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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr.

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Die Gebietsentwicklung der Linzelstaaten Deutschlands.

jeder Beziehung höchst merkwürdigen Krone war dem Herzog Geisa aus dem
Stamme Arpads, dem ersten Ungarnfürsten, der das Christentum annahm, von
dem byzantinischen Kaiser Dukas geschenkt worden. Die sich kreuzenden
Bogen der obern Hälfte sind Bruchstücke einer Krone, die Papst Silvester H.
dem heiligen Stephan, dem Sohne jenes Geisa, im Jahre 1000 gesandt hat.
Nach andern Berichten soll Silvester dem neuen christlichen Herrscher nur
den Titel "Apostolischer König", aber erst Papst Benedikt VIII. die heilige
Krone verliehen haben. Der Reichstag zu Debreczin hatte im Jahre 1849
die Absetzung des Hauses Habsburg-Lothringen feierlich ausgesprochen, haupt¬
sächlich auf Betreiben Kossuths. AIs dieser gewaltige Agitator wenige Monate
später von seinem vaterländischen Boden flüchten mußte, nahm er die ungarischen
Reichsinsignien mit sich. Am 3. September 1853 wurden sie im Banat, in
einem Felde vergraben, wieder aufgefunden. Am 8. Juni 1867 setzte sich zu
Ofen der Kaiser Franz Joseph die Krone des heiligen Stephans feierlich aufs
Haupt.

Doch dauerte es lange, und vieles Blut mußte noch fließen, bis alle die
Lande, die wir jetzt als die der Stephanskrone bezeichnen, auch wirklich dem
Szepter der österreichischen Fürsten gehorchten. Fast zwei Jahrhunderte lang
hatten sie um den Besitz des Landes zu kämpfen, teils mit einheimischen Großen,
z. B. Zapolya, Bethlen Gabor, den verschiedenen Mitgliedern der Familie
Rakoczy, die entweder Stücke von Ungarn oder gar das ganze beanspruchten
und zeitweise auch besaßen, teils aber auch mit den Türken, die jene Rebellen
unterstützten, dabei festen Fuß im Lande faßten, dieses zeitweilig völlig be¬
herrschten und ihre Heere sogar zweimal vor die Kaiserstadt an der Donau führten.
Diese Kämpfe gegen den Erbfeind der Christenheit gehören mit zu den glän¬
zendsten Abschnitten der Geschichte Österreichs. Doch war dieser Staat nicht immer
allein im Stande, sich jener kriegerischen und fanatisirten Scharen zu erwehren.
Bei den beiden Belagerungen Wiens bedürfte es auswärtiger Hilfe, um die
Hauptstadt vor dem Untergange zu retten. Namentlich bei der zweiten,
schlimmsten Belagerung, 1683, wurde die schwer geängstete Stadt nur durch
rechtzeitiges Eintreffen eines deutschen Neichsheeres unter Karl von Lothringen
und eines Polenheeres unter Johann Sobiesky vor unvermeidlich scheinenden,
grausamem Verderben gerettet. Im Jahre 1686 rissen deutsche Krieger mit
stürmender Hand die Halbmondsfahne herab, die 145 Jahre, von 1541 bis
1686, auf den Wällen von Ofen geweht hatte. Bekannt ist, welch glänzenden
Anteil die Brandenburger unter Hans Adam von Schöning an dieser ruhm¬
reichen Waffenthat hatten. Nachdem im folgenden Jahre auf derselben Wal¬
statt bei Mohacs, auf der 1526 Ludwig II. und der größte Teil des hohen
Adels von Ungarn im Kampfe gegen Sultan Soliman II. den Heldentod er¬
litten hatten, Karl von Lothringen einen glänzenden Sieg davongetragen hatte,
übertrug der ungarische Reichstag die erbliche Thronfolge dem Mannesstamme


Die Gebietsentwicklung der Linzelstaaten Deutschlands.

jeder Beziehung höchst merkwürdigen Krone war dem Herzog Geisa aus dem
Stamme Arpads, dem ersten Ungarnfürsten, der das Christentum annahm, von
dem byzantinischen Kaiser Dukas geschenkt worden. Die sich kreuzenden
Bogen der obern Hälfte sind Bruchstücke einer Krone, die Papst Silvester H.
dem heiligen Stephan, dem Sohne jenes Geisa, im Jahre 1000 gesandt hat.
Nach andern Berichten soll Silvester dem neuen christlichen Herrscher nur
den Titel „Apostolischer König", aber erst Papst Benedikt VIII. die heilige
Krone verliehen haben. Der Reichstag zu Debreczin hatte im Jahre 1849
die Absetzung des Hauses Habsburg-Lothringen feierlich ausgesprochen, haupt¬
sächlich auf Betreiben Kossuths. AIs dieser gewaltige Agitator wenige Monate
später von seinem vaterländischen Boden flüchten mußte, nahm er die ungarischen
Reichsinsignien mit sich. Am 3. September 1853 wurden sie im Banat, in
einem Felde vergraben, wieder aufgefunden. Am 8. Juni 1867 setzte sich zu
Ofen der Kaiser Franz Joseph die Krone des heiligen Stephans feierlich aufs
Haupt.

Doch dauerte es lange, und vieles Blut mußte noch fließen, bis alle die
Lande, die wir jetzt als die der Stephanskrone bezeichnen, auch wirklich dem
Szepter der österreichischen Fürsten gehorchten. Fast zwei Jahrhunderte lang
hatten sie um den Besitz des Landes zu kämpfen, teils mit einheimischen Großen,
z. B. Zapolya, Bethlen Gabor, den verschiedenen Mitgliedern der Familie
Rakoczy, die entweder Stücke von Ungarn oder gar das ganze beanspruchten
und zeitweise auch besaßen, teils aber auch mit den Türken, die jene Rebellen
unterstützten, dabei festen Fuß im Lande faßten, dieses zeitweilig völlig be¬
herrschten und ihre Heere sogar zweimal vor die Kaiserstadt an der Donau führten.
Diese Kämpfe gegen den Erbfeind der Christenheit gehören mit zu den glän¬
zendsten Abschnitten der Geschichte Österreichs. Doch war dieser Staat nicht immer
allein im Stande, sich jener kriegerischen und fanatisirten Scharen zu erwehren.
Bei den beiden Belagerungen Wiens bedürfte es auswärtiger Hilfe, um die
Hauptstadt vor dem Untergange zu retten. Namentlich bei der zweiten,
schlimmsten Belagerung, 1683, wurde die schwer geängstete Stadt nur durch
rechtzeitiges Eintreffen eines deutschen Neichsheeres unter Karl von Lothringen
und eines Polenheeres unter Johann Sobiesky vor unvermeidlich scheinenden,
grausamem Verderben gerettet. Im Jahre 1686 rissen deutsche Krieger mit
stürmender Hand die Halbmondsfahne herab, die 145 Jahre, von 1541 bis
1686, auf den Wällen von Ofen geweht hatte. Bekannt ist, welch glänzenden
Anteil die Brandenburger unter Hans Adam von Schöning an dieser ruhm¬
reichen Waffenthat hatten. Nachdem im folgenden Jahre auf derselben Wal¬
statt bei Mohacs, auf der 1526 Ludwig II. und der größte Teil des hohen
Adels von Ungarn im Kampfe gegen Sultan Soliman II. den Heldentod er¬
litten hatten, Karl von Lothringen einen glänzenden Sieg davongetragen hatte,
übertrug der ungarische Reichstag die erbliche Thronfolge dem Mannesstamme


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/85>, abgerufen am 22.07.2024.