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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

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Ricks Lyhne,

gemeinsame Sache gegen Gerda gemacht zu haben. Sie hatten alle zitronen¬
gelbe Ningspielstöcke in den Händen, und die jüngste hatte sich drei bis vier
von den rotumwundenen Reifen wie eine Art Turban auf den Kopf gesetzt.
Sie war es auch, die jetzt sprach.

Er sieht wie Themistokles auf dem Ofen im Bürau aus, sagte sie mit
schwärmerischen, Antlitz und mit zum Himmel gewandten Augen zu ihren Mitver-
schwornen.

Ach wast erwiederte die Mittlere, eine mokante, kleine Dame, die im
Frühjahr konfirmirt worden war. Ob Themistokles auch wohl einen so runden
Rücken hatte? Und sie ahmte Ricks Lyhncs ein wenig vornüber gebeugte Haltung
"ach. Themistokles, das fehlte noch!

Es ist etwas so Männliches in seinem Blick, er ist ein ganzer Mann, zi-
tirte die Zwölfjährige.

Der? Das war wieder die Mittelste. Der gebraucht ja Parfüms, ist das
etwa männlich? Neulich lagen seine Handschuhe da und rochen in der Ent¬
fernung dermaßen nach Millefleur --

Alle Vollkommenheiten! rief die Zwölfjährige in schmachtenden Entzücken
dazwischen und schwankte ganz ergriffen einen Schritt rückwärts.

Alle diese Äußerungen richteten sie scheinbar an einander und nicht an
Gerda, die glühend rot etwas abseits stand und mit ihrem gelben Stocke in
die Erde bohrte. Plötzlich richtete sie sich auf. Ihr seid ungezogene Mädchen,
so über jemand zu sprechen, der viel zu gut ist, um euch überhaupt anzusehen!

Er ist doch auch nur ein Mensch wie wir andern, versetzte die älteste von
den dreien in mildem Tone, als wollte sie vermitteln.

Nein, das ist er ganz und gar nicht! erwiederte Gerda.

Er hat aber doch auch seine Fehler, fuhren die Schwestern fort, indem sie
sich den Schein gaben, als hätten sie gar nicht gehört, was Gerda gesagt hatte.

Nein!

Aber, liebste Gerda, du weißt doch, daß er niemals in die Kirche geht!

Was sollte er auch da? Er ist viel, viel klüger als der Prediger!

Ja, aber er glaubt doch, leider, nicht an Gott, Gerda!

Ach du kannst überzeugt sein, mein Kind, daß er, wenn er das nicht thut,
auch seine guten Gründe dafür hat.

Pfui, Gerda, wie kannst du das nur sagen!

Man sollte fast glauben -- unterbrach sie die Ebenkonsirmirte.

Was sollte man fast glauben? fragte Gerda erregt.

Nichts, nichts, beiß mich nur nicht! antwortete die Schwester und that auf
einmal ungeheuer friedlich.

Willst du mir gleich im Augenblick sagen, was es war?

Nein, nein, nein; ich kann doch wohl meinen Mund halten, wenn ich will.

Sie ging von dannen in Begleitung der Zwölfjährigen, die in schwestcr-


Grenzboten III. 1888. 66
Ricks Lyhne,

gemeinsame Sache gegen Gerda gemacht zu haben. Sie hatten alle zitronen¬
gelbe Ningspielstöcke in den Händen, und die jüngste hatte sich drei bis vier
von den rotumwundenen Reifen wie eine Art Turban auf den Kopf gesetzt.
Sie war es auch, die jetzt sprach.

Er sieht wie Themistokles auf dem Ofen im Bürau aus, sagte sie mit
schwärmerischen, Antlitz und mit zum Himmel gewandten Augen zu ihren Mitver-
schwornen.

Ach wast erwiederte die Mittlere, eine mokante, kleine Dame, die im
Frühjahr konfirmirt worden war. Ob Themistokles auch wohl einen so runden
Rücken hatte? Und sie ahmte Ricks Lyhncs ein wenig vornüber gebeugte Haltung
»ach. Themistokles, das fehlte noch!

Es ist etwas so Männliches in seinem Blick, er ist ein ganzer Mann, zi-
tirte die Zwölfjährige.

Der? Das war wieder die Mittelste. Der gebraucht ja Parfüms, ist das
etwa männlich? Neulich lagen seine Handschuhe da und rochen in der Ent¬
fernung dermaßen nach Millefleur —

Alle Vollkommenheiten! rief die Zwölfjährige in schmachtenden Entzücken
dazwischen und schwankte ganz ergriffen einen Schritt rückwärts.

Alle diese Äußerungen richteten sie scheinbar an einander und nicht an
Gerda, die glühend rot etwas abseits stand und mit ihrem gelben Stocke in
die Erde bohrte. Plötzlich richtete sie sich auf. Ihr seid ungezogene Mädchen,
so über jemand zu sprechen, der viel zu gut ist, um euch überhaupt anzusehen!

Er ist doch auch nur ein Mensch wie wir andern, versetzte die älteste von
den dreien in mildem Tone, als wollte sie vermitteln.

Nein, das ist er ganz und gar nicht! erwiederte Gerda.

Er hat aber doch auch seine Fehler, fuhren die Schwestern fort, indem sie
sich den Schein gaben, als hätten sie gar nicht gehört, was Gerda gesagt hatte.

Nein!

Aber, liebste Gerda, du weißt doch, daß er niemals in die Kirche geht!

Was sollte er auch da? Er ist viel, viel klüger als der Prediger!

Ja, aber er glaubt doch, leider, nicht an Gott, Gerda!

Ach du kannst überzeugt sein, mein Kind, daß er, wenn er das nicht thut,
auch seine guten Gründe dafür hat.

Pfui, Gerda, wie kannst du das nur sagen!

Man sollte fast glauben — unterbrach sie die Ebenkonsirmirte.

Was sollte man fast glauben? fragte Gerda erregt.

Nichts, nichts, beiß mich nur nicht! antwortete die Schwester und that auf
einmal ungeheuer friedlich.

Willst du mir gleich im Augenblick sagen, was es war?

Nein, nein, nein; ich kann doch wohl meinen Mund halten, wenn ich will.

Sie ging von dannen in Begleitung der Zwölfjährigen, die in schwestcr-


Grenzboten III. 1888. 66
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[0529] Ricks Lyhne, gemeinsame Sache gegen Gerda gemacht zu haben. Sie hatten alle zitronen¬ gelbe Ningspielstöcke in den Händen, und die jüngste hatte sich drei bis vier von den rotumwundenen Reifen wie eine Art Turban auf den Kopf gesetzt. Sie war es auch, die jetzt sprach. Er sieht wie Themistokles auf dem Ofen im Bürau aus, sagte sie mit schwärmerischen, Antlitz und mit zum Himmel gewandten Augen zu ihren Mitver- schwornen. Ach wast erwiederte die Mittlere, eine mokante, kleine Dame, die im Frühjahr konfirmirt worden war. Ob Themistokles auch wohl einen so runden Rücken hatte? Und sie ahmte Ricks Lyhncs ein wenig vornüber gebeugte Haltung »ach. Themistokles, das fehlte noch! Es ist etwas so Männliches in seinem Blick, er ist ein ganzer Mann, zi- tirte die Zwölfjährige. Der? Das war wieder die Mittelste. Der gebraucht ja Parfüms, ist das etwa männlich? Neulich lagen seine Handschuhe da und rochen in der Ent¬ fernung dermaßen nach Millefleur — Alle Vollkommenheiten! rief die Zwölfjährige in schmachtenden Entzücken dazwischen und schwankte ganz ergriffen einen Schritt rückwärts. Alle diese Äußerungen richteten sie scheinbar an einander und nicht an Gerda, die glühend rot etwas abseits stand und mit ihrem gelben Stocke in die Erde bohrte. Plötzlich richtete sie sich auf. Ihr seid ungezogene Mädchen, so über jemand zu sprechen, der viel zu gut ist, um euch überhaupt anzusehen! Er ist doch auch nur ein Mensch wie wir andern, versetzte die älteste von den dreien in mildem Tone, als wollte sie vermitteln. Nein, das ist er ganz und gar nicht! erwiederte Gerda. Er hat aber doch auch seine Fehler, fuhren die Schwestern fort, indem sie sich den Schein gaben, als hätten sie gar nicht gehört, was Gerda gesagt hatte. Nein! Aber, liebste Gerda, du weißt doch, daß er niemals in die Kirche geht! Was sollte er auch da? Er ist viel, viel klüger als der Prediger! Ja, aber er glaubt doch, leider, nicht an Gott, Gerda! Ach du kannst überzeugt sein, mein Kind, daß er, wenn er das nicht thut, auch seine guten Gründe dafür hat. Pfui, Gerda, wie kannst du das nur sagen! Man sollte fast glauben — unterbrach sie die Ebenkonsirmirte. Was sollte man fast glauben? fragte Gerda erregt. Nichts, nichts, beiß mich nur nicht! antwortete die Schwester und that auf einmal ungeheuer friedlich. Willst du mir gleich im Augenblick sagen, was es war? Nein, nein, nein; ich kann doch wohl meinen Mund halten, wenn ich will. Sie ging von dannen in Begleitung der Zwölfjährigen, die in schwestcr- Grenzboten III. 1888. 66

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/529>, abgerufen am 22.07.2024.