Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Kaiserfahrt nach Rußland.

Verlaufe des polnischen Aufstandes von 1863 sich für Rußland sehr nützlich
erwiesen und anderseits, als König Wilhelm die Lösung der deutschen Frage,
erst Österreich, dann Frankreich gegenüber, in die Hand nahm, auch Preußen
zu gute kamen. Preußen fand noch während des Krieges mit Frankreich Ge¬
legenheit, sich für das russische Wohlwollen dankbar zu zeigen, indem es dem
Zarenreiche die 1856 Verlorne Freiheit des Schwarzen Meeres wiedergewinnen
half. Und nicht geringere Freundschaftsdienste leistete die deutsche Politik der
russischen während des letzten Türkenkrieges und bei Abschluß des Berliner
Friedens. Nußland hatte den Kongreß erstrebt und durch Vermittlung des
deutschen Reichskanzlers herbeigeführt. Der Kanzler bekämpfte die russischen
Anträge während der Verhandlungen niemals, unterstützte sie vielmehr in allen
Fällen nach Möglichkeit. Einigemale befand sich die Vertretung Deutschlands
ans dem Kongresse mit derjenigen Rußlands in der Minderheit, bei den meisten
Fragen aber, wo Meinungsverschiedenheit in Betreff russischer Wünsche eintrat,
gelang es dem deutschen Einflüsse, diesen Wünschen Befriedigung zu verschaffen.
Mitunter und zwar gerade bei den wichtigsten Meinungsverschiedenheiten über
Abtretung von Gebiet an Nußland hatte Fürst Bismarck hierbei erhebliche
Schwierigkeiten zu überwinden, und diese wurden dann mehrmals nur durch die
Erklärung beseitigt, daß Deutschland auf weitere Beteiligung am Kongresse
verzichten werde, wenn man die russischen Forderungen ablehne. Den berech¬
tigten Interessen der Russen war also von seiten Deutschlands jede Förderung
widerfahren, die sich mit denen der Österreicher vertrug, und der Kanzler hatte
dem durch den Krieg mit den Türken erschöpften alten Verbündeten einen Weg
zwischen Demütigung und einem schwereren Kampfe mit Österreich-Ungarn und
England geöffnet. Daß er nicht mehr thun, nicht alle Ansprüche der russischen
Politik vertreten und unterstützen konnte, weil er sich und Deutschland dadurch
mit dem übrigen Europa verfeindet hätte, war selbstverständlich. Ju den pan-
slawistischen Lagern zu Moskau und Se. Petersburg aber wollte man das nicht
verstehen. Man hatte hier in seiner Begehrlichkeit und seinem Hochmut nicht
Freundes-, sondern Vasallendienste verlangt.

Immer seit König Wilhelms Thronbesteigung war das politische Ideal
der preußischen Politik ein möglichst gutes Einvernehmen der drei östlichen
Großmächte gegenüber Frankreich gewesen, eine Rückkehr zu der Vereinigung
derselben, wie sie von 1815 bis zum Krimkriege bestanden hatte. Die Ereignisse
von 1854 hatten Österreich von Rußland, die von 1866 hatten es von Preußen
und Deutschland getrennt. Aber sofort nach der Bildung des neuen Deutsch¬
lands in seiner anfänglichen Gestalt wurden von Berlin Versuche zur Ver¬
wirklichung jenes Ideals unternommen, und kaum war der norddeutsche Bund
zum deutschen Reiche geworden, so wurde diese Arbeit der Versöhnung, die sich
bisher nur auf Österreich erstreckt und hier wenigstens ein leidliches Ergebnis
gehabt hatte, thatkräftig wieder begonnen und auch auf das Verhältnis Oster-


Die Kaiserfahrt nach Rußland.

Verlaufe des polnischen Aufstandes von 1863 sich für Rußland sehr nützlich
erwiesen und anderseits, als König Wilhelm die Lösung der deutschen Frage,
erst Österreich, dann Frankreich gegenüber, in die Hand nahm, auch Preußen
zu gute kamen. Preußen fand noch während des Krieges mit Frankreich Ge¬
legenheit, sich für das russische Wohlwollen dankbar zu zeigen, indem es dem
Zarenreiche die 1856 Verlorne Freiheit des Schwarzen Meeres wiedergewinnen
half. Und nicht geringere Freundschaftsdienste leistete die deutsche Politik der
russischen während des letzten Türkenkrieges und bei Abschluß des Berliner
Friedens. Nußland hatte den Kongreß erstrebt und durch Vermittlung des
deutschen Reichskanzlers herbeigeführt. Der Kanzler bekämpfte die russischen
Anträge während der Verhandlungen niemals, unterstützte sie vielmehr in allen
Fällen nach Möglichkeit. Einigemale befand sich die Vertretung Deutschlands
ans dem Kongresse mit derjenigen Rußlands in der Minderheit, bei den meisten
Fragen aber, wo Meinungsverschiedenheit in Betreff russischer Wünsche eintrat,
gelang es dem deutschen Einflüsse, diesen Wünschen Befriedigung zu verschaffen.
Mitunter und zwar gerade bei den wichtigsten Meinungsverschiedenheiten über
Abtretung von Gebiet an Nußland hatte Fürst Bismarck hierbei erhebliche
Schwierigkeiten zu überwinden, und diese wurden dann mehrmals nur durch die
Erklärung beseitigt, daß Deutschland auf weitere Beteiligung am Kongresse
verzichten werde, wenn man die russischen Forderungen ablehne. Den berech¬
tigten Interessen der Russen war also von seiten Deutschlands jede Förderung
widerfahren, die sich mit denen der Österreicher vertrug, und der Kanzler hatte
dem durch den Krieg mit den Türken erschöpften alten Verbündeten einen Weg
zwischen Demütigung und einem schwereren Kampfe mit Österreich-Ungarn und
England geöffnet. Daß er nicht mehr thun, nicht alle Ansprüche der russischen
Politik vertreten und unterstützen konnte, weil er sich und Deutschland dadurch
mit dem übrigen Europa verfeindet hätte, war selbstverständlich. Ju den pan-
slawistischen Lagern zu Moskau und Se. Petersburg aber wollte man das nicht
verstehen. Man hatte hier in seiner Begehrlichkeit und seinem Hochmut nicht
Freundes-, sondern Vasallendienste verlangt.

Immer seit König Wilhelms Thronbesteigung war das politische Ideal
der preußischen Politik ein möglichst gutes Einvernehmen der drei östlichen
Großmächte gegenüber Frankreich gewesen, eine Rückkehr zu der Vereinigung
derselben, wie sie von 1815 bis zum Krimkriege bestanden hatte. Die Ereignisse
von 1854 hatten Österreich von Rußland, die von 1866 hatten es von Preußen
und Deutschland getrennt. Aber sofort nach der Bildung des neuen Deutsch¬
lands in seiner anfänglichen Gestalt wurden von Berlin Versuche zur Ver¬
wirklichung jenes Ideals unternommen, und kaum war der norddeutsche Bund
zum deutschen Reiche geworden, so wurde diese Arbeit der Versöhnung, die sich
bisher nur auf Österreich erstreckt und hier wenigstens ein leidliches Ergebnis
gehabt hatte, thatkräftig wieder begonnen und auch auf das Verhältnis Oster-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0250" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/289373"/>
          <fw type="header" place="top"> Die Kaiserfahrt nach Rußland.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_845" prev="#ID_844"> Verlaufe des polnischen Aufstandes von 1863 sich für Rußland sehr nützlich<lb/>
erwiesen und anderseits, als König Wilhelm die Lösung der deutschen Frage,<lb/>
erst Österreich, dann Frankreich gegenüber, in die Hand nahm, auch Preußen<lb/>
zu gute kamen. Preußen fand noch während des Krieges mit Frankreich Ge¬<lb/>
legenheit, sich für das russische Wohlwollen dankbar zu zeigen, indem es dem<lb/>
Zarenreiche die 1856 Verlorne Freiheit des Schwarzen Meeres wiedergewinnen<lb/>
half. Und nicht geringere Freundschaftsdienste leistete die deutsche Politik der<lb/>
russischen während des letzten Türkenkrieges und bei Abschluß des Berliner<lb/>
Friedens. Nußland hatte den Kongreß erstrebt und durch Vermittlung des<lb/>
deutschen Reichskanzlers herbeigeführt. Der Kanzler bekämpfte die russischen<lb/>
Anträge während der Verhandlungen niemals, unterstützte sie vielmehr in allen<lb/>
Fällen nach Möglichkeit. Einigemale befand sich die Vertretung Deutschlands<lb/>
ans dem Kongresse mit derjenigen Rußlands in der Minderheit, bei den meisten<lb/>
Fragen aber, wo Meinungsverschiedenheit in Betreff russischer Wünsche eintrat,<lb/>
gelang es dem deutschen Einflüsse, diesen Wünschen Befriedigung zu verschaffen.<lb/>
Mitunter und zwar gerade bei den wichtigsten Meinungsverschiedenheiten über<lb/>
Abtretung von Gebiet an Nußland hatte Fürst Bismarck hierbei erhebliche<lb/>
Schwierigkeiten zu überwinden, und diese wurden dann mehrmals nur durch die<lb/>
Erklärung beseitigt, daß Deutschland auf weitere Beteiligung am Kongresse<lb/>
verzichten werde, wenn man die russischen Forderungen ablehne. Den berech¬<lb/>
tigten Interessen der Russen war also von seiten Deutschlands jede Förderung<lb/>
widerfahren, die sich mit denen der Österreicher vertrug, und der Kanzler hatte<lb/>
dem durch den Krieg mit den Türken erschöpften alten Verbündeten einen Weg<lb/>
zwischen Demütigung und einem schwereren Kampfe mit Österreich-Ungarn und<lb/>
England geöffnet. Daß er nicht mehr thun, nicht alle Ansprüche der russischen<lb/>
Politik vertreten und unterstützen konnte, weil er sich und Deutschland dadurch<lb/>
mit dem übrigen Europa verfeindet hätte, war selbstverständlich. Ju den pan-<lb/>
slawistischen Lagern zu Moskau und Se. Petersburg aber wollte man das nicht<lb/>
verstehen. Man hatte hier in seiner Begehrlichkeit und seinem Hochmut nicht<lb/>
Freundes-, sondern Vasallendienste verlangt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_846" next="#ID_847"> Immer seit König Wilhelms Thronbesteigung war das politische Ideal<lb/>
der preußischen Politik ein möglichst gutes Einvernehmen der drei östlichen<lb/>
Großmächte gegenüber Frankreich gewesen, eine Rückkehr zu der Vereinigung<lb/>
derselben, wie sie von 1815 bis zum Krimkriege bestanden hatte. Die Ereignisse<lb/>
von 1854 hatten Österreich von Rußland, die von 1866 hatten es von Preußen<lb/>
und Deutschland getrennt. Aber sofort nach der Bildung des neuen Deutsch¬<lb/>
lands in seiner anfänglichen Gestalt wurden von Berlin Versuche zur Ver¬<lb/>
wirklichung jenes Ideals unternommen, und kaum war der norddeutsche Bund<lb/>
zum deutschen Reiche geworden, so wurde diese Arbeit der Versöhnung, die sich<lb/>
bisher nur auf Österreich erstreckt und hier wenigstens ein leidliches Ergebnis<lb/>
gehabt hatte, thatkräftig wieder begonnen und auch auf das Verhältnis Oster-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0250] Die Kaiserfahrt nach Rußland. Verlaufe des polnischen Aufstandes von 1863 sich für Rußland sehr nützlich erwiesen und anderseits, als König Wilhelm die Lösung der deutschen Frage, erst Österreich, dann Frankreich gegenüber, in die Hand nahm, auch Preußen zu gute kamen. Preußen fand noch während des Krieges mit Frankreich Ge¬ legenheit, sich für das russische Wohlwollen dankbar zu zeigen, indem es dem Zarenreiche die 1856 Verlorne Freiheit des Schwarzen Meeres wiedergewinnen half. Und nicht geringere Freundschaftsdienste leistete die deutsche Politik der russischen während des letzten Türkenkrieges und bei Abschluß des Berliner Friedens. Nußland hatte den Kongreß erstrebt und durch Vermittlung des deutschen Reichskanzlers herbeigeführt. Der Kanzler bekämpfte die russischen Anträge während der Verhandlungen niemals, unterstützte sie vielmehr in allen Fällen nach Möglichkeit. Einigemale befand sich die Vertretung Deutschlands ans dem Kongresse mit derjenigen Rußlands in der Minderheit, bei den meisten Fragen aber, wo Meinungsverschiedenheit in Betreff russischer Wünsche eintrat, gelang es dem deutschen Einflüsse, diesen Wünschen Befriedigung zu verschaffen. Mitunter und zwar gerade bei den wichtigsten Meinungsverschiedenheiten über Abtretung von Gebiet an Nußland hatte Fürst Bismarck hierbei erhebliche Schwierigkeiten zu überwinden, und diese wurden dann mehrmals nur durch die Erklärung beseitigt, daß Deutschland auf weitere Beteiligung am Kongresse verzichten werde, wenn man die russischen Forderungen ablehne. Den berech¬ tigten Interessen der Russen war also von seiten Deutschlands jede Förderung widerfahren, die sich mit denen der Österreicher vertrug, und der Kanzler hatte dem durch den Krieg mit den Türken erschöpften alten Verbündeten einen Weg zwischen Demütigung und einem schwereren Kampfe mit Österreich-Ungarn und England geöffnet. Daß er nicht mehr thun, nicht alle Ansprüche der russischen Politik vertreten und unterstützen konnte, weil er sich und Deutschland dadurch mit dem übrigen Europa verfeindet hätte, war selbstverständlich. Ju den pan- slawistischen Lagern zu Moskau und Se. Petersburg aber wollte man das nicht verstehen. Man hatte hier in seiner Begehrlichkeit und seinem Hochmut nicht Freundes-, sondern Vasallendienste verlangt. Immer seit König Wilhelms Thronbesteigung war das politische Ideal der preußischen Politik ein möglichst gutes Einvernehmen der drei östlichen Großmächte gegenüber Frankreich gewesen, eine Rückkehr zu der Vereinigung derselben, wie sie von 1815 bis zum Krimkriege bestanden hatte. Die Ereignisse von 1854 hatten Österreich von Rußland, die von 1866 hatten es von Preußen und Deutschland getrennt. Aber sofort nach der Bildung des neuen Deutsch¬ lands in seiner anfänglichen Gestalt wurden von Berlin Versuche zur Ver¬ wirklichung jenes Ideals unternommen, und kaum war der norddeutsche Bund zum deutschen Reiche geworden, so wurde diese Arbeit der Versöhnung, die sich bisher nur auf Österreich erstreckt und hier wenigstens ein leidliches Ergebnis gehabt hatte, thatkräftig wieder begonnen und auch auf das Verhältnis Oster-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/250
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/250>, abgerufen am 22.07.2024.