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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

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Theodor Althaus.

Welche durch die Jahre 1840--50 bezeichnet wird, während die Tiefe seines
Wesens in Ideen wurzelte, die an keine Grenze der Zeit gebunden sind." Ob¬
wohl es die Pietät eines überlebenden Bruders, des Verfassers der Biographie,
ist, welche diese Worte diktirt. so wird doch niemand, der sich von dem klar,
maßvoll und vornehm geschriebenen Buche anziehen läßt und aus den Schilde,
rnngen, die Friedrich Althaus entwirft, aus den Briefen und Briefbruchstücken,
die er mitteilt, einen lebendigen Eindruck von dem Wesen des früh verstorbenen
Theodor Althaus empfängt, der Grundcharaktcristik widersprechen. Eine der
interessantesten und, setzen wir hinzu, eine der edelsten, gewinnendsten Cha¬
raktergestalten der vormärzlichen Zeit und der revolutionären Gährung der
letzten vierziger Jahre, eine Natur, der es wohl zu gönnen gewesen wäre, daß
sie ungebrochen durch Schicksale, unverbittert und unverkümmert durch ein Exil
in England oder Amerika, die großen Ereignisse von 1866 und 1870 erlebt
hätte. Es zienit sich nicht, in die Seele und die Bildung eines längst ge¬
schiedenen eigne Überzeugungen und die Anschauungen unsrer Tage hineinzutragen.
Aber dies gilt nach beiden Seiten, und so wenig der national gesinnte Konser¬
vative von heute einen unmittelbaren Anspruch auf Theodor Althaus erheben
kann, so wenig hat der "Fortschritt" von heute ein unmittelbares Anrecht ans
ihn. Wenn wir uns Abstammung, Entwicklungsgang, ethische Lebenshaltung,
innerstes Wollen dieses eigentümlichen Schriftstellers, die verheißungsvolle, tragisch
schöne Laufbahn des als Dreißigjähriger in ein frühes Grab gesunkenen ver¬
gegenwärtigen, so überkommt uns dennoch die Zuversicht, daß dieser ernste Geist
heute die Hauptsehnsucht seines Lebens nach der Einheit Deutschlands erfüllt
sehen und an der ernsten Arbeit für den Ausbau des Geschaffenen willigen
und treue" Anteil nehmen würde. Doch das alles dürfen wir dahingestellt
sein lassen. In Theodor Althaus, wie er war, haben wir einen der Ausnahme-
menschen vor uns, die in allen Perioden selten, durch den Ernst, die Tiefe,
die Reinheit und den Schwung ihres Wesens auch ihren politischen oder litte¬
rarischen Gegnern Achtung, ja Bewunderung abnötigen. Frei von aller Eitel¬
keit, Selbstsucht, Frivolität, frei von dem einseitigen Fanatismus der achtund-
vierziger Demokratie, frei von der Lust am Zerstören und von jener wilden
Verachtung der Bildung, durch die sich ein großer Teil seiner Partei hervor¬
zuthun vermeinte, war Theodor Nlthaus eine durchaus ideale, eine lautere Natur,
die durch die Verkettung der Verhältnisse in die revolutionären Bewegungen von
1849 hineingezogen ward. Als Herausgeber der "Zeitung für Norddeutschland"
zu Hannover erließ er im Mai 1849 einen Aufruf zur bewaffneten Erhebung
für die von der Frankfurter Nationalversammlung beschlossene, von einem großen
Teile der deutschen Regierungen schon anerkannte Reichsverfassung. Er genügte
damit einem innern Drange seines Wesens, die Dinge zum Abschluß zu bringen.
Auch wäre der "Abschluß" -- ein Jahr und ein Tag Staatsgefängnis für
diesen Akt des Hochverrats -- noch eine verhältnismäßig leichte Buße ge-


Theodor Althaus.

Welche durch die Jahre 1840—50 bezeichnet wird, während die Tiefe seines
Wesens in Ideen wurzelte, die an keine Grenze der Zeit gebunden sind." Ob¬
wohl es die Pietät eines überlebenden Bruders, des Verfassers der Biographie,
ist, welche diese Worte diktirt. so wird doch niemand, der sich von dem klar,
maßvoll und vornehm geschriebenen Buche anziehen läßt und aus den Schilde,
rnngen, die Friedrich Althaus entwirft, aus den Briefen und Briefbruchstücken,
die er mitteilt, einen lebendigen Eindruck von dem Wesen des früh verstorbenen
Theodor Althaus empfängt, der Grundcharaktcristik widersprechen. Eine der
interessantesten und, setzen wir hinzu, eine der edelsten, gewinnendsten Cha¬
raktergestalten der vormärzlichen Zeit und der revolutionären Gährung der
letzten vierziger Jahre, eine Natur, der es wohl zu gönnen gewesen wäre, daß
sie ungebrochen durch Schicksale, unverbittert und unverkümmert durch ein Exil
in England oder Amerika, die großen Ereignisse von 1866 und 1870 erlebt
hätte. Es zienit sich nicht, in die Seele und die Bildung eines längst ge¬
schiedenen eigne Überzeugungen und die Anschauungen unsrer Tage hineinzutragen.
Aber dies gilt nach beiden Seiten, und so wenig der national gesinnte Konser¬
vative von heute einen unmittelbaren Anspruch auf Theodor Althaus erheben
kann, so wenig hat der „Fortschritt" von heute ein unmittelbares Anrecht ans
ihn. Wenn wir uns Abstammung, Entwicklungsgang, ethische Lebenshaltung,
innerstes Wollen dieses eigentümlichen Schriftstellers, die verheißungsvolle, tragisch
schöne Laufbahn des als Dreißigjähriger in ein frühes Grab gesunkenen ver¬
gegenwärtigen, so überkommt uns dennoch die Zuversicht, daß dieser ernste Geist
heute die Hauptsehnsucht seines Lebens nach der Einheit Deutschlands erfüllt
sehen und an der ernsten Arbeit für den Ausbau des Geschaffenen willigen
und treue» Anteil nehmen würde. Doch das alles dürfen wir dahingestellt
sein lassen. In Theodor Althaus, wie er war, haben wir einen der Ausnahme-
menschen vor uns, die in allen Perioden selten, durch den Ernst, die Tiefe,
die Reinheit und den Schwung ihres Wesens auch ihren politischen oder litte¬
rarischen Gegnern Achtung, ja Bewunderung abnötigen. Frei von aller Eitel¬
keit, Selbstsucht, Frivolität, frei von dem einseitigen Fanatismus der achtund-
vierziger Demokratie, frei von der Lust am Zerstören und von jener wilden
Verachtung der Bildung, durch die sich ein großer Teil seiner Partei hervor¬
zuthun vermeinte, war Theodor Nlthaus eine durchaus ideale, eine lautere Natur,
die durch die Verkettung der Verhältnisse in die revolutionären Bewegungen von
1849 hineingezogen ward. Als Herausgeber der „Zeitung für Norddeutschland"
zu Hannover erließ er im Mai 1849 einen Aufruf zur bewaffneten Erhebung
für die von der Frankfurter Nationalversammlung beschlossene, von einem großen
Teile der deutschen Regierungen schon anerkannte Reichsverfassung. Er genügte
damit einem innern Drange seines Wesens, die Dinge zum Abschluß zu bringen.
Auch wäre der „Abschluß" — ein Jahr und ein Tag Staatsgefängnis für
diesen Akt des Hochverrats — noch eine verhältnismäßig leichte Buße ge-


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[0517] Theodor Althaus. Welche durch die Jahre 1840—50 bezeichnet wird, während die Tiefe seines Wesens in Ideen wurzelte, die an keine Grenze der Zeit gebunden sind." Ob¬ wohl es die Pietät eines überlebenden Bruders, des Verfassers der Biographie, ist, welche diese Worte diktirt. so wird doch niemand, der sich von dem klar, maßvoll und vornehm geschriebenen Buche anziehen läßt und aus den Schilde, rnngen, die Friedrich Althaus entwirft, aus den Briefen und Briefbruchstücken, die er mitteilt, einen lebendigen Eindruck von dem Wesen des früh verstorbenen Theodor Althaus empfängt, der Grundcharaktcristik widersprechen. Eine der interessantesten und, setzen wir hinzu, eine der edelsten, gewinnendsten Cha¬ raktergestalten der vormärzlichen Zeit und der revolutionären Gährung der letzten vierziger Jahre, eine Natur, der es wohl zu gönnen gewesen wäre, daß sie ungebrochen durch Schicksale, unverbittert und unverkümmert durch ein Exil in England oder Amerika, die großen Ereignisse von 1866 und 1870 erlebt hätte. Es zienit sich nicht, in die Seele und die Bildung eines längst ge¬ schiedenen eigne Überzeugungen und die Anschauungen unsrer Tage hineinzutragen. Aber dies gilt nach beiden Seiten, und so wenig der national gesinnte Konser¬ vative von heute einen unmittelbaren Anspruch auf Theodor Althaus erheben kann, so wenig hat der „Fortschritt" von heute ein unmittelbares Anrecht ans ihn. Wenn wir uns Abstammung, Entwicklungsgang, ethische Lebenshaltung, innerstes Wollen dieses eigentümlichen Schriftstellers, die verheißungsvolle, tragisch schöne Laufbahn des als Dreißigjähriger in ein frühes Grab gesunkenen ver¬ gegenwärtigen, so überkommt uns dennoch die Zuversicht, daß dieser ernste Geist heute die Hauptsehnsucht seines Lebens nach der Einheit Deutschlands erfüllt sehen und an der ernsten Arbeit für den Ausbau des Geschaffenen willigen und treue» Anteil nehmen würde. Doch das alles dürfen wir dahingestellt sein lassen. In Theodor Althaus, wie er war, haben wir einen der Ausnahme- menschen vor uns, die in allen Perioden selten, durch den Ernst, die Tiefe, die Reinheit und den Schwung ihres Wesens auch ihren politischen oder litte¬ rarischen Gegnern Achtung, ja Bewunderung abnötigen. Frei von aller Eitel¬ keit, Selbstsucht, Frivolität, frei von dem einseitigen Fanatismus der achtund- vierziger Demokratie, frei von der Lust am Zerstören und von jener wilden Verachtung der Bildung, durch die sich ein großer Teil seiner Partei hervor¬ zuthun vermeinte, war Theodor Nlthaus eine durchaus ideale, eine lautere Natur, die durch die Verkettung der Verhältnisse in die revolutionären Bewegungen von 1849 hineingezogen ward. Als Herausgeber der „Zeitung für Norddeutschland" zu Hannover erließ er im Mai 1849 einen Aufruf zur bewaffneten Erhebung für die von der Frankfurter Nationalversammlung beschlossene, von einem großen Teile der deutschen Regierungen schon anerkannte Reichsverfassung. Er genügte damit einem innern Drange seines Wesens, die Dinge zum Abschluß zu bringen. Auch wäre der „Abschluß" — ein Jahr und ein Tag Staatsgefängnis für diesen Akt des Hochverrats — noch eine verhältnismäßig leichte Buße ge-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/517>, abgerufen am 24.08.2024.