Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Tagebuchblätter eines Sonntagsphilosophen.

hinaus und wieder nach Konstantinopel gesetzt, um von da aus sein von den
Türken abgebrochenes Amt als christliche Vormacht des Morgenlandes wieder
anzutreten, ein Amt, das denn nunmehr der russische Zar übernehmen will
oder soll, während bei Grimmelshcmsen von Rußland gar nicht die Rede ist,
das lag da noch über den europäischen Gedankenkreis hinaus.

Aber noch eins fehlt in dem Zukunftsbilde, das Wichtigste, die Religions¬
frage. Ihr ist das fünfte Capitel gewidmet, sie erfordert noch mehr traum¬
haften Aufschwung, als das vierte Capitel brauchte, und wird eigncrweise ein¬
geleitet durch einen starken Anlauf von Humor, selbst bis in Derbheit hinein,
als wollte sich der Verfasser vor dem Leser und sich selbst sicher stellen, daß
er sich des Träumers gar wohl bewußt war. Simplex rückt mit der Frage
heraus: "Wie wird aber Teutschland bei so unterschiedlichen Religionen einen
so langwierigen Frieden haben können? werden so unterschiedliche Pfaffen nicht
die Ihrige Hetzen und wegen ihres Glaubens wiederum einen neuen Krieg über
den andern anspinnen?" "O nein!" sagte Jupiter, "mein Held wird dieser
Sorge weislich vorkommen und vor alleu Dingen alle Christliche Religionen
in der ganzen Welt mit einander vereinigen." Und da der Frager an das
Wunder nicht glauben will, entwickelt Jupiter seinen Plan. Sein Held werde
die nach dem Universalfrieden versammelten geistlichen und weltlichen Häupter
der christlichen Völker und Kirchen durch einen "sehr beweglichen Sermon"
dahin zu bringen wissen, "daß sie von sich selbst eine allgemeine Vereinigung
wünschen" und seiner "hohen Vernunft" die Leitung des Werkes übergeben
werden. Dann wird er "die allergeistreichste, gelahrteste und frömmste Theo¬
logos" von allen Religionen zusammenbringen, daß sie in frei behaglichster
Lage die streitigen Fragen behandeln und beilegen und "mit rechter Einhellig¬
keit die rechte, wahre, heilige und Christliche Religion, der heiligen Schrift,
der uralten Tradition und der probirten heiligen Väter Meinung gemäß
schriftlich verfassen sollen." Freilich wird sich der Teufel (er heißt Pluto)
dabei gewaltig hintern Ohren kratzen und seine ganze Macht dagegen loslassen,
aber der Held wird, "so lang dieses Concilium währet, in der ganzen Christen¬
heit alle Glocken läuten und das Christliche Volk zum Gebet an das höchste
Ruinen unablässig anmahnen und um Sendung des Geistes der Wahrheit bitten
lassen." Also so spät noch einmal der alte Gedanke der Concilien, auch in der
zu erzielenden Einhelligkeit, die allein die Wahrheit durch den heiligen Geist,
der ja nur einer ist, verbürgen, herzustellen auf Grundlage der heiligen Schrift
und der echten Tradition, also mit versöhnender Vereinigung der lutherischen
und katholischen Grundsätze (vom Papst ist nicht die Rede), wie sie dann
im vollen Ernst z. B. Leibniz anstrebte. Ja aber eben diese Einhelligkeit! Der
Held wird sie im Notfall erzwingen, sie muß ja werden. "Wann er merken
würde, daß sich einer oder ander vom Plutone einnehmen läßt, so wird er die
ganze Congregcition wie in einem Conclave ^d. h. bei der Papstwahl) mit


Tagebuchblätter eines Sonntagsphilosophen.

hinaus und wieder nach Konstantinopel gesetzt, um von da aus sein von den
Türken abgebrochenes Amt als christliche Vormacht des Morgenlandes wieder
anzutreten, ein Amt, das denn nunmehr der russische Zar übernehmen will
oder soll, während bei Grimmelshcmsen von Rußland gar nicht die Rede ist,
das lag da noch über den europäischen Gedankenkreis hinaus.

Aber noch eins fehlt in dem Zukunftsbilde, das Wichtigste, die Religions¬
frage. Ihr ist das fünfte Capitel gewidmet, sie erfordert noch mehr traum¬
haften Aufschwung, als das vierte Capitel brauchte, und wird eigncrweise ein¬
geleitet durch einen starken Anlauf von Humor, selbst bis in Derbheit hinein,
als wollte sich der Verfasser vor dem Leser und sich selbst sicher stellen, daß
er sich des Träumers gar wohl bewußt war. Simplex rückt mit der Frage
heraus: „Wie wird aber Teutschland bei so unterschiedlichen Religionen einen
so langwierigen Frieden haben können? werden so unterschiedliche Pfaffen nicht
die Ihrige Hetzen und wegen ihres Glaubens wiederum einen neuen Krieg über
den andern anspinnen?" „O nein!" sagte Jupiter, „mein Held wird dieser
Sorge weislich vorkommen und vor alleu Dingen alle Christliche Religionen
in der ganzen Welt mit einander vereinigen." Und da der Frager an das
Wunder nicht glauben will, entwickelt Jupiter seinen Plan. Sein Held werde
die nach dem Universalfrieden versammelten geistlichen und weltlichen Häupter
der christlichen Völker und Kirchen durch einen „sehr beweglichen Sermon"
dahin zu bringen wissen, „daß sie von sich selbst eine allgemeine Vereinigung
wünschen" und seiner „hohen Vernunft" die Leitung des Werkes übergeben
werden. Dann wird er „die allergeistreichste, gelahrteste und frömmste Theo¬
logos" von allen Religionen zusammenbringen, daß sie in frei behaglichster
Lage die streitigen Fragen behandeln und beilegen und „mit rechter Einhellig¬
keit die rechte, wahre, heilige und Christliche Religion, der heiligen Schrift,
der uralten Tradition und der probirten heiligen Väter Meinung gemäß
schriftlich verfassen sollen." Freilich wird sich der Teufel (er heißt Pluto)
dabei gewaltig hintern Ohren kratzen und seine ganze Macht dagegen loslassen,
aber der Held wird, „so lang dieses Concilium währet, in der ganzen Christen¬
heit alle Glocken läuten und das Christliche Volk zum Gebet an das höchste
Ruinen unablässig anmahnen und um Sendung des Geistes der Wahrheit bitten
lassen." Also so spät noch einmal der alte Gedanke der Concilien, auch in der
zu erzielenden Einhelligkeit, die allein die Wahrheit durch den heiligen Geist,
der ja nur einer ist, verbürgen, herzustellen auf Grundlage der heiligen Schrift
und der echten Tradition, also mit versöhnender Vereinigung der lutherischen
und katholischen Grundsätze (vom Papst ist nicht die Rede), wie sie dann
im vollen Ernst z. B. Leibniz anstrebte. Ja aber eben diese Einhelligkeit! Der
Held wird sie im Notfall erzwingen, sie muß ja werden. „Wann er merken
würde, daß sich einer oder ander vom Plutone einnehmen läßt, so wird er die
ganze Congregcition wie in einem Conclave ^d. h. bei der Papstwahl) mit


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0034" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/289157"/>
          <fw type="header" place="top"> Tagebuchblätter eines Sonntagsphilosophen.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_76" prev="#ID_75"> hinaus und wieder nach Konstantinopel gesetzt, um von da aus sein von den<lb/>
Türken abgebrochenes Amt als christliche Vormacht des Morgenlandes wieder<lb/>
anzutreten, ein Amt, das denn nunmehr der russische Zar übernehmen will<lb/>
oder soll, während bei Grimmelshcmsen von Rußland gar nicht die Rede ist,<lb/>
das lag da noch über den europäischen Gedankenkreis hinaus.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_77" next="#ID_78"> Aber noch eins fehlt in dem Zukunftsbilde, das Wichtigste, die Religions¬<lb/>
frage. Ihr ist das fünfte Capitel gewidmet, sie erfordert noch mehr traum¬<lb/>
haften Aufschwung, als das vierte Capitel brauchte, und wird eigncrweise ein¬<lb/>
geleitet durch einen starken Anlauf von Humor, selbst bis in Derbheit hinein,<lb/>
als wollte sich der Verfasser vor dem Leser und sich selbst sicher stellen, daß<lb/>
er sich des Träumers gar wohl bewußt war. Simplex rückt mit der Frage<lb/>
heraus: &#x201E;Wie wird aber Teutschland bei so unterschiedlichen Religionen einen<lb/>
so langwierigen Frieden haben können? werden so unterschiedliche Pfaffen nicht<lb/>
die Ihrige Hetzen und wegen ihres Glaubens wiederum einen neuen Krieg über<lb/>
den andern anspinnen?" &#x201E;O nein!" sagte Jupiter, &#x201E;mein Held wird dieser<lb/>
Sorge weislich vorkommen und vor alleu Dingen alle Christliche Religionen<lb/>
in der ganzen Welt mit einander vereinigen." Und da der Frager an das<lb/>
Wunder nicht glauben will, entwickelt Jupiter seinen Plan. Sein Held werde<lb/>
die nach dem Universalfrieden versammelten geistlichen und weltlichen Häupter<lb/>
der christlichen Völker und Kirchen durch einen &#x201E;sehr beweglichen Sermon"<lb/>
dahin zu bringen wissen, &#x201E;daß sie von sich selbst eine allgemeine Vereinigung<lb/>
wünschen" und seiner &#x201E;hohen Vernunft" die Leitung des Werkes übergeben<lb/>
werden. Dann wird er &#x201E;die allergeistreichste, gelahrteste und frömmste Theo¬<lb/>
logos" von allen Religionen zusammenbringen, daß sie in frei behaglichster<lb/>
Lage die streitigen Fragen behandeln und beilegen und &#x201E;mit rechter Einhellig¬<lb/>
keit die rechte, wahre, heilige und Christliche Religion, der heiligen Schrift,<lb/>
der uralten Tradition und der probirten heiligen Väter Meinung gemäß<lb/>
schriftlich verfassen sollen." Freilich wird sich der Teufel (er heißt Pluto)<lb/>
dabei gewaltig hintern Ohren kratzen und seine ganze Macht dagegen loslassen,<lb/>
aber der Held wird, &#x201E;so lang dieses Concilium währet, in der ganzen Christen¬<lb/>
heit alle Glocken läuten und das Christliche Volk zum Gebet an das höchste<lb/>
Ruinen unablässig anmahnen und um Sendung des Geistes der Wahrheit bitten<lb/>
lassen." Also so spät noch einmal der alte Gedanke der Concilien, auch in der<lb/>
zu erzielenden Einhelligkeit, die allein die Wahrheit durch den heiligen Geist,<lb/>
der ja nur einer ist, verbürgen, herzustellen auf Grundlage der heiligen Schrift<lb/>
und der echten Tradition, also mit versöhnender Vereinigung der lutherischen<lb/>
und katholischen Grundsätze (vom Papst ist nicht die Rede), wie sie dann<lb/>
im vollen Ernst z. B. Leibniz anstrebte. Ja aber eben diese Einhelligkeit! Der<lb/>
Held wird sie im Notfall erzwingen, sie muß ja werden. &#x201E;Wann er merken<lb/>
würde, daß sich einer oder ander vom Plutone einnehmen läßt, so wird er die<lb/>
ganze Congregcition wie in einem Conclave ^d. h. bei der Papstwahl) mit</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0034] Tagebuchblätter eines Sonntagsphilosophen. hinaus und wieder nach Konstantinopel gesetzt, um von da aus sein von den Türken abgebrochenes Amt als christliche Vormacht des Morgenlandes wieder anzutreten, ein Amt, das denn nunmehr der russische Zar übernehmen will oder soll, während bei Grimmelshcmsen von Rußland gar nicht die Rede ist, das lag da noch über den europäischen Gedankenkreis hinaus. Aber noch eins fehlt in dem Zukunftsbilde, das Wichtigste, die Religions¬ frage. Ihr ist das fünfte Capitel gewidmet, sie erfordert noch mehr traum¬ haften Aufschwung, als das vierte Capitel brauchte, und wird eigncrweise ein¬ geleitet durch einen starken Anlauf von Humor, selbst bis in Derbheit hinein, als wollte sich der Verfasser vor dem Leser und sich selbst sicher stellen, daß er sich des Träumers gar wohl bewußt war. Simplex rückt mit der Frage heraus: „Wie wird aber Teutschland bei so unterschiedlichen Religionen einen so langwierigen Frieden haben können? werden so unterschiedliche Pfaffen nicht die Ihrige Hetzen und wegen ihres Glaubens wiederum einen neuen Krieg über den andern anspinnen?" „O nein!" sagte Jupiter, „mein Held wird dieser Sorge weislich vorkommen und vor alleu Dingen alle Christliche Religionen in der ganzen Welt mit einander vereinigen." Und da der Frager an das Wunder nicht glauben will, entwickelt Jupiter seinen Plan. Sein Held werde die nach dem Universalfrieden versammelten geistlichen und weltlichen Häupter der christlichen Völker und Kirchen durch einen „sehr beweglichen Sermon" dahin zu bringen wissen, „daß sie von sich selbst eine allgemeine Vereinigung wünschen" und seiner „hohen Vernunft" die Leitung des Werkes übergeben werden. Dann wird er „die allergeistreichste, gelahrteste und frömmste Theo¬ logos" von allen Religionen zusammenbringen, daß sie in frei behaglichster Lage die streitigen Fragen behandeln und beilegen und „mit rechter Einhellig¬ keit die rechte, wahre, heilige und Christliche Religion, der heiligen Schrift, der uralten Tradition und der probirten heiligen Väter Meinung gemäß schriftlich verfassen sollen." Freilich wird sich der Teufel (er heißt Pluto) dabei gewaltig hintern Ohren kratzen und seine ganze Macht dagegen loslassen, aber der Held wird, „so lang dieses Concilium währet, in der ganzen Christen¬ heit alle Glocken läuten und das Christliche Volk zum Gebet an das höchste Ruinen unablässig anmahnen und um Sendung des Geistes der Wahrheit bitten lassen." Also so spät noch einmal der alte Gedanke der Concilien, auch in der zu erzielenden Einhelligkeit, die allein die Wahrheit durch den heiligen Geist, der ja nur einer ist, verbürgen, herzustellen auf Grundlage der heiligen Schrift und der echten Tradition, also mit versöhnender Vereinigung der lutherischen und katholischen Grundsätze (vom Papst ist nicht die Rede), wie sie dann im vollen Ernst z. B. Leibniz anstrebte. Ja aber eben diese Einhelligkeit! Der Held wird sie im Notfall erzwingen, sie muß ja werden. „Wann er merken würde, daß sich einer oder ander vom Plutone einnehmen läßt, so wird er die ganze Congregcition wie in einem Conclave ^d. h. bei der Papstwahl) mit

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/34
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/34>, abgerufen am 22.07.2024.