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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

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Ricks Lyhne.

troffen würde, wenn er eines Tages heimkehrte und erführe, daß sein Freund
und seine Frau mit einander auf und davon seien, und ganz allmählich erhielt
es ein ganz unnatürliches, tragisches Unmöglichkeitsgepräge in seinen Augen,
und er entwöhnte sich, daran zu denken, wie er es mit so vielem andern that,
was er anders gewünscht hätte. Er gab sich mit ganzer Seele den Verhält¬
nissen hin, so wie sie einmal waren, ohne einen wissentlichen Versuch, sie um-
zudichten oder sie mit phantastischen Festons und Guirlanden auszuschmücken
und die Mängel fortzulügen. Aber wie süß war es, zu lieben, einmal die
wirkliche Liebe des Lebens zu lieben! Denn was er bis jetzt für Liebe gehalten
hatte, war ja keine Liebe gewesen, weder das schwer wogende Sehnen des Verein¬
samten, noch das brennende Entbehren des Phantasten oder die ahnungsvolle
Nervosität des Kindes; das waren Ströme in dem großen Ozean der Liebe,
einzelne Reflexe ihres vollen Lichtes, Splitter der Liebe, gleichwie die Meteore,
welche die Luft durchsausen, Splitter eines Weltenkörpers sind, denn dies war
die Liebe: eine Welt, die ganz war, etwas Vollendetes, Großes, Geordnetes.
Es war keine verwilderte, zwecklose Jagd von Gefühlen und Stimmungen,
die Liebe war wie eine Natur, ewig wechselnd, ewig erzeugend, und es erstarb
keine Stimmung, es welkte kein Gefühl, ohne einem Keim, der die Anlagen zu
etwas Vollkommenerem enthielt, neues Leben zu geben. Ruhig, gesund, mit tiefen
Atemzügen, so war es herrlich zu lieben. Und die Tage sielen jetzt neu und
glänzend vom Himmel selber herab, sie kamen nicht schleppend, selbstverständ¬
lich hintereinander wie die abgegriffenem Bilder in einem Guckkasten, jeder von
ihnen war eine Offenbarung, denn an einem jeden fand er sich größer und stärker
und gehobener. Noch nie hatte er eine solche Innigkeit, eine solche Macht des
Gefühls gekannt, und es gab Augenblicke, in denen er sich selber titanenhaft
däuchte, in weit höherem Maße, als er sich Mensch fühlte, eine solche Uner¬
schöpflichkeit empfand er in seinem Innern, eine so flügelbreite Zärtlichkeit
entströmte seinem Herzen, so weit war sein Blick, so großartig mild sein Urteil.

Das war der Anfang des Glückes, und sie waren lange glücklich mit einander.

Die tägliche Falschheit und Verstellung, die Luft von Unehre, in der sie
lebten, alles das hatte noch keine Macht, es konnte sie nicht erreichen in der
ekstatischen Höhe, in die Ricks ihr Verhältnis und sie selber erhoben hatte;
denn er war nicht schlechthin ein Mann, der die Frau seines Freundes ver¬
führte, oder richtiger, er war es, er sagte voller Trotz, daß er es sei, aber er
war auch gleichzeitig der Befreier einer schuldlosen Frau, die das Leben ver¬
wundet, gesteinigt, besudelt, einer Frau, die schon ihre Seele der Vernichtung
übergeben hatte. Ihr hatte er das Vertrauen auf das Leben wieder geschenkt,
hatte in ihr den Glauben an die bessern Mächte desselben wiedererweckt, ihren
Geist zu Adel und Hoheit erhoben, ihr das Glück gebracht. Was war nun
das Beste, jenes schuldlose Elend, oder das, was er für sie erkämpft hatte?
Er fragte nicht mehr darnach, seine Wahl war getroffen.


Ricks Lyhne.

troffen würde, wenn er eines Tages heimkehrte und erführe, daß sein Freund
und seine Frau mit einander auf und davon seien, und ganz allmählich erhielt
es ein ganz unnatürliches, tragisches Unmöglichkeitsgepräge in seinen Augen,
und er entwöhnte sich, daran zu denken, wie er es mit so vielem andern that,
was er anders gewünscht hätte. Er gab sich mit ganzer Seele den Verhält¬
nissen hin, so wie sie einmal waren, ohne einen wissentlichen Versuch, sie um-
zudichten oder sie mit phantastischen Festons und Guirlanden auszuschmücken
und die Mängel fortzulügen. Aber wie süß war es, zu lieben, einmal die
wirkliche Liebe des Lebens zu lieben! Denn was er bis jetzt für Liebe gehalten
hatte, war ja keine Liebe gewesen, weder das schwer wogende Sehnen des Verein¬
samten, noch das brennende Entbehren des Phantasten oder die ahnungsvolle
Nervosität des Kindes; das waren Ströme in dem großen Ozean der Liebe,
einzelne Reflexe ihres vollen Lichtes, Splitter der Liebe, gleichwie die Meteore,
welche die Luft durchsausen, Splitter eines Weltenkörpers sind, denn dies war
die Liebe: eine Welt, die ganz war, etwas Vollendetes, Großes, Geordnetes.
Es war keine verwilderte, zwecklose Jagd von Gefühlen und Stimmungen,
die Liebe war wie eine Natur, ewig wechselnd, ewig erzeugend, und es erstarb
keine Stimmung, es welkte kein Gefühl, ohne einem Keim, der die Anlagen zu
etwas Vollkommenerem enthielt, neues Leben zu geben. Ruhig, gesund, mit tiefen
Atemzügen, so war es herrlich zu lieben. Und die Tage sielen jetzt neu und
glänzend vom Himmel selber herab, sie kamen nicht schleppend, selbstverständ¬
lich hintereinander wie die abgegriffenem Bilder in einem Guckkasten, jeder von
ihnen war eine Offenbarung, denn an einem jeden fand er sich größer und stärker
und gehobener. Noch nie hatte er eine solche Innigkeit, eine solche Macht des
Gefühls gekannt, und es gab Augenblicke, in denen er sich selber titanenhaft
däuchte, in weit höherem Maße, als er sich Mensch fühlte, eine solche Uner¬
schöpflichkeit empfand er in seinem Innern, eine so flügelbreite Zärtlichkeit
entströmte seinem Herzen, so weit war sein Blick, so großartig mild sein Urteil.

Das war der Anfang des Glückes, und sie waren lange glücklich mit einander.

Die tägliche Falschheit und Verstellung, die Luft von Unehre, in der sie
lebten, alles das hatte noch keine Macht, es konnte sie nicht erreichen in der
ekstatischen Höhe, in die Ricks ihr Verhältnis und sie selber erhoben hatte;
denn er war nicht schlechthin ein Mann, der die Frau seines Freundes ver¬
führte, oder richtiger, er war es, er sagte voller Trotz, daß er es sei, aber er
war auch gleichzeitig der Befreier einer schuldlosen Frau, die das Leben ver¬
wundet, gesteinigt, besudelt, einer Frau, die schon ihre Seele der Vernichtung
übergeben hatte. Ihr hatte er das Vertrauen auf das Leben wieder geschenkt,
hatte in ihr den Glauben an die bessern Mächte desselben wiedererweckt, ihren
Geist zu Adel und Hoheit erhoben, ihr das Glück gebracht. Was war nun
das Beste, jenes schuldlose Elend, oder das, was er für sie erkämpft hatte?
Er fragte nicht mehr darnach, seine Wahl war getroffen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/387>, abgerufen am 22.07.2024.