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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

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Tagebuchblätter eines Sonntagsphilosophen.

Vielen seiner Ausspriiche über die Deutschen, ich weiß noch, welches Weh sie
mir vor Jahren erweckten, wenn das oft klang, als rede er von ihnen wie aus
dem Monde herunter, als gingen sie ihn nichts weiter an, außer wo es zu
schelten, ja zu schimpfen galt. Aber auch darin war er ein Kind seiner schlimmen
Zeit. Es ist noch nicht lange her, daß es förmlich guter Ton war, von den
Deutschen, den "guten Deutschen" so zu reden, daß man sich außer ihnen hinaus,
möglichst hoch über sie stellte, um sich selbst sicher als etwas Rechtes für sich
zu fühlen; wer die Erscheinung nachträglich studieren wollte, würde wohl finden,
daß auch das erst seit 1870 langsam aus der Mode gekommen ist. Wie es
früher entwickelt war, kann man z. B. an einer brieflichen Äußerung Knebels
an Goethe vom 12. März 1814 empfinden, die doch auch die Umkehr zeigt:
"Die Deutschen geben sich jetzt Mühe, wie es scheint, ihre Nation zu einer
Nation zu bilden," wohlbemerkt noch im März 1814 nur "wie es scheint"!
und "die Deutschen," so als ob er durchaus draußen stünde, fern und hoch wie
ein unbeteiligter kühler Gelehrter, der für eine Geschichte Notizen sammelt.
Allerdings heißt es dann, mit Umkehr: "Dahin sollten alle Hände oder vielmehr
Köpfe gerichtet sein" und: "den braven guten Willen, den gegenwärtig die
Nation zeigt, hätte man auch kaum erwarten können." Hätten aber alle be¬
rufenen Geister so gedacht und sich so kühl fern gehalten, bis allenfalls solche
Stöße an sie kamen, wie damals bis ins Jahr 1806 zurück, hätten z. B. auch
Leibniz, Fichte, Schleiermacher, Stein und die Tapfern alle so gedacht und
geredet und gewirkt, was wäre aus uns geworden? Da dachte die Französin,
durch deren Schrift ac 1'^.lleing.Alls die Äußerung Knebels veranlaßt war,
anders von uns als die deutschen Weimaraner; in der Vorrede vom 1. October
1813, also vor der Leipziger Schlacht, schreibt sie: ^'in an aus les ^llowanäs
n'vtoient xg,8 rav vation, mais cerdo8 ils äonvout an mena" waintsvMt
ä'Köroiougs ä^me-litis Z. oetts e-ranke, spricht dann auch von der Schande der
deutschen Landsleute, die ihren Unterdrückern beistehen, an mchris as leurs
meines, Iss ?rimyg,i8, sie mag ihre Namen gar nicht nennen. So hatte
die Fremde die gesunde Empfindung für uns, die bei uns so gebrochen war!
Den einzigen Trost dabei giebt die Geschichte um ein Paar Jahrhunderte rück¬
wärts, wo klar wird, wie auch dieser Schandzustand lange vorbereitet und aus
den jammervollen deutschen Reichsverhältnissen erwachsen war, er ist nun aber
auch in der Wurzel abgeschnitten.

Was Goethe in den entsetzlichen Jahren in sich doch gelitten hat als
Deutscher und als Mensch, davon wäre viel zu sagen, er war geübt, dergleichen
in sich zu verbergen und still zu verdauen, wenn ers nicht als Dichter ver¬
arbeiten konnte. Nur als Probe die merkwürdige Auslassung gegen den
Kanzler von Müller vom 14. December 1803: "Ich studiere jetzt die ältere
französische Litteratur ganz gründlich wieder, um ein ernstes Wort mit den
Franzosen sprechen zu können," in welchem Sinne, wird leider nicht klar, es


Tagebuchblätter eines Sonntagsphilosophen.

Vielen seiner Ausspriiche über die Deutschen, ich weiß noch, welches Weh sie
mir vor Jahren erweckten, wenn das oft klang, als rede er von ihnen wie aus
dem Monde herunter, als gingen sie ihn nichts weiter an, außer wo es zu
schelten, ja zu schimpfen galt. Aber auch darin war er ein Kind seiner schlimmen
Zeit. Es ist noch nicht lange her, daß es förmlich guter Ton war, von den
Deutschen, den „guten Deutschen" so zu reden, daß man sich außer ihnen hinaus,
möglichst hoch über sie stellte, um sich selbst sicher als etwas Rechtes für sich
zu fühlen; wer die Erscheinung nachträglich studieren wollte, würde wohl finden,
daß auch das erst seit 1870 langsam aus der Mode gekommen ist. Wie es
früher entwickelt war, kann man z. B. an einer brieflichen Äußerung Knebels
an Goethe vom 12. März 1814 empfinden, die doch auch die Umkehr zeigt:
„Die Deutschen geben sich jetzt Mühe, wie es scheint, ihre Nation zu einer
Nation zu bilden," wohlbemerkt noch im März 1814 nur „wie es scheint"!
und „die Deutschen," so als ob er durchaus draußen stünde, fern und hoch wie
ein unbeteiligter kühler Gelehrter, der für eine Geschichte Notizen sammelt.
Allerdings heißt es dann, mit Umkehr: „Dahin sollten alle Hände oder vielmehr
Köpfe gerichtet sein" und: „den braven guten Willen, den gegenwärtig die
Nation zeigt, hätte man auch kaum erwarten können." Hätten aber alle be¬
rufenen Geister so gedacht und sich so kühl fern gehalten, bis allenfalls solche
Stöße an sie kamen, wie damals bis ins Jahr 1806 zurück, hätten z. B. auch
Leibniz, Fichte, Schleiermacher, Stein und die Tapfern alle so gedacht und
geredet und gewirkt, was wäre aus uns geworden? Da dachte die Französin,
durch deren Schrift ac 1'^.lleing.Alls die Äußerung Knebels veranlaßt war,
anders von uns als die deutschen Weimaraner; in der Vorrede vom 1. October
1813, also vor der Leipziger Schlacht, schreibt sie: ^'in an aus les ^llowanäs
n'vtoient xg,8 rav vation, mais cerdo8 ils äonvout an mena« waintsvMt
ä'Köroiougs ä^me-litis Z. oetts e-ranke, spricht dann auch von der Schande der
deutschen Landsleute, die ihren Unterdrückern beistehen, an mchris as leurs
meines, Iss ?rimyg,i8, sie mag ihre Namen gar nicht nennen. So hatte
die Fremde die gesunde Empfindung für uns, die bei uns so gebrochen war!
Den einzigen Trost dabei giebt die Geschichte um ein Paar Jahrhunderte rück¬
wärts, wo klar wird, wie auch dieser Schandzustand lange vorbereitet und aus
den jammervollen deutschen Reichsverhältnissen erwachsen war, er ist nun aber
auch in der Wurzel abgeschnitten.

Was Goethe in den entsetzlichen Jahren in sich doch gelitten hat als
Deutscher und als Mensch, davon wäre viel zu sagen, er war geübt, dergleichen
in sich zu verbergen und still zu verdauen, wenn ers nicht als Dichter ver¬
arbeiten konnte. Nur als Probe die merkwürdige Auslassung gegen den
Kanzler von Müller vom 14. December 1803: „Ich studiere jetzt die ältere
französische Litteratur ganz gründlich wieder, um ein ernstes Wort mit den
Franzosen sprechen zu können," in welchem Sinne, wird leider nicht klar, es


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/135>, abgerufen am 22.07.2024.