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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

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Die Kriegsmacht des Lriedensbundes und die seiner Gegner,

darauf hinweist, daß neben dem in seiner Stärke stehen gebliebenen Heere die
beiden Landwehren sich in den letzten beiden Jahrzehnten zu kräftigen Orga¬
nismen entwickelt hätten, die mit Beruhigung in die Schlachtordnung eingestellt
werden könnten, so ist das doch nur teilweise richtig. Denn kein Sachverstän¬
diger wird sich darüber täuschen, daß Truppen mit der sehr geringen Dienstzeit
der ungarischen Honveds und der österreichischen Landwehr, die in mancher
Hinsicht besonders zurückgeblieben ist, nicht denselben Halt in schwierigen Lagen
eines Feldzuges zu zeigen vermögen, wie Truppen mit dreijähriger Dienstzeit,
die überdies in der Lage sind, sich einen größern Bestand brauchbarer Unter¬
offiziere heranzubilden. Auch kann niemand daran zweifeln, daß Truppen,
deren Kompagnien und Schwadronen mit drei Berufsoffizieren und einem Re¬
serveoffizier ins Feld rücken, doch etwas besseres sind als solche, deren Unter¬
abteilungen mit einem Berufsoffizier, oder auch gar keinem, und drei Offizieren
des Beurlaubtenstandes gegen den Feind marschiren müssen. Natürliche An¬
stelligkeit, allgemeine Bildung und patriotische Hingebung können viel leisten,
aber in einer Welt voll materieller Schwierigkeiten und technischer Aufgaben
werden handwerksmäßige Übung und Erfahrung, die genügend nur durch längeres
Verbleiben bei der Sache erworben werden können, deshalb nicht entbehrlich.
Es würde daher gut sein, wenn man dies beherzigte und bald dazu thäte, den
angedeuteten Mängeln abzuhelfen. In Ungarn wird ja auch die Notwendigkeit
einer Reform in maßgebenden Kreisen schon seit geraumer Zeit anerkannt.
(Nach neuern Nachrichten wird den beiden Parlamenten der Monarchie im
Oktober d. I. ein neues Wehrgesetz vorgelegt werden, und es ist beabsichtigt,
dieses spätestens am 1. Januar 1839 in beiden Reichshälften zu veröffentlichen
und am 1. Januar 1890 ins Leben treten zu lassen.)

Auch die neue Großmacht Italien kann den Frieden in Verbindung mit
dem deutschen Reiche mit sehr ansehnlichen Streitkräften verteidigen helfen. Wie
bei unserm nächsten Bundesgenossen, ist hier in dem letzten Vierteljahrhundertc
auf militärischem Gebiete viel geändert und viel neues geschaffen worden, und es
hat sich auf der Grundlage der piemontesischen Armee ein einheitliches National¬
heer entwickelt, auf welches das Land mit Stolz und Vertrauen blicken kann.
Damit ist allerdings vorzüglich die Feldarmee gemeint, an die der Kriegsminister
Rieotti zunächst dachte, als er am 16. Dezember 1886 vor dem römischen Par¬
lamente erklärte, Italien sei imstande, jederzeit ohne Schwierigkeit eine halbe
Million Soldaten um seine Fahnen zu versammeln und marschiren zu lassen.
Nach den Listen hatte das Land damals noch weit mehr wehrfähige Mann¬
schaften, nämlich im ganzen 902112 Mann, die für das stehende Heer,
285 307, die für die mobile Miliz, und 1 309 709, die für die Territorialmiliz
verfügbar waren. Doch waren das nur Massen auf dem Papier, von denen
weit über die Hälfte nur geringe oder auch gar keine militärische Übung ge¬
nossen hatten. Wie in andern Staaten, herrscht auch in Italien gesetzlich die


Die Kriegsmacht des Lriedensbundes und die seiner Gegner,

darauf hinweist, daß neben dem in seiner Stärke stehen gebliebenen Heere die
beiden Landwehren sich in den letzten beiden Jahrzehnten zu kräftigen Orga¬
nismen entwickelt hätten, die mit Beruhigung in die Schlachtordnung eingestellt
werden könnten, so ist das doch nur teilweise richtig. Denn kein Sachverstän¬
diger wird sich darüber täuschen, daß Truppen mit der sehr geringen Dienstzeit
der ungarischen Honveds und der österreichischen Landwehr, die in mancher
Hinsicht besonders zurückgeblieben ist, nicht denselben Halt in schwierigen Lagen
eines Feldzuges zu zeigen vermögen, wie Truppen mit dreijähriger Dienstzeit,
die überdies in der Lage sind, sich einen größern Bestand brauchbarer Unter¬
offiziere heranzubilden. Auch kann niemand daran zweifeln, daß Truppen,
deren Kompagnien und Schwadronen mit drei Berufsoffizieren und einem Re¬
serveoffizier ins Feld rücken, doch etwas besseres sind als solche, deren Unter¬
abteilungen mit einem Berufsoffizier, oder auch gar keinem, und drei Offizieren
des Beurlaubtenstandes gegen den Feind marschiren müssen. Natürliche An¬
stelligkeit, allgemeine Bildung und patriotische Hingebung können viel leisten,
aber in einer Welt voll materieller Schwierigkeiten und technischer Aufgaben
werden handwerksmäßige Übung und Erfahrung, die genügend nur durch längeres
Verbleiben bei der Sache erworben werden können, deshalb nicht entbehrlich.
Es würde daher gut sein, wenn man dies beherzigte und bald dazu thäte, den
angedeuteten Mängeln abzuhelfen. In Ungarn wird ja auch die Notwendigkeit
einer Reform in maßgebenden Kreisen schon seit geraumer Zeit anerkannt.
(Nach neuern Nachrichten wird den beiden Parlamenten der Monarchie im
Oktober d. I. ein neues Wehrgesetz vorgelegt werden, und es ist beabsichtigt,
dieses spätestens am 1. Januar 1839 in beiden Reichshälften zu veröffentlichen
und am 1. Januar 1890 ins Leben treten zu lassen.)

Auch die neue Großmacht Italien kann den Frieden in Verbindung mit
dem deutschen Reiche mit sehr ansehnlichen Streitkräften verteidigen helfen. Wie
bei unserm nächsten Bundesgenossen, ist hier in dem letzten Vierteljahrhundertc
auf militärischem Gebiete viel geändert und viel neues geschaffen worden, und es
hat sich auf der Grundlage der piemontesischen Armee ein einheitliches National¬
heer entwickelt, auf welches das Land mit Stolz und Vertrauen blicken kann.
Damit ist allerdings vorzüglich die Feldarmee gemeint, an die der Kriegsminister
Rieotti zunächst dachte, als er am 16. Dezember 1886 vor dem römischen Par¬
lamente erklärte, Italien sei imstande, jederzeit ohne Schwierigkeit eine halbe
Million Soldaten um seine Fahnen zu versammeln und marschiren zu lassen.
Nach den Listen hatte das Land damals noch weit mehr wehrfähige Mann¬
schaften, nämlich im ganzen 902112 Mann, die für das stehende Heer,
285 307, die für die mobile Miliz, und 1 309 709, die für die Territorialmiliz
verfügbar waren. Doch waren das nur Massen auf dem Papier, von denen
weit über die Hälfte nur geringe oder auch gar keine militärische Übung ge¬
nossen hatten. Wie in andern Staaten, herrscht auch in Italien gesetzlich die


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[0124] Die Kriegsmacht des Lriedensbundes und die seiner Gegner, darauf hinweist, daß neben dem in seiner Stärke stehen gebliebenen Heere die beiden Landwehren sich in den letzten beiden Jahrzehnten zu kräftigen Orga¬ nismen entwickelt hätten, die mit Beruhigung in die Schlachtordnung eingestellt werden könnten, so ist das doch nur teilweise richtig. Denn kein Sachverstän¬ diger wird sich darüber täuschen, daß Truppen mit der sehr geringen Dienstzeit der ungarischen Honveds und der österreichischen Landwehr, die in mancher Hinsicht besonders zurückgeblieben ist, nicht denselben Halt in schwierigen Lagen eines Feldzuges zu zeigen vermögen, wie Truppen mit dreijähriger Dienstzeit, die überdies in der Lage sind, sich einen größern Bestand brauchbarer Unter¬ offiziere heranzubilden. Auch kann niemand daran zweifeln, daß Truppen, deren Kompagnien und Schwadronen mit drei Berufsoffizieren und einem Re¬ serveoffizier ins Feld rücken, doch etwas besseres sind als solche, deren Unter¬ abteilungen mit einem Berufsoffizier, oder auch gar keinem, und drei Offizieren des Beurlaubtenstandes gegen den Feind marschiren müssen. Natürliche An¬ stelligkeit, allgemeine Bildung und patriotische Hingebung können viel leisten, aber in einer Welt voll materieller Schwierigkeiten und technischer Aufgaben werden handwerksmäßige Übung und Erfahrung, die genügend nur durch längeres Verbleiben bei der Sache erworben werden können, deshalb nicht entbehrlich. Es würde daher gut sein, wenn man dies beherzigte und bald dazu thäte, den angedeuteten Mängeln abzuhelfen. In Ungarn wird ja auch die Notwendigkeit einer Reform in maßgebenden Kreisen schon seit geraumer Zeit anerkannt. (Nach neuern Nachrichten wird den beiden Parlamenten der Monarchie im Oktober d. I. ein neues Wehrgesetz vorgelegt werden, und es ist beabsichtigt, dieses spätestens am 1. Januar 1839 in beiden Reichshälften zu veröffentlichen und am 1. Januar 1890 ins Leben treten zu lassen.) Auch die neue Großmacht Italien kann den Frieden in Verbindung mit dem deutschen Reiche mit sehr ansehnlichen Streitkräften verteidigen helfen. Wie bei unserm nächsten Bundesgenossen, ist hier in dem letzten Vierteljahrhundertc auf militärischem Gebiete viel geändert und viel neues geschaffen worden, und es hat sich auf der Grundlage der piemontesischen Armee ein einheitliches National¬ heer entwickelt, auf welches das Land mit Stolz und Vertrauen blicken kann. Damit ist allerdings vorzüglich die Feldarmee gemeint, an die der Kriegsminister Rieotti zunächst dachte, als er am 16. Dezember 1886 vor dem römischen Par¬ lamente erklärte, Italien sei imstande, jederzeit ohne Schwierigkeit eine halbe Million Soldaten um seine Fahnen zu versammeln und marschiren zu lassen. Nach den Listen hatte das Land damals noch weit mehr wehrfähige Mann¬ schaften, nämlich im ganzen 902112 Mann, die für das stehende Heer, 285 307, die für die mobile Miliz, und 1 309 709, die für die Territorialmiliz verfügbar waren. Doch waren das nur Massen auf dem Papier, von denen weit über die Hälfte nur geringe oder auch gar keine militärische Übung ge¬ nossen hatten. Wie in andern Staaten, herrscht auch in Italien gesetzlich die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/124>, abgerufen am 22.07.2024.