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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

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Die Entfernungen in der Geschichte.

zahlen gemessen, immer umfassender, immer großartiger wird. Erscheint die
Erschließung neuer Länderräume zur Bewohnung und neuer Meeresstrecken
zum Verkehr als stofflich greifbarster der Gewinne, welche Menschen als Lohn
ihrer Kulturarbeit zufallen konnten, so wird das allmähliche Fortschreiten dieses
Prozesses durch die Verbindung mit der Entwicklung des Wissens von der
Erde und vom Himmel zu einem der wichtigsten Abschnitte der Geistesgeschichte
der Menschheit. Mit der Erde gestaltete sich der Himmel um. Der Ausfassung,
die eine Scheibe im weiten Ozean schwimmen sieht, über welche sich der eherne
Hohlraum des Firmaments wölbt, tritt die einer Erdkugel, welche konzentrisch
von der Kugelschale des Himmels umgeben wird, berichtigend gegenüber. Je
mehr man von der Erde wußte, d. h. je mehr man Entfernungen auf der Erde
beherrschte, desto weniger blieb die Scheibenform möglich, je weitere Wege man
aber auf der Kugel zurücklegte, desto sicherer mußte auch die Orientirung am
Himmel werden, denn in den Gestirnen lesend findet der Wanderer seine Wege
auf der Erde. Es giebt einen körperlichen und einen geistigen Besitz an diesem
Planeten, und beide sind nicht von einander zu trennen. Ein neues Land bringt
demjenigen Reichtümer, welcher zuerst den Weg nach ihm erschließt, indem er
Schranken durchbricht, vor welchen seine Zeitgenossen träge, unwissend oder
ängstlich stehen geblieben waren. So ist jedes Volk des Mittelmeer-Gestades und
des ferneren Europas jeweils reicher als alle andern gewesen, welches Indien, die
Quelle des ergiebigsten Handels, auf nächstem Wege zu erreichen, seine Schätze
am sichersten den Warmhäusern seiner Heimat zuzuführen wußte. Doch hat
es in jedem Falle allen andern Völkern Wege gewiesen, Küsten und Inseln
entdeckt, Karten und Berichte hinterlassen, die vorher nicht vorhanden gewesen
waren. Indem es sich bereicherte, vermehrte es den geistigen Besitz der Mit¬
bewohner der Erde. Im glücklichsten Falle lehrte es so folgenreiche Dinge,
wie die Regelmäßigkeit der Monsunwinde oder das hartnäckige Deuten der
Magnetnadel.

Es gehört zu dem auszeichnenden Besitz, der ein Volk vor andern
groß macht, dieses Wissen von näheren oder sichreren Wegen, oder auch die
Beherrschung derselben. Der Wege zwischen zwei Punkten auf der Erde sind
es selbstverständlich, denn wir leben auf einer Kugel, immer mehrere, von denen
aber in der Regel nur einer der kürzeste oder sicherste, bequemste und daher
wichtigste, gesuchteste, in Krieg und Frieden heiß umworbene ist. Man kann
nach Indien um das Kap der guten Hoffnung und durch den Suezkanal fahren;
aber man braucht von Trieft nach Bombay dreiundzwanzig, von Plymouth nach
der Kapstadt vierundzwanzig Tage. Es versteht sich daher von selbst, daß der
Suezkanal ein Objekt von der größten Wichtigkeit für die Mächte ist, welche Inter¬
essen in Indien und im ferneren Asien haben, weshalb Großbritannien zuerst die
Herstellung dieses Kanals mit französischem Kapital und Geist als unmöglich
bezeichnete, dann zu hemmen, endlich, als er vollendet war, seiner sich zu be-


Die Entfernungen in der Geschichte.

zahlen gemessen, immer umfassender, immer großartiger wird. Erscheint die
Erschließung neuer Länderräume zur Bewohnung und neuer Meeresstrecken
zum Verkehr als stofflich greifbarster der Gewinne, welche Menschen als Lohn
ihrer Kulturarbeit zufallen konnten, so wird das allmähliche Fortschreiten dieses
Prozesses durch die Verbindung mit der Entwicklung des Wissens von der
Erde und vom Himmel zu einem der wichtigsten Abschnitte der Geistesgeschichte
der Menschheit. Mit der Erde gestaltete sich der Himmel um. Der Ausfassung,
die eine Scheibe im weiten Ozean schwimmen sieht, über welche sich der eherne
Hohlraum des Firmaments wölbt, tritt die einer Erdkugel, welche konzentrisch
von der Kugelschale des Himmels umgeben wird, berichtigend gegenüber. Je
mehr man von der Erde wußte, d. h. je mehr man Entfernungen auf der Erde
beherrschte, desto weniger blieb die Scheibenform möglich, je weitere Wege man
aber auf der Kugel zurücklegte, desto sicherer mußte auch die Orientirung am
Himmel werden, denn in den Gestirnen lesend findet der Wanderer seine Wege
auf der Erde. Es giebt einen körperlichen und einen geistigen Besitz an diesem
Planeten, und beide sind nicht von einander zu trennen. Ein neues Land bringt
demjenigen Reichtümer, welcher zuerst den Weg nach ihm erschließt, indem er
Schranken durchbricht, vor welchen seine Zeitgenossen träge, unwissend oder
ängstlich stehen geblieben waren. So ist jedes Volk des Mittelmeer-Gestades und
des ferneren Europas jeweils reicher als alle andern gewesen, welches Indien, die
Quelle des ergiebigsten Handels, auf nächstem Wege zu erreichen, seine Schätze
am sichersten den Warmhäusern seiner Heimat zuzuführen wußte. Doch hat
es in jedem Falle allen andern Völkern Wege gewiesen, Küsten und Inseln
entdeckt, Karten und Berichte hinterlassen, die vorher nicht vorhanden gewesen
waren. Indem es sich bereicherte, vermehrte es den geistigen Besitz der Mit¬
bewohner der Erde. Im glücklichsten Falle lehrte es so folgenreiche Dinge,
wie die Regelmäßigkeit der Monsunwinde oder das hartnäckige Deuten der
Magnetnadel.

Es gehört zu dem auszeichnenden Besitz, der ein Volk vor andern
groß macht, dieses Wissen von näheren oder sichreren Wegen, oder auch die
Beherrschung derselben. Der Wege zwischen zwei Punkten auf der Erde sind
es selbstverständlich, denn wir leben auf einer Kugel, immer mehrere, von denen
aber in der Regel nur einer der kürzeste oder sicherste, bequemste und daher
wichtigste, gesuchteste, in Krieg und Frieden heiß umworbene ist. Man kann
nach Indien um das Kap der guten Hoffnung und durch den Suezkanal fahren;
aber man braucht von Trieft nach Bombay dreiundzwanzig, von Plymouth nach
der Kapstadt vierundzwanzig Tage. Es versteht sich daher von selbst, daß der
Suezkanal ein Objekt von der größten Wichtigkeit für die Mächte ist, welche Inter¬
essen in Indien und im ferneren Asien haben, weshalb Großbritannien zuerst die
Herstellung dieses Kanals mit französischem Kapital und Geist als unmöglich
bezeichnete, dann zu hemmen, endlich, als er vollendet war, seiner sich zu be-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/503>, abgerufen am 24.08.2024.