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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

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Goethe als Lrzieher.

insbesondre ist die Eigenschaft der Handelsgesellschaften überaus bestritten, je
nachdem der Sozietäts- oder der Korporationscharakter für bestimmend ange¬
sehen wird, indem keiner von beiden zu reiner Geltung kommt, vielmehr beide
aus Zweckmäßigkeitsgründen mit einander vermengt sind.

(Schluß folgt.)




Goethe als Erzieher.

es habe die Menschen sehr lieb, und das fühlt alt und jung,
suche immer die guten Seiten der Menschen zu erspähen und
überlasse die schlimmen dem, der sie schuf und der es am besten
versteht, die Ecken abzuschleifen. So gestand derselbe Goethe von
sich, der schon zu Lebzeiten mit dem Vorwurf des Egoisten be¬
lastet wurde, sodaß Riemer die abwehrende Bemerkung machen mußte: "Nun
heißt der ein Egoist, der zuerst sich selbst zu etwas machte, um andern etwas
zu sein; der sich zuerst selbst mannichfach ausbildete, um als Gebildeter auch
für andre zu wirken." Indes ist kein Vorurteil gegen Goethe hartnäckiger,
als eben dieses tölpelhafte: sie lasse" den großen Dichter gelten, aber zugleich
erklären sie ihn auch für den großen Egoisten, und merken dabei nicht, daß die
eine Eigenschaft mit der andern in unvereinbarem Widerspruch steht. Wie kaun
man ein großer Künstler, ein großer Dichter sein und der Liebe entbehren?
Wer ist mehr für das Mitleid empfänglich, als der, hellsehende, objektive
Dichter von Goethes Art, der sich unmittelbar in die Zustände und Stim¬
mungen der verschiedensten Charaktere zu versetzen vermag? Wie kann
soviel Weisheit sich in einem Menschen wie Goethe vereinigen mit Selbsncht?
Er war denn auch nichts weniger als Egoist, und wenn irgend etwas davon
auch den beschränktesten Verstand überzeugen kaun, so muß es der Nachweis
sein, daß Goethe ein Kinderfreund der liebenswürdigsten, hingebendsten Art, ein
Erzieher von seltener Begabung gewesen war. Neben seiner reichen Thätigkeit als
Dichter und Forscher, als Beamter und Staatsmann hat Goethe, der seine Zeit
stets wohl zu verwerten wußte, noch immer Muße und Neigung gefunden, über
Erziehung nicht bloß nachzudenken, sondern auch sich selbst praktisch als Erzieher
zu bethätigen. Er war nichts weniger als ein aristokratischer Hagestolz, wie ihn
ferner stehende Zeitgenossen beurteilten; er bewahrte sich bis ins höchste Alter
das Interesse am Familienleben, ganz im Geiste seiner lebensfreudigen Welt¬
anschauung; zu allen Zeiten seines Lebens griff er mit Rat und That fördernd,


Goethe als Lrzieher.

insbesondre ist die Eigenschaft der Handelsgesellschaften überaus bestritten, je
nachdem der Sozietäts- oder der Korporationscharakter für bestimmend ange¬
sehen wird, indem keiner von beiden zu reiner Geltung kommt, vielmehr beide
aus Zweckmäßigkeitsgründen mit einander vermengt sind.

(Schluß folgt.)




Goethe als Erzieher.

es habe die Menschen sehr lieb, und das fühlt alt und jung,
suche immer die guten Seiten der Menschen zu erspähen und
überlasse die schlimmen dem, der sie schuf und der es am besten
versteht, die Ecken abzuschleifen. So gestand derselbe Goethe von
sich, der schon zu Lebzeiten mit dem Vorwurf des Egoisten be¬
lastet wurde, sodaß Riemer die abwehrende Bemerkung machen mußte: „Nun
heißt der ein Egoist, der zuerst sich selbst zu etwas machte, um andern etwas
zu sein; der sich zuerst selbst mannichfach ausbildete, um als Gebildeter auch
für andre zu wirken." Indes ist kein Vorurteil gegen Goethe hartnäckiger,
als eben dieses tölpelhafte: sie lasse» den großen Dichter gelten, aber zugleich
erklären sie ihn auch für den großen Egoisten, und merken dabei nicht, daß die
eine Eigenschaft mit der andern in unvereinbarem Widerspruch steht. Wie kaun
man ein großer Künstler, ein großer Dichter sein und der Liebe entbehren?
Wer ist mehr für das Mitleid empfänglich, als der, hellsehende, objektive
Dichter von Goethes Art, der sich unmittelbar in die Zustände und Stim¬
mungen der verschiedensten Charaktere zu versetzen vermag? Wie kann
soviel Weisheit sich in einem Menschen wie Goethe vereinigen mit Selbsncht?
Er war denn auch nichts weniger als Egoist, und wenn irgend etwas davon
auch den beschränktesten Verstand überzeugen kaun, so muß es der Nachweis
sein, daß Goethe ein Kinderfreund der liebenswürdigsten, hingebendsten Art, ein
Erzieher von seltener Begabung gewesen war. Neben seiner reichen Thätigkeit als
Dichter und Forscher, als Beamter und Staatsmann hat Goethe, der seine Zeit
stets wohl zu verwerten wußte, noch immer Muße und Neigung gefunden, über
Erziehung nicht bloß nachzudenken, sondern auch sich selbst praktisch als Erzieher
zu bethätigen. Er war nichts weniger als ein aristokratischer Hagestolz, wie ihn
ferner stehende Zeitgenossen beurteilten; er bewahrte sich bis ins höchste Alter
das Interesse am Familienleben, ganz im Geiste seiner lebensfreudigen Welt¬
anschauung; zu allen Zeiten seines Lebens griff er mit Rat und That fördernd,


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[0170] Goethe als Lrzieher. insbesondre ist die Eigenschaft der Handelsgesellschaften überaus bestritten, je nachdem der Sozietäts- oder der Korporationscharakter für bestimmend ange¬ sehen wird, indem keiner von beiden zu reiner Geltung kommt, vielmehr beide aus Zweckmäßigkeitsgründen mit einander vermengt sind. (Schluß folgt.) Goethe als Erzieher. es habe die Menschen sehr lieb, und das fühlt alt und jung, suche immer die guten Seiten der Menschen zu erspähen und überlasse die schlimmen dem, der sie schuf und der es am besten versteht, die Ecken abzuschleifen. So gestand derselbe Goethe von sich, der schon zu Lebzeiten mit dem Vorwurf des Egoisten be¬ lastet wurde, sodaß Riemer die abwehrende Bemerkung machen mußte: „Nun heißt der ein Egoist, der zuerst sich selbst zu etwas machte, um andern etwas zu sein; der sich zuerst selbst mannichfach ausbildete, um als Gebildeter auch für andre zu wirken." Indes ist kein Vorurteil gegen Goethe hartnäckiger, als eben dieses tölpelhafte: sie lasse» den großen Dichter gelten, aber zugleich erklären sie ihn auch für den großen Egoisten, und merken dabei nicht, daß die eine Eigenschaft mit der andern in unvereinbarem Widerspruch steht. Wie kaun man ein großer Künstler, ein großer Dichter sein und der Liebe entbehren? Wer ist mehr für das Mitleid empfänglich, als der, hellsehende, objektive Dichter von Goethes Art, der sich unmittelbar in die Zustände und Stim¬ mungen der verschiedensten Charaktere zu versetzen vermag? Wie kann soviel Weisheit sich in einem Menschen wie Goethe vereinigen mit Selbsncht? Er war denn auch nichts weniger als Egoist, und wenn irgend etwas davon auch den beschränktesten Verstand überzeugen kaun, so muß es der Nachweis sein, daß Goethe ein Kinderfreund der liebenswürdigsten, hingebendsten Art, ein Erzieher von seltener Begabung gewesen war. Neben seiner reichen Thätigkeit als Dichter und Forscher, als Beamter und Staatsmann hat Goethe, der seine Zeit stets wohl zu verwerten wußte, noch immer Muße und Neigung gefunden, über Erziehung nicht bloß nachzudenken, sondern auch sich selbst praktisch als Erzieher zu bethätigen. Er war nichts weniger als ein aristokratischer Hagestolz, wie ihn ferner stehende Zeitgenossen beurteilten; er bewahrte sich bis ins höchste Alter das Interesse am Familienleben, ganz im Geiste seiner lebensfreudigen Welt¬ anschauung; zu allen Zeiten seines Lebens griff er mit Rat und That fördernd,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/170>, abgerufen am 22.07.2024.