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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

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Zur politischen Lage.

Testament, predigt gegen Kirche und Pfarrer, quält die kindlich ergebene sauri,
und schließlich will er sie Gott in gleicher Weise opfern, wie Abraham den
Jsacck opfern wollte. Der rettende Schutzengel ist natürlich Karli. Eine phan¬
tastische Geschichte, die aufregend, romantisch, ergötzend wirken soll und den
Roman von der edlern Höhe des Charakterspieles herabzieht. Man darf indes
hoffen, daß Ganghofer bei seiner großen Gestaltungskraft nach und nach auf
solche romantische Zugaben verzichten und als Dorfgeschichtenschreiber jene Bahn
verfolgen wird, die Anzengruber mit seinem "Sternsteinhof" eröffnete und die
Ganghofer selbst im "Unftied" teilweise wenigstens mit Glück betreten hat: die
Bahn der großen Kunst, welche alles menschliche Schicksal nur als das Er¬
zeugnis des eignen Willens und Charakters erkennt.


Moritz Necker.


Zur politischen Lage.

s giebt zwei Dinge auf dem Gebiete der deutschen Politik, die
wir mit aller Bestimmtheit als der Unmöglichkeiten unmöglichste,
als vanitatum vkmitÄtsin bezeichnen dürfen, und die gleichwohl
von dem dabei beteiligten Auslande immer wieder im Lichte des
Möglichen gesehen und darnach behandelt werden: die freiwillige
Rückgabe Elsaß-Lothringens an Frankreich und die Wiedervereinigung Nord¬
schleswigs mit Dünemark auf Grund einer von uns gestatteten Abstimmung
der dortigen Bevölkerung. Mit dem letztern Verlangen haben wir es hier
zunächst zu thun, da es vor kurzem wieder einmal gestellt und, allerdings ohne
unmittelbare Nennung der Sache, aber sehr verständlich und entschieden abge¬
wiesen worden ist, gestellt zwar nicht vom offiziellen Dänemark, aber von einem
andern guten Freunde des deutschen Reiches, dem offiziösen Nußland, und ab¬
gewiesen mit der kräftigsten Redewendung von keinem geringeren als vom
deutschen Kaiser selbst.

Wenige Tage nach der Begegnung des letztern mit dem Zaren, an die sich,
soweit es auf den guten Willen der beiden Herrscher ankommt, mit Recht allerlei
Hoffnungen knüpften, begannen sich unsre Feinde in der moskowitischen Presse
von neuem zu regen und, wenn auch nicht mit der frühern bittern Bosheit,
doch deutlich genug ihre tiefwurzelnde Abneigung vor uns und das, was sie
infolge derselben wünschen und nicht wünschen, kundzugeben. Es bekümmerte
uns das wenig; denn es waren ja nur Privatstimmen, die sich in dieser Weise
vernehmen ließen, obgleich es bedenklich scheinen kann, daß man ihnen auch nur


Zur politischen Lage.

Testament, predigt gegen Kirche und Pfarrer, quält die kindlich ergebene sauri,
und schließlich will er sie Gott in gleicher Weise opfern, wie Abraham den
Jsacck opfern wollte. Der rettende Schutzengel ist natürlich Karli. Eine phan¬
tastische Geschichte, die aufregend, romantisch, ergötzend wirken soll und den
Roman von der edlern Höhe des Charakterspieles herabzieht. Man darf indes
hoffen, daß Ganghofer bei seiner großen Gestaltungskraft nach und nach auf
solche romantische Zugaben verzichten und als Dorfgeschichtenschreiber jene Bahn
verfolgen wird, die Anzengruber mit seinem „Sternsteinhof" eröffnete und die
Ganghofer selbst im „Unftied" teilweise wenigstens mit Glück betreten hat: die
Bahn der großen Kunst, welche alles menschliche Schicksal nur als das Er¬
zeugnis des eignen Willens und Charakters erkennt.


Moritz Necker.


Zur politischen Lage.

s giebt zwei Dinge auf dem Gebiete der deutschen Politik, die
wir mit aller Bestimmtheit als der Unmöglichkeiten unmöglichste,
als vanitatum vkmitÄtsin bezeichnen dürfen, und die gleichwohl
von dem dabei beteiligten Auslande immer wieder im Lichte des
Möglichen gesehen und darnach behandelt werden: die freiwillige
Rückgabe Elsaß-Lothringens an Frankreich und die Wiedervereinigung Nord¬
schleswigs mit Dünemark auf Grund einer von uns gestatteten Abstimmung
der dortigen Bevölkerung. Mit dem letztern Verlangen haben wir es hier
zunächst zu thun, da es vor kurzem wieder einmal gestellt und, allerdings ohne
unmittelbare Nennung der Sache, aber sehr verständlich und entschieden abge¬
wiesen worden ist, gestellt zwar nicht vom offiziellen Dänemark, aber von einem
andern guten Freunde des deutschen Reiches, dem offiziösen Nußland, und ab¬
gewiesen mit der kräftigsten Redewendung von keinem geringeren als vom
deutschen Kaiser selbst.

Wenige Tage nach der Begegnung des letztern mit dem Zaren, an die sich,
soweit es auf den guten Willen der beiden Herrscher ankommt, mit Recht allerlei
Hoffnungen knüpften, begannen sich unsre Feinde in der moskowitischen Presse
von neuem zu regen und, wenn auch nicht mit der frühern bittern Bosheit,
doch deutlich genug ihre tiefwurzelnde Abneigung vor uns und das, was sie
infolge derselben wünschen und nicht wünschen, kundzugeben. Es bekümmerte
uns das wenig; denn es waren ja nur Privatstimmen, die sich in dieser Weise
vernehmen ließen, obgleich es bedenklich scheinen kann, daß man ihnen auch nur


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[0475] Zur politischen Lage. Testament, predigt gegen Kirche und Pfarrer, quält die kindlich ergebene sauri, und schließlich will er sie Gott in gleicher Weise opfern, wie Abraham den Jsacck opfern wollte. Der rettende Schutzengel ist natürlich Karli. Eine phan¬ tastische Geschichte, die aufregend, romantisch, ergötzend wirken soll und den Roman von der edlern Höhe des Charakterspieles herabzieht. Man darf indes hoffen, daß Ganghofer bei seiner großen Gestaltungskraft nach und nach auf solche romantische Zugaben verzichten und als Dorfgeschichtenschreiber jene Bahn verfolgen wird, die Anzengruber mit seinem „Sternsteinhof" eröffnete und die Ganghofer selbst im „Unftied" teilweise wenigstens mit Glück betreten hat: die Bahn der großen Kunst, welche alles menschliche Schicksal nur als das Er¬ zeugnis des eignen Willens und Charakters erkennt. Moritz Necker. Zur politischen Lage. s giebt zwei Dinge auf dem Gebiete der deutschen Politik, die wir mit aller Bestimmtheit als der Unmöglichkeiten unmöglichste, als vanitatum vkmitÄtsin bezeichnen dürfen, und die gleichwohl von dem dabei beteiligten Auslande immer wieder im Lichte des Möglichen gesehen und darnach behandelt werden: die freiwillige Rückgabe Elsaß-Lothringens an Frankreich und die Wiedervereinigung Nord¬ schleswigs mit Dünemark auf Grund einer von uns gestatteten Abstimmung der dortigen Bevölkerung. Mit dem letztern Verlangen haben wir es hier zunächst zu thun, da es vor kurzem wieder einmal gestellt und, allerdings ohne unmittelbare Nennung der Sache, aber sehr verständlich und entschieden abge¬ wiesen worden ist, gestellt zwar nicht vom offiziellen Dänemark, aber von einem andern guten Freunde des deutschen Reiches, dem offiziösen Nußland, und ab¬ gewiesen mit der kräftigsten Redewendung von keinem geringeren als vom deutschen Kaiser selbst. Wenige Tage nach der Begegnung des letztern mit dem Zaren, an die sich, soweit es auf den guten Willen der beiden Herrscher ankommt, mit Recht allerlei Hoffnungen knüpften, begannen sich unsre Feinde in der moskowitischen Presse von neuem zu regen und, wenn auch nicht mit der frühern bittern Bosheit, doch deutlich genug ihre tiefwurzelnde Abneigung vor uns und das, was sie infolge derselben wünschen und nicht wünschen, kundzugeben. Es bekümmerte uns das wenig; denn es waren ja nur Privatstimmen, die sich in dieser Weise vernehmen ließen, obgleich es bedenklich scheinen kann, daß man ihnen auch nur

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/475>, abgerufen am 22.07.2024.