Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Marskarten.

diesjährigen Erdnähe Erscheinungen beobachtet worden, die das allgemeinste
Interesse erregen dürften.

Der Wunsch, die Beschaffenheit der Himmelskörper jenseits unsrer Erde
kennen zu lernen, ist zu allen Zeiten rege gewesen. Die Himmelskunde mußte
aber sehr bald erkennen, daß bei der fast unendlichen Entfernung der Sterne,
selbst wenn man noch so mächtige Fernröhre baue, nicht sehr viel von der
Oberflächenbeschaffenheit der Gestirne würde erforscht werden können. Nur über
die Nachbarplaneten unsrer Erde, die sich uns in kürzern Zwischenräumen bis auf
verhältnismäßig kleine Entfernungen nähern, konnte man Aufschlüsse erwarten.
Derjenige Planet, welcher unsrer Erde bei seinem Laufe um die Sonne am
nächsten kommt, ist nun zwar nicht der Mars, sondern die Venus. Allein diese
zeigt uns zur Zeit ihrer größten Erdnähe ihre unbeleuchtete, dunkle Seite, weil
sie dann gerade zwischen Sonne und Erde steht, und so können wir zu dieser
Zeit ihre Oberflächenbeschaffenheit nicht erkennen. Viel günstiger liegen die
Verhältnisse beim Mars. Der Mars steht zur Zeit seiner größten Erdnähe
-- er nähert sich uns bis auf 55 Millionen Kilometer -- der Sonne gerade
gegenüber, er erscheint also für unser Auge voll vom Sonnenlichte beleuchtet.
In dieser Stellung zur Erde erscheint er, obwohl er viel kleiner ist als unsre
Erde -- er hat einen Durchmesser von nur 6700 Kilometern, und seine Gesamt¬
masse beträgt nur den zehnten Teil von der der Erde --, in den stärker" astro¬
nomischen Fernröhren als eine ziemlich große runde Scheibe, auf der in raschem
Wechsel dunkle und helle Teile auf einander folgen. Schon die unvollkom¬
meneren optischen Instrumente der frühern Zeiten ließen dunkle Flecken auf der
Marsoberfläche erkennen, und so war es von jeher ein Lieblingsstudium der
Astronomen, die Oberflächenbeschaffenheit des Mars zu erforschen. Zu der so
ausnehmend günstigen Stellung, in die der Planet zu unsrer Erde kommt,
kamen aber noch Erwägungen andrer Art, welche hoffen ließen, aus der Ober¬
flächenbeschaffenheit des Mars nicht nur interessante Aufschlüsse über die Ver¬
hältnisse und Erscheinungen auf diesem Planeten selbst, sondern auch rückschließend
über die großen Wandlungen in der Entwicklungsgeschichte unsrer Erde zu er¬
langen. Der Mars ist nämlich derjenige unter den Planeten, der die nächsten
verwandtschaftlichen Beziehungen zur Erde hat. Ist er, was nicht unwahr¬
scheinlich ist, der nächstältere Bruder der Erde, so dürfen wir annehmen, daß
die Erscheinungen auf seiner Oberfläche uns bis zu einem gewissen Grade ein
Zukunftsbild unsers eignen Planeten entrollen werden, wodurch er das aller¬
größte und allgemeinste Interesse erlangt. Die Ähnlichkeiten mit den Erscheinungen
und Vorgängen auf der Erde sind vielleicht sogar noch vollständiger, als es
auf den ersten Blick scheinen mag. Die Bedingungen für die Übereinstimmung
in dem Lcbensprozesse der Planetenoberflächen, und namentlich auch für das
Vorhandensein organischer Wesen, sind ja ganz wesentlich in dem Grade der
Bestrahlung dieser Welten durch die Sonne gegeben. Nun scheint es freilich,


Marskarten.

diesjährigen Erdnähe Erscheinungen beobachtet worden, die das allgemeinste
Interesse erregen dürften.

Der Wunsch, die Beschaffenheit der Himmelskörper jenseits unsrer Erde
kennen zu lernen, ist zu allen Zeiten rege gewesen. Die Himmelskunde mußte
aber sehr bald erkennen, daß bei der fast unendlichen Entfernung der Sterne,
selbst wenn man noch so mächtige Fernröhre baue, nicht sehr viel von der
Oberflächenbeschaffenheit der Gestirne würde erforscht werden können. Nur über
die Nachbarplaneten unsrer Erde, die sich uns in kürzern Zwischenräumen bis auf
verhältnismäßig kleine Entfernungen nähern, konnte man Aufschlüsse erwarten.
Derjenige Planet, welcher unsrer Erde bei seinem Laufe um die Sonne am
nächsten kommt, ist nun zwar nicht der Mars, sondern die Venus. Allein diese
zeigt uns zur Zeit ihrer größten Erdnähe ihre unbeleuchtete, dunkle Seite, weil
sie dann gerade zwischen Sonne und Erde steht, und so können wir zu dieser
Zeit ihre Oberflächenbeschaffenheit nicht erkennen. Viel günstiger liegen die
Verhältnisse beim Mars. Der Mars steht zur Zeit seiner größten Erdnähe
— er nähert sich uns bis auf 55 Millionen Kilometer — der Sonne gerade
gegenüber, er erscheint also für unser Auge voll vom Sonnenlichte beleuchtet.
In dieser Stellung zur Erde erscheint er, obwohl er viel kleiner ist als unsre
Erde — er hat einen Durchmesser von nur 6700 Kilometern, und seine Gesamt¬
masse beträgt nur den zehnten Teil von der der Erde —, in den stärker» astro¬
nomischen Fernröhren als eine ziemlich große runde Scheibe, auf der in raschem
Wechsel dunkle und helle Teile auf einander folgen. Schon die unvollkom¬
meneren optischen Instrumente der frühern Zeiten ließen dunkle Flecken auf der
Marsoberfläche erkennen, und so war es von jeher ein Lieblingsstudium der
Astronomen, die Oberflächenbeschaffenheit des Mars zu erforschen. Zu der so
ausnehmend günstigen Stellung, in die der Planet zu unsrer Erde kommt,
kamen aber noch Erwägungen andrer Art, welche hoffen ließen, aus der Ober¬
flächenbeschaffenheit des Mars nicht nur interessante Aufschlüsse über die Ver¬
hältnisse und Erscheinungen auf diesem Planeten selbst, sondern auch rückschließend
über die großen Wandlungen in der Entwicklungsgeschichte unsrer Erde zu er¬
langen. Der Mars ist nämlich derjenige unter den Planeten, der die nächsten
verwandtschaftlichen Beziehungen zur Erde hat. Ist er, was nicht unwahr¬
scheinlich ist, der nächstältere Bruder der Erde, so dürfen wir annehmen, daß
die Erscheinungen auf seiner Oberfläche uns bis zu einem gewissen Grade ein
Zukunftsbild unsers eignen Planeten entrollen werden, wodurch er das aller¬
größte und allgemeinste Interesse erlangt. Die Ähnlichkeiten mit den Erscheinungen
und Vorgängen auf der Erde sind vielleicht sogar noch vollständiger, als es
auf den ersten Blick scheinen mag. Die Bedingungen für die Übereinstimmung
in dem Lcbensprozesse der Planetenoberflächen, und namentlich auch für das
Vorhandensein organischer Wesen, sind ja ganz wesentlich in dem Grade der
Bestrahlung dieser Welten durch die Sonne gegeben. Nun scheint es freilich,


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0128" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/289251"/>
          <fw type="header" place="top"> Marskarten.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_438" prev="#ID_437"> diesjährigen Erdnähe Erscheinungen beobachtet worden, die das allgemeinste<lb/>
Interesse erregen dürften.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_439" next="#ID_440"> Der Wunsch, die Beschaffenheit der Himmelskörper jenseits unsrer Erde<lb/>
kennen zu lernen, ist zu allen Zeiten rege gewesen. Die Himmelskunde mußte<lb/>
aber sehr bald erkennen, daß bei der fast unendlichen Entfernung der Sterne,<lb/>
selbst wenn man noch so mächtige Fernröhre baue, nicht sehr viel von der<lb/>
Oberflächenbeschaffenheit der Gestirne würde erforscht werden können. Nur über<lb/>
die Nachbarplaneten unsrer Erde, die sich uns in kürzern Zwischenräumen bis auf<lb/>
verhältnismäßig kleine Entfernungen nähern, konnte man Aufschlüsse erwarten.<lb/>
Derjenige Planet, welcher unsrer Erde bei seinem Laufe um die Sonne am<lb/>
nächsten kommt, ist nun zwar nicht der Mars, sondern die Venus. Allein diese<lb/>
zeigt uns zur Zeit ihrer größten Erdnähe ihre unbeleuchtete, dunkle Seite, weil<lb/>
sie dann gerade zwischen Sonne und Erde steht, und so können wir zu dieser<lb/>
Zeit ihre Oberflächenbeschaffenheit nicht erkennen. Viel günstiger liegen die<lb/>
Verhältnisse beim Mars. Der Mars steht zur Zeit seiner größten Erdnähe<lb/>
&#x2014; er nähert sich uns bis auf 55 Millionen Kilometer &#x2014; der Sonne gerade<lb/>
gegenüber, er erscheint also für unser Auge voll vom Sonnenlichte beleuchtet.<lb/>
In dieser Stellung zur Erde erscheint er, obwohl er viel kleiner ist als unsre<lb/>
Erde &#x2014; er hat einen Durchmesser von nur 6700 Kilometern, und seine Gesamt¬<lb/>
masse beträgt nur den zehnten Teil von der der Erde &#x2014;, in den stärker» astro¬<lb/>
nomischen Fernröhren als eine ziemlich große runde Scheibe, auf der in raschem<lb/>
Wechsel dunkle und helle Teile auf einander folgen. Schon die unvollkom¬<lb/>
meneren optischen Instrumente der frühern Zeiten ließen dunkle Flecken auf der<lb/>
Marsoberfläche erkennen, und so war es von jeher ein Lieblingsstudium der<lb/>
Astronomen, die Oberflächenbeschaffenheit des Mars zu erforschen. Zu der so<lb/>
ausnehmend günstigen Stellung, in die der Planet zu unsrer Erde kommt,<lb/>
kamen aber noch Erwägungen andrer Art, welche hoffen ließen, aus der Ober¬<lb/>
flächenbeschaffenheit des Mars nicht nur interessante Aufschlüsse über die Ver¬<lb/>
hältnisse und Erscheinungen auf diesem Planeten selbst, sondern auch rückschließend<lb/>
über die großen Wandlungen in der Entwicklungsgeschichte unsrer Erde zu er¬<lb/>
langen. Der Mars ist nämlich derjenige unter den Planeten, der die nächsten<lb/>
verwandtschaftlichen Beziehungen zur Erde hat. Ist er, was nicht unwahr¬<lb/>
scheinlich ist, der nächstältere Bruder der Erde, so dürfen wir annehmen, daß<lb/>
die Erscheinungen auf seiner Oberfläche uns bis zu einem gewissen Grade ein<lb/>
Zukunftsbild unsers eignen Planeten entrollen werden, wodurch er das aller¬<lb/>
größte und allgemeinste Interesse erlangt. Die Ähnlichkeiten mit den Erscheinungen<lb/>
und Vorgängen auf der Erde sind vielleicht sogar noch vollständiger, als es<lb/>
auf den ersten Blick scheinen mag. Die Bedingungen für die Übereinstimmung<lb/>
in dem Lcbensprozesse der Planetenoberflächen, und namentlich auch für das<lb/>
Vorhandensein organischer Wesen, sind ja ganz wesentlich in dem Grade der<lb/>
Bestrahlung dieser Welten durch die Sonne gegeben.  Nun scheint es freilich,</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0128] Marskarten. diesjährigen Erdnähe Erscheinungen beobachtet worden, die das allgemeinste Interesse erregen dürften. Der Wunsch, die Beschaffenheit der Himmelskörper jenseits unsrer Erde kennen zu lernen, ist zu allen Zeiten rege gewesen. Die Himmelskunde mußte aber sehr bald erkennen, daß bei der fast unendlichen Entfernung der Sterne, selbst wenn man noch so mächtige Fernröhre baue, nicht sehr viel von der Oberflächenbeschaffenheit der Gestirne würde erforscht werden können. Nur über die Nachbarplaneten unsrer Erde, die sich uns in kürzern Zwischenräumen bis auf verhältnismäßig kleine Entfernungen nähern, konnte man Aufschlüsse erwarten. Derjenige Planet, welcher unsrer Erde bei seinem Laufe um die Sonne am nächsten kommt, ist nun zwar nicht der Mars, sondern die Venus. Allein diese zeigt uns zur Zeit ihrer größten Erdnähe ihre unbeleuchtete, dunkle Seite, weil sie dann gerade zwischen Sonne und Erde steht, und so können wir zu dieser Zeit ihre Oberflächenbeschaffenheit nicht erkennen. Viel günstiger liegen die Verhältnisse beim Mars. Der Mars steht zur Zeit seiner größten Erdnähe — er nähert sich uns bis auf 55 Millionen Kilometer — der Sonne gerade gegenüber, er erscheint also für unser Auge voll vom Sonnenlichte beleuchtet. In dieser Stellung zur Erde erscheint er, obwohl er viel kleiner ist als unsre Erde — er hat einen Durchmesser von nur 6700 Kilometern, und seine Gesamt¬ masse beträgt nur den zehnten Teil von der der Erde —, in den stärker» astro¬ nomischen Fernröhren als eine ziemlich große runde Scheibe, auf der in raschem Wechsel dunkle und helle Teile auf einander folgen. Schon die unvollkom¬ meneren optischen Instrumente der frühern Zeiten ließen dunkle Flecken auf der Marsoberfläche erkennen, und so war es von jeher ein Lieblingsstudium der Astronomen, die Oberflächenbeschaffenheit des Mars zu erforschen. Zu der so ausnehmend günstigen Stellung, in die der Planet zu unsrer Erde kommt, kamen aber noch Erwägungen andrer Art, welche hoffen ließen, aus der Ober¬ flächenbeschaffenheit des Mars nicht nur interessante Aufschlüsse über die Ver¬ hältnisse und Erscheinungen auf diesem Planeten selbst, sondern auch rückschließend über die großen Wandlungen in der Entwicklungsgeschichte unsrer Erde zu er¬ langen. Der Mars ist nämlich derjenige unter den Planeten, der die nächsten verwandtschaftlichen Beziehungen zur Erde hat. Ist er, was nicht unwahr¬ scheinlich ist, der nächstältere Bruder der Erde, so dürfen wir annehmen, daß die Erscheinungen auf seiner Oberfläche uns bis zu einem gewissen Grade ein Zukunftsbild unsers eignen Planeten entrollen werden, wodurch er das aller¬ größte und allgemeinste Interesse erlangt. Die Ähnlichkeiten mit den Erscheinungen und Vorgängen auf der Erde sind vielleicht sogar noch vollständiger, als es auf den ersten Blick scheinen mag. Die Bedingungen für die Übereinstimmung in dem Lcbensprozesse der Planetenoberflächen, und namentlich auch für das Vorhandensein organischer Wesen, sind ja ganz wesentlich in dem Grade der Bestrahlung dieser Welten durch die Sonne gegeben. Nun scheint es freilich,

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/128
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/128>, abgerufen am 22.07.2024.