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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr.

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Die vereinigten stillten im Lichte der letzten Präsidentenwahl,

Der nur mittels militärischen Einschreitens und Blutvergießens unterdrückte
Massenaufstand der Vahnbeamteu der Pittsburger Linien im Juli 1877, der
im Mai 1886 in Chicago erfolgte blutige Zusammenstoß zwischen Polizei und
Anarchisten sind nnr schwache Vorspiele der sich vorbereitenden Schlachten
zwischen Kapital und Arbeit. Bisher hat der gesetzliche Sinn des anglosächsi-
schen Stammes noch das Schlimmste abzuwenden vermocht. Aber der Glaube
an die Unparteilichkeit der Staatsgerichtshöfe ist bereits stark erschüttert. Die
Zeit wird kommen, wo die Arbeiter diese Gerichte ebenso mit ihren Werkzeugen
besetzen, wie es früher die Millionendiebe vom Schlage Tweeds und die Eisenbahn¬
linienerschwindler vom Schlage Firth und Goulds verstanden haben, ihre Ge¬
schöpfe von den bezahlten Horden der Demokratie mittels der Stimmzettel auf
die Richtcrbänke New-Iorks erheben zu lassen. Oder man wird die Arbeiter an
ihrer Herrschaftserringung durch andre Mittel als bloße Spaltung in ihren
Reihen und Bestechung verhindern müssen. Das Grundübel liegt aber oben
wie unten in der verhängnisvollen Einseitigkeit des Lebensinhalts und Lebens¬
zieles, in der maßlosen Jagd nach dem Dollar, in der Abmessung und Ab¬
schätzung aller Dinge und Menschen nach dem brutalen Geldwerte. In einem
Lande, wo der Dollar allmächtig ist, wo "die Sünde, nicht reich zu sei", nur
durch den Eifer gebüßt wird, reich zu werden", sind uneigennützige Arbeiter
für das Wohl des Ganzen selten und unwahrscheinlich. Es fehlt in der reinen
Demokratie das Gegengewicht, der ruhende Punkt, jene ausgleichende, unab¬
hängige Macht der Gerechtigkeit und Billigkeit, die, über den feindlichen Gegen¬
sätzen stehend, sie von Stufe zu Stufe zu versöhnen, die Heftigkeit ihres Zu¬
sammenstoßes zu mäßigen und im Notfall zu brechen vermag.

In der nordamerikanischen Republik herrscht die Selbstsucht in ihrer rohesten
Form. Es handelt sich heutzutage bei dem politischen Treiben nicht mehr
um Politik, sondern um Geld und Geldeswert. Längst hat der Ehrgeiz auf¬
gehört, die Stelle des Gemeinsinns, des Patriotismus zu ersetzen. Die Ämter
stehen nicht mehr dem Begabten, dem Verdienten, sondern nur noch dem Reichen
offen. Die Ernennungen zu den Ämtern, die Kandidaturen haben in Gro߬
städten wie New-Iork ebenso bereits ihre vorherigen festen Preise wie die nach-
herigen sicheren Erwcihluugcn ihre bestimmten Kostensätze.

Man wird vielleicht erstaunt fragen, wie es denn möglich sei, daß eine
solche Herrschaft der Beutepolitiker und ihrer geübten Söldnerbcmdcn von
Proletariern von den anständigen Schichten der Bevölkerung so lange geduldet
wird. Ohne Zweifel giebt es Hundcrttciusende von Bürgern, welche die Ge¬
fahren der sich ausbreitenden politischen Fäulnis erkennen, und namentlich auch
die schlimmen Folgen, die das ekle Bündnis der demokratischen Gewerbepolitikcr
mit den zahllosen Schnaps- und Bierwirtschaften der Großstädte ausbrütet.
Aber statt zu begreifen, daß es der Mangel an feinerer Geselligkeit, daß es
die Unfertigst der gesellschaftlichen Verhältnisse überhaupt ist, die namentlich


Die vereinigten stillten im Lichte der letzten Präsidentenwahl,

Der nur mittels militärischen Einschreitens und Blutvergießens unterdrückte
Massenaufstand der Vahnbeamteu der Pittsburger Linien im Juli 1877, der
im Mai 1886 in Chicago erfolgte blutige Zusammenstoß zwischen Polizei und
Anarchisten sind nnr schwache Vorspiele der sich vorbereitenden Schlachten
zwischen Kapital und Arbeit. Bisher hat der gesetzliche Sinn des anglosächsi-
schen Stammes noch das Schlimmste abzuwenden vermocht. Aber der Glaube
an die Unparteilichkeit der Staatsgerichtshöfe ist bereits stark erschüttert. Die
Zeit wird kommen, wo die Arbeiter diese Gerichte ebenso mit ihren Werkzeugen
besetzen, wie es früher die Millionendiebe vom Schlage Tweeds und die Eisenbahn¬
linienerschwindler vom Schlage Firth und Goulds verstanden haben, ihre Ge¬
schöpfe von den bezahlten Horden der Demokratie mittels der Stimmzettel auf
die Richtcrbänke New-Iorks erheben zu lassen. Oder man wird die Arbeiter an
ihrer Herrschaftserringung durch andre Mittel als bloße Spaltung in ihren
Reihen und Bestechung verhindern müssen. Das Grundübel liegt aber oben
wie unten in der verhängnisvollen Einseitigkeit des Lebensinhalts und Lebens¬
zieles, in der maßlosen Jagd nach dem Dollar, in der Abmessung und Ab¬
schätzung aller Dinge und Menschen nach dem brutalen Geldwerte. In einem
Lande, wo der Dollar allmächtig ist, wo „die Sünde, nicht reich zu sei», nur
durch den Eifer gebüßt wird, reich zu werden", sind uneigennützige Arbeiter
für das Wohl des Ganzen selten und unwahrscheinlich. Es fehlt in der reinen
Demokratie das Gegengewicht, der ruhende Punkt, jene ausgleichende, unab¬
hängige Macht der Gerechtigkeit und Billigkeit, die, über den feindlichen Gegen¬
sätzen stehend, sie von Stufe zu Stufe zu versöhnen, die Heftigkeit ihres Zu¬
sammenstoßes zu mäßigen und im Notfall zu brechen vermag.

In der nordamerikanischen Republik herrscht die Selbstsucht in ihrer rohesten
Form. Es handelt sich heutzutage bei dem politischen Treiben nicht mehr
um Politik, sondern um Geld und Geldeswert. Längst hat der Ehrgeiz auf¬
gehört, die Stelle des Gemeinsinns, des Patriotismus zu ersetzen. Die Ämter
stehen nicht mehr dem Begabten, dem Verdienten, sondern nur noch dem Reichen
offen. Die Ernennungen zu den Ämtern, die Kandidaturen haben in Gro߬
städten wie New-Iork ebenso bereits ihre vorherigen festen Preise wie die nach-
herigen sicheren Erwcihluugcn ihre bestimmten Kostensätze.

Man wird vielleicht erstaunt fragen, wie es denn möglich sei, daß eine
solche Herrschaft der Beutepolitiker und ihrer geübten Söldnerbcmdcn von
Proletariern von den anständigen Schichten der Bevölkerung so lange geduldet
wird. Ohne Zweifel giebt es Hundcrttciusende von Bürgern, welche die Ge¬
fahren der sich ausbreitenden politischen Fäulnis erkennen, und namentlich auch
die schlimmen Folgen, die das ekle Bündnis der demokratischen Gewerbepolitikcr
mit den zahllosen Schnaps- und Bierwirtschaften der Großstädte ausbrütet.
Aber statt zu begreifen, daß es der Mangel an feinerer Geselligkeit, daß es
die Unfertigst der gesellschaftlichen Verhältnisse überhaupt ist, die namentlich


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[0630] Die vereinigten stillten im Lichte der letzten Präsidentenwahl, Der nur mittels militärischen Einschreitens und Blutvergießens unterdrückte Massenaufstand der Vahnbeamteu der Pittsburger Linien im Juli 1877, der im Mai 1886 in Chicago erfolgte blutige Zusammenstoß zwischen Polizei und Anarchisten sind nnr schwache Vorspiele der sich vorbereitenden Schlachten zwischen Kapital und Arbeit. Bisher hat der gesetzliche Sinn des anglosächsi- schen Stammes noch das Schlimmste abzuwenden vermocht. Aber der Glaube an die Unparteilichkeit der Staatsgerichtshöfe ist bereits stark erschüttert. Die Zeit wird kommen, wo die Arbeiter diese Gerichte ebenso mit ihren Werkzeugen besetzen, wie es früher die Millionendiebe vom Schlage Tweeds und die Eisenbahn¬ linienerschwindler vom Schlage Firth und Goulds verstanden haben, ihre Ge¬ schöpfe von den bezahlten Horden der Demokratie mittels der Stimmzettel auf die Richtcrbänke New-Iorks erheben zu lassen. Oder man wird die Arbeiter an ihrer Herrschaftserringung durch andre Mittel als bloße Spaltung in ihren Reihen und Bestechung verhindern müssen. Das Grundübel liegt aber oben wie unten in der verhängnisvollen Einseitigkeit des Lebensinhalts und Lebens¬ zieles, in der maßlosen Jagd nach dem Dollar, in der Abmessung und Ab¬ schätzung aller Dinge und Menschen nach dem brutalen Geldwerte. In einem Lande, wo der Dollar allmächtig ist, wo „die Sünde, nicht reich zu sei», nur durch den Eifer gebüßt wird, reich zu werden", sind uneigennützige Arbeiter für das Wohl des Ganzen selten und unwahrscheinlich. Es fehlt in der reinen Demokratie das Gegengewicht, der ruhende Punkt, jene ausgleichende, unab¬ hängige Macht der Gerechtigkeit und Billigkeit, die, über den feindlichen Gegen¬ sätzen stehend, sie von Stufe zu Stufe zu versöhnen, die Heftigkeit ihres Zu¬ sammenstoßes zu mäßigen und im Notfall zu brechen vermag. In der nordamerikanischen Republik herrscht die Selbstsucht in ihrer rohesten Form. Es handelt sich heutzutage bei dem politischen Treiben nicht mehr um Politik, sondern um Geld und Geldeswert. Längst hat der Ehrgeiz auf¬ gehört, die Stelle des Gemeinsinns, des Patriotismus zu ersetzen. Die Ämter stehen nicht mehr dem Begabten, dem Verdienten, sondern nur noch dem Reichen offen. Die Ernennungen zu den Ämtern, die Kandidaturen haben in Gro߬ städten wie New-Iork ebenso bereits ihre vorherigen festen Preise wie die nach- herigen sicheren Erwcihluugcn ihre bestimmten Kostensätze. Man wird vielleicht erstaunt fragen, wie es denn möglich sei, daß eine solche Herrschaft der Beutepolitiker und ihrer geübten Söldnerbcmdcn von Proletariern von den anständigen Schichten der Bevölkerung so lange geduldet wird. Ohne Zweifel giebt es Hundcrttciusende von Bürgern, welche die Ge¬ fahren der sich ausbreitenden politischen Fäulnis erkennen, und namentlich auch die schlimmen Folgen, die das ekle Bündnis der demokratischen Gewerbepolitikcr mit den zahllosen Schnaps- und Bierwirtschaften der Großstädte ausbrütet. Aber statt zu begreifen, daß es der Mangel an feinerer Geselligkeit, daß es die Unfertigst der gesellschaftlichen Verhältnisse überhaupt ist, die namentlich

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/630>, abgerufen am 22.07.2024.