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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

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Der Reichskanzler und die Parteien,

Talenten ihrer Leiter in der Partei vorwiegend das Wort und gaben ihr viel¬
fach die Farbe.

Inzwischen waren die Pläne des Kanzlers zur Umgestaltung der wirt¬
schaftlichen Einrichtungen des Reiches gereift, Pläne, die auf Vermehrung der
Einnahmen des letzteren aus den Zöllen und den indirekten Steuern, auf
Unterstützung der Industrie und der Landwirtschaft in ihrem Kampfe mit dem
übermächtigen Wettbewerbern des Auslandes und auf Erleichterung der mit in¬
direkten Abgaben schwer belasteten Mittelklasse, sowie der mit Ausgaben für
Schulen und Arme überbürdeten Gemeinden hinausliefen. Zu diesem Zwecke
suchte Bismarck den Beistand der Nationalliberalen. Im Herbste 1877 ver¬
handelte er deshalb mit Bennigsen. Dieser konnte oder wollte sich mit Rück¬
sicht auf jenen linken Flügel nicht allein entscheiden und nahm die Vorschläge
Bismarcks einfach entgegen, um sich darüber mit andern Führern der Partei
zu besprechen. Dies geschah, und einige Tage nachher wurde von der Presse
der Nationalliberalen die Parole "Konstitutionelle Garantien" ausgegeben.
Man dachte an ein großes Handelsgeschäft, zu dem offenbar Laster geraten
hatte, der schon 1873 mit der Bemerkung, daß man endlich auch "Volksrechte"
verlangen und gewähren müsse, mit der Forderung eines Preßgesetzes nach
seinem Geschmack hervorgetreten, aber von Bismarck abschlägig beschicken
worden war. Jetzt, wo man sich für notwendig und unumgänglich hielt, war,
wie Laster und Genossen rechneten, der Augenblick gekommen, diese günstige
Lage kaufmännisch auszunutzen und der Regierung alles abzudrücken, was man
begehrte. Über die "konstitutionellen Garantien" herrschte in der Partei frei¬
lich keine Übereinstimmung; aber schon daß man solche Bürgschaften in Anspruch
nahm, war der deutlichste Ausdruck des in der Partei nie ganz geschwun¬
denen Gefühls, daß sie in dem Kanzler nicht sowohl einen Freund und leitenden
Mitarbeiter, als einen Gegner vor sich habe, dem man sich nur mit Mißtrauen
und größter Vorsicht weiter nähern dürfe, und dessen Gesetzvorschläge man mit
allerlei Kautelen spicken müsse, wenn sie ungefährlich sein sollten. Bismarck
lehnte das Verlangen der Nationalliberalen, das auf Einrichtungen ähnlich
den englischen mit ihrer Parteiregierung hinauslief, als unerfüllbar ab, und
nun verwandelten sich die zuletzt nur noch halben und lauen politischen Freunde
in eine Partei, die fast in allen Fragen, welche den Reichstag und das Ab¬
geordnetenhaus des Landtages beschäftigten, mit der Opposition stimmte und
dem Kanzler häufig die natürlichsten Dinge abschlug. Das Ausscheiden des
linken Flügels aus dem Fraktionsverbande änderte daran zunächst nicht viel.
Die ganze Partei war mehr oder weniger in die alte Politik der Liberalen
zurückverfallen, und sie hatte sich damit von ihm, nicht er sich von ihr getrennt.
Ihre Blätter feindeten ihn in gleich gehässigen Tone an, wie die der Fort¬
schrittsleute. Ihre Vertreter am Dönhofsplatze verwarfen beinahe alles, was
die Negierung vorschlug oder verlangte, und die in der Leipziger Straße thaten


Der Reichskanzler und die Parteien,

Talenten ihrer Leiter in der Partei vorwiegend das Wort und gaben ihr viel¬
fach die Farbe.

Inzwischen waren die Pläne des Kanzlers zur Umgestaltung der wirt¬
schaftlichen Einrichtungen des Reiches gereift, Pläne, die auf Vermehrung der
Einnahmen des letzteren aus den Zöllen und den indirekten Steuern, auf
Unterstützung der Industrie und der Landwirtschaft in ihrem Kampfe mit dem
übermächtigen Wettbewerbern des Auslandes und auf Erleichterung der mit in¬
direkten Abgaben schwer belasteten Mittelklasse, sowie der mit Ausgaben für
Schulen und Arme überbürdeten Gemeinden hinausliefen. Zu diesem Zwecke
suchte Bismarck den Beistand der Nationalliberalen. Im Herbste 1877 ver¬
handelte er deshalb mit Bennigsen. Dieser konnte oder wollte sich mit Rück¬
sicht auf jenen linken Flügel nicht allein entscheiden und nahm die Vorschläge
Bismarcks einfach entgegen, um sich darüber mit andern Führern der Partei
zu besprechen. Dies geschah, und einige Tage nachher wurde von der Presse
der Nationalliberalen die Parole „Konstitutionelle Garantien" ausgegeben.
Man dachte an ein großes Handelsgeschäft, zu dem offenbar Laster geraten
hatte, der schon 1873 mit der Bemerkung, daß man endlich auch „Volksrechte"
verlangen und gewähren müsse, mit der Forderung eines Preßgesetzes nach
seinem Geschmack hervorgetreten, aber von Bismarck abschlägig beschicken
worden war. Jetzt, wo man sich für notwendig und unumgänglich hielt, war,
wie Laster und Genossen rechneten, der Augenblick gekommen, diese günstige
Lage kaufmännisch auszunutzen und der Regierung alles abzudrücken, was man
begehrte. Über die „konstitutionellen Garantien" herrschte in der Partei frei¬
lich keine Übereinstimmung; aber schon daß man solche Bürgschaften in Anspruch
nahm, war der deutlichste Ausdruck des in der Partei nie ganz geschwun¬
denen Gefühls, daß sie in dem Kanzler nicht sowohl einen Freund und leitenden
Mitarbeiter, als einen Gegner vor sich habe, dem man sich nur mit Mißtrauen
und größter Vorsicht weiter nähern dürfe, und dessen Gesetzvorschläge man mit
allerlei Kautelen spicken müsse, wenn sie ungefährlich sein sollten. Bismarck
lehnte das Verlangen der Nationalliberalen, das auf Einrichtungen ähnlich
den englischen mit ihrer Parteiregierung hinauslief, als unerfüllbar ab, und
nun verwandelten sich die zuletzt nur noch halben und lauen politischen Freunde
in eine Partei, die fast in allen Fragen, welche den Reichstag und das Ab¬
geordnetenhaus des Landtages beschäftigten, mit der Opposition stimmte und
dem Kanzler häufig die natürlichsten Dinge abschlug. Das Ausscheiden des
linken Flügels aus dem Fraktionsverbande änderte daran zunächst nicht viel.
Die ganze Partei war mehr oder weniger in die alte Politik der Liberalen
zurückverfallen, und sie hatte sich damit von ihm, nicht er sich von ihr getrennt.
Ihre Blätter feindeten ihn in gleich gehässigen Tone an, wie die der Fort¬
schrittsleute. Ihre Vertreter am Dönhofsplatze verwarfen beinahe alles, was
die Negierung vorschlug oder verlangte, und die in der Leipziger Straße thaten


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[0350] Der Reichskanzler und die Parteien, Talenten ihrer Leiter in der Partei vorwiegend das Wort und gaben ihr viel¬ fach die Farbe. Inzwischen waren die Pläne des Kanzlers zur Umgestaltung der wirt¬ schaftlichen Einrichtungen des Reiches gereift, Pläne, die auf Vermehrung der Einnahmen des letzteren aus den Zöllen und den indirekten Steuern, auf Unterstützung der Industrie und der Landwirtschaft in ihrem Kampfe mit dem übermächtigen Wettbewerbern des Auslandes und auf Erleichterung der mit in¬ direkten Abgaben schwer belasteten Mittelklasse, sowie der mit Ausgaben für Schulen und Arme überbürdeten Gemeinden hinausliefen. Zu diesem Zwecke suchte Bismarck den Beistand der Nationalliberalen. Im Herbste 1877 ver¬ handelte er deshalb mit Bennigsen. Dieser konnte oder wollte sich mit Rück¬ sicht auf jenen linken Flügel nicht allein entscheiden und nahm die Vorschläge Bismarcks einfach entgegen, um sich darüber mit andern Führern der Partei zu besprechen. Dies geschah, und einige Tage nachher wurde von der Presse der Nationalliberalen die Parole „Konstitutionelle Garantien" ausgegeben. Man dachte an ein großes Handelsgeschäft, zu dem offenbar Laster geraten hatte, der schon 1873 mit der Bemerkung, daß man endlich auch „Volksrechte" verlangen und gewähren müsse, mit der Forderung eines Preßgesetzes nach seinem Geschmack hervorgetreten, aber von Bismarck abschlägig beschicken worden war. Jetzt, wo man sich für notwendig und unumgänglich hielt, war, wie Laster und Genossen rechneten, der Augenblick gekommen, diese günstige Lage kaufmännisch auszunutzen und der Regierung alles abzudrücken, was man begehrte. Über die „konstitutionellen Garantien" herrschte in der Partei frei¬ lich keine Übereinstimmung; aber schon daß man solche Bürgschaften in Anspruch nahm, war der deutlichste Ausdruck des in der Partei nie ganz geschwun¬ denen Gefühls, daß sie in dem Kanzler nicht sowohl einen Freund und leitenden Mitarbeiter, als einen Gegner vor sich habe, dem man sich nur mit Mißtrauen und größter Vorsicht weiter nähern dürfe, und dessen Gesetzvorschläge man mit allerlei Kautelen spicken müsse, wenn sie ungefährlich sein sollten. Bismarck lehnte das Verlangen der Nationalliberalen, das auf Einrichtungen ähnlich den englischen mit ihrer Parteiregierung hinauslief, als unerfüllbar ab, und nun verwandelten sich die zuletzt nur noch halben und lauen politischen Freunde in eine Partei, die fast in allen Fragen, welche den Reichstag und das Ab¬ geordnetenhaus des Landtages beschäftigten, mit der Opposition stimmte und dem Kanzler häufig die natürlichsten Dinge abschlug. Das Ausscheiden des linken Flügels aus dem Fraktionsverbande änderte daran zunächst nicht viel. Die ganze Partei war mehr oder weniger in die alte Politik der Liberalen zurückverfallen, und sie hatte sich damit von ihm, nicht er sich von ihr getrennt. Ihre Blätter feindeten ihn in gleich gehässigen Tone an, wie die der Fort¬ schrittsleute. Ihre Vertreter am Dönhofsplatze verwarfen beinahe alles, was die Negierung vorschlug oder verlangte, und die in der Leipziger Straße thaten

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/350>, abgerufen am 24.08.2024.