Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.Der Leitartikel, so schnell ausrotten. Mit umso größerer Ausdauer muß man an deren Be¬ Der Leitartikel, so schnell ausrotten. Mit umso größerer Ausdauer muß man an deren Be¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0205" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/289328"/> <fw type="header" place="top"> Der Leitartikel,</fw><lb/> <p xml:id="ID_709" prev="#ID_708"> so schnell ausrotten. Mit umso größerer Ausdauer muß man an deren Be¬<lb/> seitigung arbeiten. Ein Stimmungsanzeichen ist das immer wiederholte Auf¬<lb/> werfen der Frage, wie die jetzige innige Verbindung zwischen Publizistik und<lb/> Annoncenwesen beseitigt werden könne. Daraus sollten die Zeitungen, die ein<lb/> gutes Gewissen haben, ersehen, daß der Gedanke weder totzureden noch totzu¬<lb/> schweigen ist; die andern werden natürlich jeden Versuch einer Reform mit allen<lb/> ihnen zu Gebote stehenden Mitteln bekämpfen, denn sie kämpfen um ihre Existenz.<lb/> Sie erkennen die volle Bedeutung der Frage. Ob dies bei dem Verfasser des<lb/> unlängst in dieser Zeitschrift abgedruckten Aufsatzes „Ein Reichsanzeigeblatt"<lb/> der Fall ist, wurde nicht ganz klar. Vielleicht hat er die Konsequenzen seines<lb/> Vorschlages absichtlich nnr nach der einen Seite hin verfolgt, und auf alle<lb/> Fälle ist es von großem Werte, daß einmal die Sache nur vom geschäftlichen<lb/> Standpunkte aus besprochen worden ist. Man versteht auch leicht, weshalb der<lb/> Verfasser von einem Monopol nichts wissen mag. Doch wird dies immer das<lb/> Ziel bleiben müssen. Erst wenn der Zeitungsverleger oder Zeitungsredccktenr,<lb/> welcher Bezahlung genommen, und ebenso derjenige, welcher bestochen hat, wegen<lb/> Verstoß gegen das Monopol verfolgt werden kann, ist die Möglichkeit ge¬<lb/> geben, der Korruption erfolgreich auf den Leib zu rücken. Zeitungen, die sich<lb/> schon in ihren Ankündigungen in eine Reihe mit „Gummiwaaren" und Brandes<lb/> Schweizerpillen stellen, würden gewiß auch sehr erfinderisch in Schleichwegen<lb/> zur Um 'sum des Gesetzes sein, aber so schwunghaft wie jetzt ginge das<lb/> Geschäft uns reinen Fall mehr. Jetzt läuft das Ding so glatt wie ein Uhrwerk.<lb/> Der geriebene Inseraten« ;ent verschafft die Mittel zur Besoldung von Korre¬<lb/> spondenten, phantasiereichen Reportern und beliebten Novellisten, der Inserate<lb/> und des bunten Stoffes halber wird das Blatt auch von Leuten gehalten, die<lb/> seine Richtung verabscheuen. Hört einmal die eigentliche Einnahmequelle zu<lb/> fließen auf, so werden anständige Blätter wieder konkurriren können, und das<lb/> Publikum wird bei dem Abonnement wieder auf den Charakter der Zeitung<lb/> sehen. Es wäre denkbar, daß auch dann in Wien ein bvulangeristisches Organ<lb/> erschiene und den deutschen Kaiser und dessen Ratgeber über das monarchische<lb/> Prinzip und die preußischen Traditionen aufklärte. Aber seine Leitartikel würden<lb/> dann Monologe sein. Daß die Einführung einer solchen neuen Ordnung eine<lb/> schwere Krisis für alle Zeitungen bedeuten würde, ist unverkennbar, aber die<lb/> anständigen Blätter thäten, wie gesagt, wohl, sich lieber auf eine Reform, die<lb/> über kurz oder lang doch kommen muß, vorzubereiten, anstatt mit unwürdigen<lb/> Genossen Chorus zu machen. Die Vorteile für die Geschäftswelt und für den<lb/> Staat hat Herr Nübling sehr richtig dargelegt, jeder Staat würde die neue<lb/> Einnahme brauchen können. In Osterreich z. B. wird seit Jahrzehnten die<lb/> Abschaffung des Lottos ersehnt, nur weiß man nicht den Ausfall zu decken.<lb/> Der Staat ziehe das Ankündigungswesen an sich, und er kann das unmoralische<lb/> I</p> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0205]
Der Leitartikel,
so schnell ausrotten. Mit umso größerer Ausdauer muß man an deren Be¬
seitigung arbeiten. Ein Stimmungsanzeichen ist das immer wiederholte Auf¬
werfen der Frage, wie die jetzige innige Verbindung zwischen Publizistik und
Annoncenwesen beseitigt werden könne. Daraus sollten die Zeitungen, die ein
gutes Gewissen haben, ersehen, daß der Gedanke weder totzureden noch totzu¬
schweigen ist; die andern werden natürlich jeden Versuch einer Reform mit allen
ihnen zu Gebote stehenden Mitteln bekämpfen, denn sie kämpfen um ihre Existenz.
Sie erkennen die volle Bedeutung der Frage. Ob dies bei dem Verfasser des
unlängst in dieser Zeitschrift abgedruckten Aufsatzes „Ein Reichsanzeigeblatt"
der Fall ist, wurde nicht ganz klar. Vielleicht hat er die Konsequenzen seines
Vorschlages absichtlich nnr nach der einen Seite hin verfolgt, und auf alle
Fälle ist es von großem Werte, daß einmal die Sache nur vom geschäftlichen
Standpunkte aus besprochen worden ist. Man versteht auch leicht, weshalb der
Verfasser von einem Monopol nichts wissen mag. Doch wird dies immer das
Ziel bleiben müssen. Erst wenn der Zeitungsverleger oder Zeitungsredccktenr,
welcher Bezahlung genommen, und ebenso derjenige, welcher bestochen hat, wegen
Verstoß gegen das Monopol verfolgt werden kann, ist die Möglichkeit ge¬
geben, der Korruption erfolgreich auf den Leib zu rücken. Zeitungen, die sich
schon in ihren Ankündigungen in eine Reihe mit „Gummiwaaren" und Brandes
Schweizerpillen stellen, würden gewiß auch sehr erfinderisch in Schleichwegen
zur Um 'sum des Gesetzes sein, aber so schwunghaft wie jetzt ginge das
Geschäft uns reinen Fall mehr. Jetzt läuft das Ding so glatt wie ein Uhrwerk.
Der geriebene Inseraten« ;ent verschafft die Mittel zur Besoldung von Korre¬
spondenten, phantasiereichen Reportern und beliebten Novellisten, der Inserate
und des bunten Stoffes halber wird das Blatt auch von Leuten gehalten, die
seine Richtung verabscheuen. Hört einmal die eigentliche Einnahmequelle zu
fließen auf, so werden anständige Blätter wieder konkurriren können, und das
Publikum wird bei dem Abonnement wieder auf den Charakter der Zeitung
sehen. Es wäre denkbar, daß auch dann in Wien ein bvulangeristisches Organ
erschiene und den deutschen Kaiser und dessen Ratgeber über das monarchische
Prinzip und die preußischen Traditionen aufklärte. Aber seine Leitartikel würden
dann Monologe sein. Daß die Einführung einer solchen neuen Ordnung eine
schwere Krisis für alle Zeitungen bedeuten würde, ist unverkennbar, aber die
anständigen Blätter thäten, wie gesagt, wohl, sich lieber auf eine Reform, die
über kurz oder lang doch kommen muß, vorzubereiten, anstatt mit unwürdigen
Genossen Chorus zu machen. Die Vorteile für die Geschäftswelt und für den
Staat hat Herr Nübling sehr richtig dargelegt, jeder Staat würde die neue
Einnahme brauchen können. In Osterreich z. B. wird seit Jahrzehnten die
Abschaffung des Lottos ersehnt, nur weiß man nicht den Ausfall zu decken.
Der Staat ziehe das Ankündigungswesen an sich, und er kann das unmoralische
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