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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

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Ricks Tyhne.

Sonne da, eine leise Zaghaftigkeit fährt gleich einer Wolke über den Glanz
hin und färbt die Funken der Hoffnung mit dem Grau ihres Kielwassers.
Das Herz so mutlos, zerschmelzend mutlos und ergeben in sein Schicksal, voll
Mitleid mit sich selbst, voll Zaghaftigkeit, die sich in stillen Klagen spiegelt
und in einem Seufzer erstirbt, der halb erheuchelt ist; und dann rauscht es
wieder zwischen den Rosen, das Traumland taucht aus dem Nebel auf mit
goldigem Schimmer über den weichen Buchenkronen, mit duftreicher Sommer¬
dämmerung unter dem Laube, das sich über den Pfaden wölbt, von denen
niemand weiß, wo sie enden.

Eines Abends nach der Theezeit waren sie alle im Wohnzimmer ver¬
sammelt. Von einem Aufenthalt im Garten oder im Freien konnte nicht die
Rede sein, denn es regnete in Strömen vom Himmel herab. Sie waren ans
Zimmer gefesselt, waren aber keineswegs unzufrieden damit; das Gefühl, so
zwischen den vier Wänden eingeschlossen zu sein, verbreitete die Gemütlichkeit
eines Winterabends über das Zimmer, und dann war der Regen so erwünscht,
alles schmachtete nach Wasser, und wenn es so recht gründlich herabströmte
und die schweren Tropfen an die Scheiben prasselten, so zauberte dieser Laut
schöne Bilder vor die Seele, üppig grünende Wiesen und erquickte Laub¬
massen, und bald sagte der eine, bald der andre leise vor sich hin: Wie es
doch regnet! und dabei sah man zu den Fenstern hinüber mit einem Gefühl
des Behagens und einem schwachen Funken des Genießens in halbbewußten
Einverständnis mit den Naturmächten da draußen.

Erik hatte seine Mandoline geholt, die er aus Italien mitgebracht hatte,
und hatte von Napoli gesungen und von leuchtenden Sternen, und jetzt saß
eine junge Dame, die zum Thee da war, am Klavier und begleitete sich selber:
Rio. Mg ora d1g.na bsrAkn, und fügte zu jeder Endung ein hinzu, damit es
recht schwedisch klänge.

Ricks, der nicht sonderlich musikalisch war, ließ sich von der Musik weich
melancholisch stimmen und fiel in Gedanken, bis Fennimore zu singen begann-
Das weckte ihn.

Jedoch nicht auf angenehme Weise; ihr Gesang erfüllte ihn mit Unruhe.
Sobald sie sich dem Klänge ihrer Stimme hingab, war sie nicht mehr das
kleine Provinzmädchen; wie ließ sie sich von diesen Tönen hinreißen, wie atmete
sie frei und rückhaltlos auf in ihnen, ja er hatte eine Empfindung, als würfe
sie alles Zartgefühl, alle Hüllen ab.

Ihm ward so heiß ums Herz, seine Schläfen pochten, er schlug die Augen
nieder. Sah es denn keiner von den andern, was er sah? Nein, sie sahen es
nicht. Sie war ja ganz außer sich, fort von Fjordby, weit fort von Fjordbyer
Poesie und Fjordbyer Gefühlen. Sie war in eine andre, kühnere Welt versetzt,
wo die Leidenschaft auf hohen Bergen üppig wucherte und ihre roten Blüten
dem Sturme preisgab.


Ricks Tyhne.

Sonne da, eine leise Zaghaftigkeit fährt gleich einer Wolke über den Glanz
hin und färbt die Funken der Hoffnung mit dem Grau ihres Kielwassers.
Das Herz so mutlos, zerschmelzend mutlos und ergeben in sein Schicksal, voll
Mitleid mit sich selbst, voll Zaghaftigkeit, die sich in stillen Klagen spiegelt
und in einem Seufzer erstirbt, der halb erheuchelt ist; und dann rauscht es
wieder zwischen den Rosen, das Traumland taucht aus dem Nebel auf mit
goldigem Schimmer über den weichen Buchenkronen, mit duftreicher Sommer¬
dämmerung unter dem Laube, das sich über den Pfaden wölbt, von denen
niemand weiß, wo sie enden.

Eines Abends nach der Theezeit waren sie alle im Wohnzimmer ver¬
sammelt. Von einem Aufenthalt im Garten oder im Freien konnte nicht die
Rede sein, denn es regnete in Strömen vom Himmel herab. Sie waren ans
Zimmer gefesselt, waren aber keineswegs unzufrieden damit; das Gefühl, so
zwischen den vier Wänden eingeschlossen zu sein, verbreitete die Gemütlichkeit
eines Winterabends über das Zimmer, und dann war der Regen so erwünscht,
alles schmachtete nach Wasser, und wenn es so recht gründlich herabströmte
und die schweren Tropfen an die Scheiben prasselten, so zauberte dieser Laut
schöne Bilder vor die Seele, üppig grünende Wiesen und erquickte Laub¬
massen, und bald sagte der eine, bald der andre leise vor sich hin: Wie es
doch regnet! und dabei sah man zu den Fenstern hinüber mit einem Gefühl
des Behagens und einem schwachen Funken des Genießens in halbbewußten
Einverständnis mit den Naturmächten da draußen.

Erik hatte seine Mandoline geholt, die er aus Italien mitgebracht hatte,
und hatte von Napoli gesungen und von leuchtenden Sternen, und jetzt saß
eine junge Dame, die zum Thee da war, am Klavier und begleitete sich selber:
Rio. Mg ora d1g.na bsrAkn, und fügte zu jeder Endung ein hinzu, damit es
recht schwedisch klänge.

Ricks, der nicht sonderlich musikalisch war, ließ sich von der Musik weich
melancholisch stimmen und fiel in Gedanken, bis Fennimore zu singen begann-
Das weckte ihn.

Jedoch nicht auf angenehme Weise; ihr Gesang erfüllte ihn mit Unruhe.
Sobald sie sich dem Klänge ihrer Stimme hingab, war sie nicht mehr das
kleine Provinzmädchen; wie ließ sie sich von diesen Tönen hinreißen, wie atmete
sie frei und rückhaltlos auf in ihnen, ja er hatte eine Empfindung, als würfe
sie alles Zartgefühl, alle Hüllen ab.

Ihm ward so heiß ums Herz, seine Schläfen pochten, er schlug die Augen
nieder. Sah es denn keiner von den andern, was er sah? Nein, sie sahen es
nicht. Sie war ja ganz außer sich, fort von Fjordby, weit fort von Fjordbyer
Poesie und Fjordbyer Gefühlen. Sie war in eine andre, kühnere Welt versetzt,
wo die Leidenschaft auf hohen Bergen üppig wucherte und ihre roten Blüten
dem Sturme preisgab.


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[0239] Ricks Tyhne. Sonne da, eine leise Zaghaftigkeit fährt gleich einer Wolke über den Glanz hin und färbt die Funken der Hoffnung mit dem Grau ihres Kielwassers. Das Herz so mutlos, zerschmelzend mutlos und ergeben in sein Schicksal, voll Mitleid mit sich selbst, voll Zaghaftigkeit, die sich in stillen Klagen spiegelt und in einem Seufzer erstirbt, der halb erheuchelt ist; und dann rauscht es wieder zwischen den Rosen, das Traumland taucht aus dem Nebel auf mit goldigem Schimmer über den weichen Buchenkronen, mit duftreicher Sommer¬ dämmerung unter dem Laube, das sich über den Pfaden wölbt, von denen niemand weiß, wo sie enden. Eines Abends nach der Theezeit waren sie alle im Wohnzimmer ver¬ sammelt. Von einem Aufenthalt im Garten oder im Freien konnte nicht die Rede sein, denn es regnete in Strömen vom Himmel herab. Sie waren ans Zimmer gefesselt, waren aber keineswegs unzufrieden damit; das Gefühl, so zwischen den vier Wänden eingeschlossen zu sein, verbreitete die Gemütlichkeit eines Winterabends über das Zimmer, und dann war der Regen so erwünscht, alles schmachtete nach Wasser, und wenn es so recht gründlich herabströmte und die schweren Tropfen an die Scheiben prasselten, so zauberte dieser Laut schöne Bilder vor die Seele, üppig grünende Wiesen und erquickte Laub¬ massen, und bald sagte der eine, bald der andre leise vor sich hin: Wie es doch regnet! und dabei sah man zu den Fenstern hinüber mit einem Gefühl des Behagens und einem schwachen Funken des Genießens in halbbewußten Einverständnis mit den Naturmächten da draußen. Erik hatte seine Mandoline geholt, die er aus Italien mitgebracht hatte, und hatte von Napoli gesungen und von leuchtenden Sternen, und jetzt saß eine junge Dame, die zum Thee da war, am Klavier und begleitete sich selber: Rio. Mg ora d1g.na bsrAkn, und fügte zu jeder Endung ein hinzu, damit es recht schwedisch klänge. Ricks, der nicht sonderlich musikalisch war, ließ sich von der Musik weich melancholisch stimmen und fiel in Gedanken, bis Fennimore zu singen begann- Das weckte ihn. Jedoch nicht auf angenehme Weise; ihr Gesang erfüllte ihn mit Unruhe. Sobald sie sich dem Klänge ihrer Stimme hingab, war sie nicht mehr das kleine Provinzmädchen; wie ließ sie sich von diesen Tönen hinreißen, wie atmete sie frei und rückhaltlos auf in ihnen, ja er hatte eine Empfindung, als würfe sie alles Zartgefühl, alle Hüllen ab. Ihm ward so heiß ums Herz, seine Schläfen pochten, er schlug die Augen nieder. Sah es denn keiner von den andern, was er sah? Nein, sie sahen es nicht. Sie war ja ganz außer sich, fort von Fjordby, weit fort von Fjordbyer Poesie und Fjordbyer Gefühlen. Sie war in eine andre, kühnere Welt versetzt, wo die Leidenschaft auf hohen Bergen üppig wucherte und ihre roten Blüten dem Sturme preisgab.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/239>, abgerufen am 22.07.2024.