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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

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Ricks Lyhne.

gangenheit, Gegenwart und Zukunft für Ricks Lyhne zu verwandeln durch das
Bewußtsein, daß er die Frau liebte, die an seiner Seite stand. Nicht wie etwas
Lichtes, Liebliches, Glückliches und Schönes, das ihn zu Seligkeit und zu Ent¬
zücken himmelhoch heben konnte, so war seine Liebe nicht. Aber es war ihm
ebenso unmöglich, ohne sie zu sein, wie es ihm unmöglich gewesen wäre, zu
leben, ohne Atem zu schöpfen; so liebte er sie, und er griff, wie ein Ertrinkender
um sich greift, nach ihr und preßte ihre Hand an sein Herz.

Und sie verstand ihn. Fast mit einem Schrei und in einem Tone voller
Schreck und Jammer rief sie ihm zu, wie eine Autwort und ein Bekenntnis
zugleich: Ach ja, Ricks! und entzog ihm in demselben Augenblicke ihre Hand.

Dann stand sie einen Augenblick bleich, fliehend da, sank dann mit dem
einen Knie auf einen Polsterstuhl, verbarg ihr Antlitz in der Samtlehne und
schluchzte laut.

Ricks war in den ersten Sekunden wie geblendet, und seine Hände suchten
zwischen den Zwiebelgläsern nach einem Stützpunkt.

Es waren nur wenige Sekunden, dann trat er an den Stuhl, auf dem
sie lag, und beugte sich über sie, ohne sie zu berühren, die eine Hand auf die
Lehne des Stuhles stützend.

Sei nicht so verzweifelt, Fennimore, sieh auf und laß uns mit einander
reden. Willst du, willst du nicht? Du mußt dich nicht fürchten, laß es uns
gemeinsam tragen, mein süßes Lieb, hörst du? Versuche, ob es dir nicht
möglich ist.

Sie hob den Kopf ein wenig, sodaß sie ihn ansah. Ach Gott! Ricks,
was sollen wir nur einmal anfangen! Ist es nicht entsetzlich, Ricks! Warum
muß es mir hier in der Welt auch so gehen? Wie schön hätte alles sein
können, so glücklich! Und sie schluchzte von neuem.

Hätte ich schweigen sollen, klagte er, arme Fennimore, wünschest du, daß
du es niemals erfahren hättest?

Sie blickte abermals auf und ergriff seine Hand. Ich wollte, ich wüßte
es und wäre dann tot, o, daß ich in meinem Grabe läge und es wüßte, das
würde so gut sein, o, so gut und schön!

Es ist bitter für uns, Fennimore, daß das erste, was uns unsre Liebe
bringt, Angst und Thränen sind. Meinst du nicht auch?

Du mußt nicht hart gegen mich sein, Ricks, ich kann ja nicht anders. Du
kannst es nicht so sehen, wie ich, ich müßte stark sein, denn ich bin gebunden.
O, daß ich meine Liebe nehmen und sie in die tiefste Tiefe meines Herzens
verschließen könnte, daß ich taub wäre für all ihren Jammer, all ihr Flehen,
daß ich es über mich gewinnen könnte, dich zu bitten, weit, weit fortzureisen,
aber das kann ich nicht, ich habe so viel gelitten, ich kann das nicht auch noch
leiden, ich kann es nicht, Ricks. Ich kann nicht ohne dich leben -- kann ich
das wohl? Glaubst du, daß ich es könnte?


Grenzboten NI. 1883. 48
Ricks Lyhne.

gangenheit, Gegenwart und Zukunft für Ricks Lyhne zu verwandeln durch das
Bewußtsein, daß er die Frau liebte, die an seiner Seite stand. Nicht wie etwas
Lichtes, Liebliches, Glückliches und Schönes, das ihn zu Seligkeit und zu Ent¬
zücken himmelhoch heben konnte, so war seine Liebe nicht. Aber es war ihm
ebenso unmöglich, ohne sie zu sein, wie es ihm unmöglich gewesen wäre, zu
leben, ohne Atem zu schöpfen; so liebte er sie, und er griff, wie ein Ertrinkender
um sich greift, nach ihr und preßte ihre Hand an sein Herz.

Und sie verstand ihn. Fast mit einem Schrei und in einem Tone voller
Schreck und Jammer rief sie ihm zu, wie eine Autwort und ein Bekenntnis
zugleich: Ach ja, Ricks! und entzog ihm in demselben Augenblicke ihre Hand.

Dann stand sie einen Augenblick bleich, fliehend da, sank dann mit dem
einen Knie auf einen Polsterstuhl, verbarg ihr Antlitz in der Samtlehne und
schluchzte laut.

Ricks war in den ersten Sekunden wie geblendet, und seine Hände suchten
zwischen den Zwiebelgläsern nach einem Stützpunkt.

Es waren nur wenige Sekunden, dann trat er an den Stuhl, auf dem
sie lag, und beugte sich über sie, ohne sie zu berühren, die eine Hand auf die
Lehne des Stuhles stützend.

Sei nicht so verzweifelt, Fennimore, sieh auf und laß uns mit einander
reden. Willst du, willst du nicht? Du mußt dich nicht fürchten, laß es uns
gemeinsam tragen, mein süßes Lieb, hörst du? Versuche, ob es dir nicht
möglich ist.

Sie hob den Kopf ein wenig, sodaß sie ihn ansah. Ach Gott! Ricks,
was sollen wir nur einmal anfangen! Ist es nicht entsetzlich, Ricks! Warum
muß es mir hier in der Welt auch so gehen? Wie schön hätte alles sein
können, so glücklich! Und sie schluchzte von neuem.

Hätte ich schweigen sollen, klagte er, arme Fennimore, wünschest du, daß
du es niemals erfahren hättest?

Sie blickte abermals auf und ergriff seine Hand. Ich wollte, ich wüßte
es und wäre dann tot, o, daß ich in meinem Grabe läge und es wüßte, das
würde so gut sein, o, so gut und schön!

Es ist bitter für uns, Fennimore, daß das erste, was uns unsre Liebe
bringt, Angst und Thränen sind. Meinst du nicht auch?

Du mußt nicht hart gegen mich sein, Ricks, ich kann ja nicht anders. Du
kannst es nicht so sehen, wie ich, ich müßte stark sein, denn ich bin gebunden.
O, daß ich meine Liebe nehmen und sie in die tiefste Tiefe meines Herzens
verschließen könnte, daß ich taub wäre für all ihren Jammer, all ihr Flehen,
daß ich es über mich gewinnen könnte, dich zu bitten, weit, weit fortzureisen,
aber das kann ich nicht, ich habe so viel gelitten, ich kann das nicht auch noch
leiden, ich kann es nicht, Ricks. Ich kann nicht ohne dich leben — kann ich
das wohl? Glaubst du, daß ich es könnte?


Grenzboten NI. 1883. 48
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[0385] Ricks Lyhne. gangenheit, Gegenwart und Zukunft für Ricks Lyhne zu verwandeln durch das Bewußtsein, daß er die Frau liebte, die an seiner Seite stand. Nicht wie etwas Lichtes, Liebliches, Glückliches und Schönes, das ihn zu Seligkeit und zu Ent¬ zücken himmelhoch heben konnte, so war seine Liebe nicht. Aber es war ihm ebenso unmöglich, ohne sie zu sein, wie es ihm unmöglich gewesen wäre, zu leben, ohne Atem zu schöpfen; so liebte er sie, und er griff, wie ein Ertrinkender um sich greift, nach ihr und preßte ihre Hand an sein Herz. Und sie verstand ihn. Fast mit einem Schrei und in einem Tone voller Schreck und Jammer rief sie ihm zu, wie eine Autwort und ein Bekenntnis zugleich: Ach ja, Ricks! und entzog ihm in demselben Augenblicke ihre Hand. Dann stand sie einen Augenblick bleich, fliehend da, sank dann mit dem einen Knie auf einen Polsterstuhl, verbarg ihr Antlitz in der Samtlehne und schluchzte laut. Ricks war in den ersten Sekunden wie geblendet, und seine Hände suchten zwischen den Zwiebelgläsern nach einem Stützpunkt. Es waren nur wenige Sekunden, dann trat er an den Stuhl, auf dem sie lag, und beugte sich über sie, ohne sie zu berühren, die eine Hand auf die Lehne des Stuhles stützend. Sei nicht so verzweifelt, Fennimore, sieh auf und laß uns mit einander reden. Willst du, willst du nicht? Du mußt dich nicht fürchten, laß es uns gemeinsam tragen, mein süßes Lieb, hörst du? Versuche, ob es dir nicht möglich ist. Sie hob den Kopf ein wenig, sodaß sie ihn ansah. Ach Gott! Ricks, was sollen wir nur einmal anfangen! Ist es nicht entsetzlich, Ricks! Warum muß es mir hier in der Welt auch so gehen? Wie schön hätte alles sein können, so glücklich! Und sie schluchzte von neuem. Hätte ich schweigen sollen, klagte er, arme Fennimore, wünschest du, daß du es niemals erfahren hättest? Sie blickte abermals auf und ergriff seine Hand. Ich wollte, ich wüßte es und wäre dann tot, o, daß ich in meinem Grabe läge und es wüßte, das würde so gut sein, o, so gut und schön! Es ist bitter für uns, Fennimore, daß das erste, was uns unsre Liebe bringt, Angst und Thränen sind. Meinst du nicht auch? Du mußt nicht hart gegen mich sein, Ricks, ich kann ja nicht anders. Du kannst es nicht so sehen, wie ich, ich müßte stark sein, denn ich bin gebunden. O, daß ich meine Liebe nehmen und sie in die tiefste Tiefe meines Herzens verschließen könnte, daß ich taub wäre für all ihren Jammer, all ihr Flehen, daß ich es über mich gewinnen könnte, dich zu bitten, weit, weit fortzureisen, aber das kann ich nicht, ich habe so viel gelitten, ich kann das nicht auch noch leiden, ich kann es nicht, Ricks. Ich kann nicht ohne dich leben — kann ich das wohl? Glaubst du, daß ich es könnte? Grenzboten NI. 1883. 48

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/385>, abgerufen am 22.07.2024.