie selbst im eignen Lande die Minderheit bilden, zu unbe¬
schränkter Herrschaft gelangten, das kräftigste Hilfsmittel zur Züchtung eines
ungarischen Patriotismus, und wehe dem Deutschen oder Rumänen aus Sieben¬
bürgen oder dem Banate, der diesen nicht auch magyarisch zu beteuern vermöchte!


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[0555] Die Schulvereine. Landschaften, Industrie, Landwirtschaft u. s. w. aus den Geldern der Volks¬ genossen unterstützt werden sollen und auch der nationale Geist belebt werden soll. Diese tschechischen Schöpfungen sind fast überall als trotzige Antwort auf vorangegangene deutsche Schutzvereine entstanden und bestehen daher für den Böhmerwald, das nördliche Böhmen und andre Orte mehr. Zu erwähnen ist auch der alte Verein Kg-tief kiau, für die Volksbildung berechnet, jedoch immer mehr in eine einseitig nationale Richtung hineingedrängt. Von den Polen läßt sich so viel Rührigkeit nicht berichten. In Deutsch¬ land dürfen sie nicht, wie sie gern möchten, und in Österreich brauchen sie, wenigstens den Deutschen gegenüber, keine große Verteidigung. Die Polen haben zu jeder Zeit eine exklusive Stellung eingenommen, spielen im öster¬ reichischen Parlamente das Zünglein an der Wage und im eignen Landtage die unbeschränkten Herren. Eine nationale Schulbewegung, die gegen die Deutschen gerichtet wäre, kann hier schon deswegen nicht leicht organisirt werden, weil das gemeinsame Grenzgebiet nur äußerst klein ist und nicht einmal das kleine Herzogtum Teschen vollständig umfaßt. Außerdem ist die polnische Kultur in den Kreisen, die der Volksschule bedürftig sind, gegenüber der deutschen so weit und so offenbar zurück, daß sie es nur mit Freuden begrüßen kann, wenn irgendwo ein deutscher Schulmeister sich niederläßt. Solche vereinzelte Bildungs¬ inseln kommen über das ganze Kronland Galizien zerstreut vor und werden be¬ sonders von den unzähligen Juden dieses Landes aus praktischen Rücksichten begünstigt. Wenn also ein polnischer Schulverein, etwa die OLviatg, luäova, Schulen und sonstige Anstalten errichtet, so geht er hierbei wohl nicht als Kämpfer gegen andre Stämme, sondern nur als friedlicher Kulturträger vor. Kampf, und zwar der Kampf des Unterdrückers, wird höchstens gegen ein Brudervolk geführt, gegen die russenfreundlichen Nuthenen. An der östlichen Sprachgrenze heruntergehend, begegnen wir dem harm¬ losen Völkchen der Slowaken, deren Nationalgefühl allerdings auch einige Hei߬ köpfe hervorgebracht hat, bei den meisten Angehörigen dieses Stammes aber, den weltbekannten Topfbindern und Kesselflickern, sich nur in süßen und schwer¬ mütigen Heimatsliedern äußert. Ferner den Magyaren, die leider keinen Schul¬ verein nötig haben, um alles Deutsche, was sich bei ihnen findet, unbarmherzig zu magyarisiren. Gegen diesen Widersacher wird sich so lange nichts ausrichten lassen, als die westliche Reichshälfte von der östlichen in allen möglichen Dingen bevormundet wird. Die Magyaren haben die schon angedeutete Periode des künftigen Völkerkampfes am frühesten vorausgesehen und ihre kleine Schar am genauesten berechnet; sie fanden aber in dem Dualismus der Monarchie, durch den sie, obwohl sie selbst im eignen Lande die Minderheit bilden, zu unbe¬ schränkter Herrschaft gelangten, das kräftigste Hilfsmittel zur Züchtung eines ungarischen Patriotismus, und wehe dem Deutschen oder Rumänen aus Sieben¬ bürgen oder dem Banate, der diesen nicht auch magyarisch zu beteuern vermöchte!

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/555>, abgerufen am 24.08.2024.