Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Der Arbeiterkongreß in London.

wahrscheinlich nicht befugt gewesen wären, Mitglieder irgend eines englischen
Gewerkvereins als Fachgenossen anzusprechen; nicht sowohl Arbeiter, als Führer,
Verführer und AufHetzer von solchen würden in London erschienen sein. Es
wäre ein Irrtum, wenn man den Beschluß der Engländer mit politischen oder
sozialpolitischen Gegensätzen erklären wollte. Es stehen hier nur verständige
Auffassung der Dinge, praktischer Sinn und kühles Streben nach erreichbaren
Zielen unklaren Dichten und Trachten und zweckloser Selbstbeschädigung
gegenüber.

Die hegen offenbar den ernstlichen Wunsch, internationale
Maßregeln zum Schutze der Arbeiter getroffen zu sehen, und sie scheinen sich
klar darüber zu sein, daß sie sich deshalb an die Regierungen wenden müssen,
wenn nicht, um sie zu positiver Mitwirkung zu bewegen, so doch, um sie zur
Duldung von Einrichtungen zu gewinnen, die von den Arbeitern selbst geschaffen
werden. Infolge dessen war auf die Regierungen Rücksicht zu nehmen, und das
wäre natürlich nicht geschehen, wenn man nicht von vornherein verhindert hätte,
daß der Kongreß, statt sich mit dem Schutze hilfloser Arbeiter beschäftigen zu
können, von Leuten in Anspruch genommen würde, die hier Abhandlungen über
sozialdemokratische Lieblingsthemen an den Mann bringen zu dürfen meinten.
Die Verhandlungen der Novemberversammlung werden vermutlich zeigen, daß
die englischen Gewerkvereine den Grundsatz der Solidarität nicht so gemütlich
auffassen und deuten wie unsre Sozialdemokraten; sie sind sehr exklusiv und
halten es gewöhnlich mit der Regel: Knopf auf den Beutel!

Nicht zu verwundern ist es, daß die Deutschen, denen die Thür des Kon¬
gresses verschlossen wurde, darüber viel Lärm geschlagen und sich bemüht haben,
das Zusammenkommen des Kongresses zu verhindern. Aber nur die Nord¬
amerikaner scheinen wegbleiben zu wollen, weil den Deutschen durch Nichtzulas¬
sung Unrecht geschehen sei. Die Italiener und Franzosen werden in London
erscheinen. Die Schweizer und Belgier haben den "deutschen Brüdern" ihr Bei¬
leid wegen solcher schlechten Behandlung zu erkennen gegeben, werden aber gleich¬
falls den Kongreß beschicken. Unsre Sozialdemokraten wollen nun für das
Jahr 1889 eine Art Gegenkongreß ausschreiben. Wenn er überhaupt zu stände
kommt, so hat er nicht darauf zu rechnen, von nichtdeutschen stark beschickt zu
werden, wird auch selbstverständlich nichts für den internationalen Schutz der
Arbeiterwelt thun können, da die Regierungen nicht in der Lage sind, sich mit
Sozialisten der revolutionären Art zu gemeinsamem Wirken zu vereinigen.




Der Arbeiterkongreß in London.

wahrscheinlich nicht befugt gewesen wären, Mitglieder irgend eines englischen
Gewerkvereins als Fachgenossen anzusprechen; nicht sowohl Arbeiter, als Führer,
Verführer und AufHetzer von solchen würden in London erschienen sein. Es
wäre ein Irrtum, wenn man den Beschluß der Engländer mit politischen oder
sozialpolitischen Gegensätzen erklären wollte. Es stehen hier nur verständige
Auffassung der Dinge, praktischer Sinn und kühles Streben nach erreichbaren
Zielen unklaren Dichten und Trachten und zweckloser Selbstbeschädigung
gegenüber.

Die hegen offenbar den ernstlichen Wunsch, internationale
Maßregeln zum Schutze der Arbeiter getroffen zu sehen, und sie scheinen sich
klar darüber zu sein, daß sie sich deshalb an die Regierungen wenden müssen,
wenn nicht, um sie zu positiver Mitwirkung zu bewegen, so doch, um sie zur
Duldung von Einrichtungen zu gewinnen, die von den Arbeitern selbst geschaffen
werden. Infolge dessen war auf die Regierungen Rücksicht zu nehmen, und das
wäre natürlich nicht geschehen, wenn man nicht von vornherein verhindert hätte,
daß der Kongreß, statt sich mit dem Schutze hilfloser Arbeiter beschäftigen zu
können, von Leuten in Anspruch genommen würde, die hier Abhandlungen über
sozialdemokratische Lieblingsthemen an den Mann bringen zu dürfen meinten.
Die Verhandlungen der Novemberversammlung werden vermutlich zeigen, daß
die englischen Gewerkvereine den Grundsatz der Solidarität nicht so gemütlich
auffassen und deuten wie unsre Sozialdemokraten; sie sind sehr exklusiv und
halten es gewöhnlich mit der Regel: Knopf auf den Beutel!

Nicht zu verwundern ist es, daß die Deutschen, denen die Thür des Kon¬
gresses verschlossen wurde, darüber viel Lärm geschlagen und sich bemüht haben,
das Zusammenkommen des Kongresses zu verhindern. Aber nur die Nord¬
amerikaner scheinen wegbleiben zu wollen, weil den Deutschen durch Nichtzulas¬
sung Unrecht geschehen sei. Die Italiener und Franzosen werden in London
erscheinen. Die Schweizer und Belgier haben den „deutschen Brüdern" ihr Bei¬
leid wegen solcher schlechten Behandlung zu erkennen gegeben, werden aber gleich¬
falls den Kongreß beschicken. Unsre Sozialdemokraten wollen nun für das
Jahr 1889 eine Art Gegenkongreß ausschreiben. Wenn er überhaupt zu stände
kommt, so hat er nicht darauf zu rechnen, von nichtdeutschen stark beschickt zu
werden, wird auch selbstverständlich nichts für den internationalen Schutz der
Arbeiterwelt thun können, da die Regierungen nicht in der Lage sind, sich mit
Sozialisten der revolutionären Art zu gemeinsamem Wirken zu vereinigen.




<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0015" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/289138"/>
          <fw type="header" place="top"> Der Arbeiterkongreß in London.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_17" prev="#ID_16"> wahrscheinlich nicht befugt gewesen wären, Mitglieder irgend eines englischen<lb/>
Gewerkvereins als Fachgenossen anzusprechen; nicht sowohl Arbeiter, als Führer,<lb/>
Verführer und AufHetzer von solchen würden in London erschienen sein. Es<lb/>
wäre ein Irrtum, wenn man den Beschluß der Engländer mit politischen oder<lb/>
sozialpolitischen Gegensätzen erklären wollte. Es stehen hier nur verständige<lb/>
Auffassung der Dinge, praktischer Sinn und kühles Streben nach erreichbaren<lb/>
Zielen unklaren Dichten und Trachten und zweckloser Selbstbeschädigung<lb/>
gegenüber.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_18"> Die hegen offenbar den ernstlichen Wunsch, internationale<lb/>
Maßregeln zum Schutze der Arbeiter getroffen zu sehen, und sie scheinen sich<lb/>
klar darüber zu sein, daß sie sich deshalb an die Regierungen wenden müssen,<lb/>
wenn nicht, um sie zu positiver Mitwirkung zu bewegen, so doch, um sie zur<lb/>
Duldung von Einrichtungen zu gewinnen, die von den Arbeitern selbst geschaffen<lb/>
werden. Infolge dessen war auf die Regierungen Rücksicht zu nehmen, und das<lb/>
wäre natürlich nicht geschehen, wenn man nicht von vornherein verhindert hätte,<lb/>
daß der Kongreß, statt sich mit dem Schutze hilfloser Arbeiter beschäftigen zu<lb/>
können, von Leuten in Anspruch genommen würde, die hier Abhandlungen über<lb/>
sozialdemokratische Lieblingsthemen an den Mann bringen zu dürfen meinten.<lb/>
Die Verhandlungen der Novemberversammlung werden vermutlich zeigen, daß<lb/>
die englischen Gewerkvereine den Grundsatz der Solidarität nicht so gemütlich<lb/>
auffassen und deuten wie unsre Sozialdemokraten; sie sind sehr exklusiv und<lb/>
halten es gewöhnlich mit der Regel: Knopf auf den Beutel!</p><lb/>
          <p xml:id="ID_19"> Nicht zu verwundern ist es, daß die Deutschen, denen die Thür des Kon¬<lb/>
gresses verschlossen wurde, darüber viel Lärm geschlagen und sich bemüht haben,<lb/>
das Zusammenkommen des Kongresses zu verhindern. Aber nur die Nord¬<lb/>
amerikaner scheinen wegbleiben zu wollen, weil den Deutschen durch Nichtzulas¬<lb/>
sung Unrecht geschehen sei. Die Italiener und Franzosen werden in London<lb/>
erscheinen. Die Schweizer und Belgier haben den &#x201E;deutschen Brüdern" ihr Bei¬<lb/>
leid wegen solcher schlechten Behandlung zu erkennen gegeben, werden aber gleich¬<lb/>
falls den Kongreß beschicken. Unsre Sozialdemokraten wollen nun für das<lb/>
Jahr 1889 eine Art Gegenkongreß ausschreiben. Wenn er überhaupt zu stände<lb/>
kommt, so hat er nicht darauf zu rechnen, von nichtdeutschen stark beschickt zu<lb/>
werden, wird auch selbstverständlich nichts für den internationalen Schutz der<lb/>
Arbeiterwelt thun können, da die Regierungen nicht in der Lage sind, sich mit<lb/>
Sozialisten der revolutionären Art zu gemeinsamem Wirken zu vereinigen.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0015] Der Arbeiterkongreß in London. wahrscheinlich nicht befugt gewesen wären, Mitglieder irgend eines englischen Gewerkvereins als Fachgenossen anzusprechen; nicht sowohl Arbeiter, als Führer, Verführer und AufHetzer von solchen würden in London erschienen sein. Es wäre ein Irrtum, wenn man den Beschluß der Engländer mit politischen oder sozialpolitischen Gegensätzen erklären wollte. Es stehen hier nur verständige Auffassung der Dinge, praktischer Sinn und kühles Streben nach erreichbaren Zielen unklaren Dichten und Trachten und zweckloser Selbstbeschädigung gegenüber. Die hegen offenbar den ernstlichen Wunsch, internationale Maßregeln zum Schutze der Arbeiter getroffen zu sehen, und sie scheinen sich klar darüber zu sein, daß sie sich deshalb an die Regierungen wenden müssen, wenn nicht, um sie zu positiver Mitwirkung zu bewegen, so doch, um sie zur Duldung von Einrichtungen zu gewinnen, die von den Arbeitern selbst geschaffen werden. Infolge dessen war auf die Regierungen Rücksicht zu nehmen, und das wäre natürlich nicht geschehen, wenn man nicht von vornherein verhindert hätte, daß der Kongreß, statt sich mit dem Schutze hilfloser Arbeiter beschäftigen zu können, von Leuten in Anspruch genommen würde, die hier Abhandlungen über sozialdemokratische Lieblingsthemen an den Mann bringen zu dürfen meinten. Die Verhandlungen der Novemberversammlung werden vermutlich zeigen, daß die englischen Gewerkvereine den Grundsatz der Solidarität nicht so gemütlich auffassen und deuten wie unsre Sozialdemokraten; sie sind sehr exklusiv und halten es gewöhnlich mit der Regel: Knopf auf den Beutel! Nicht zu verwundern ist es, daß die Deutschen, denen die Thür des Kon¬ gresses verschlossen wurde, darüber viel Lärm geschlagen und sich bemüht haben, das Zusammenkommen des Kongresses zu verhindern. Aber nur die Nord¬ amerikaner scheinen wegbleiben zu wollen, weil den Deutschen durch Nichtzulas¬ sung Unrecht geschehen sei. Die Italiener und Franzosen werden in London erscheinen. Die Schweizer und Belgier haben den „deutschen Brüdern" ihr Bei¬ leid wegen solcher schlechten Behandlung zu erkennen gegeben, werden aber gleich¬ falls den Kongreß beschicken. Unsre Sozialdemokraten wollen nun für das Jahr 1889 eine Art Gegenkongreß ausschreiben. Wenn er überhaupt zu stände kommt, so hat er nicht darauf zu rechnen, von nichtdeutschen stark beschickt zu werden, wird auch selbstverständlich nichts für den internationalen Schutz der Arbeiterwelt thun können, da die Regierungen nicht in der Lage sind, sich mit Sozialisten der revolutionären Art zu gemeinsamem Wirken zu vereinigen.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/15
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/15>, abgerufen am 22.07.2024.