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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr.

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Die Staatsphilosophie Friedrichs des Großen.

in "Versuchen", die zuweilen unleugbar ein dilettantisches Gepräge tragen.
Die schriftstellerische Form und Fassung wenigstens entspricht nicht immer der
Strenge der Anforderungen, die wir an wissenschaftliche Arbeit zu stellen ge¬
wohnt sind. Diese Ausstellung wäre freilich an mancher Seite der politischen
Schriften Rousseaus und Montesquieus ebenfalls zu machen. Wo aber Friedrich
der Große vom Staate redet, da spricht er von dem, was den ernstesten und
tiefsten Inhalt seines Lebens ausmacht, da spricht, in welcher Form es auch
sein möge, der König von der Wissenschaft der Könige. Und die größten
Eigenschaften des Schriftstellers verleugnen sich ebenfalls bei dem königlichen
Autor niemals: der tiefe Blick in das Wesen der Sache, die Wahrhaftigkeit sich
selbst und dem Leser gegenüber, der Ernst des Strebens, über eine für die
Menschheit wichtige Angelegenheit Licht und Klarheit zu verbreiten.

In der unbefangenen Weise der Alten teilt Friedrich die Gedanken mit,
die ihm aufsteigen bei Betrachtung des Gegenstandes, der sein Interesse in An¬
spruch nimmt. Sich aufzuhalten bei Auseinandersetzungen mit dem, was andre
über dasselbe Thema behauptet, ausgeführt oder systematisirt haben mögen, kommt
ihm nie in den Sinn. Nur etwa ein klassisches Citat findet hier und da seine
Stelle oder der Vers eines Poeten aus dem Zeitalter Ludwigs XIV. Im
übrigen wird nichts gegeben als des Königs eigne Gedanken in seiner eignen
Sprache. Der Quell, aus dem sie fließen, ist die eigne unmittelbare An¬
schauung.

Den Mittelpunkt aller staatlichen Betrachtung bildet daher für Friedrich
sein eigenes persönliches Verhältnis zu seinem brandenburgisch-preußischen Staate.
Seinen Begriff vom Staatswesen entnimmt er dem Staate, den seine Vorfahren
geschaffen haben, mit dem äußere und innere Erfahrung ihn frühzeitig vertraut
gemacht hat. Die Betrachtung wird dadurch von vornherein eine erfcchrnngs-
mäßige und geschichtliche im geraden Gegensatz zu der naturrechtlichen Methode,
die durch Rousseau und seine Schüler eine auch für die staatliche Praxis so
verhängnisvolle Weiterbildung erfuhr. Friedrich sucht zu begreifen, wo diese
konstruiren. Die Wissenschaft wird es hier mit dem Könige halten. Die
organische Natur des Gemeinwesens wird von ihm in klassischen Worten gekenn¬
zeichnet. "Vergleichen wir," sagt er (Oeuvres IX, 222), "den Staat im all¬
gemeinen und welches immer seine Form sei, mit dem menschlichen Körper.
Nur aus dem einheitlichen Zusammenwirken, aus der übereinstimmenden Thätig¬
keit aller seiner Teile ergiebt sich seine Gesundheit, seine Kraft und Stärke.
Das ganze Geflecht der Adern und Nerven hat den Zweck, das Dasein des
Lebewesens zu ermöglichen und zu verbürgen. Wenn die einzelnen Glieder
ihren Dienst versagen wollten, so müßte der ganze Körper ermatten und allmählich
zerfallen. Die Unthätigkeit seiner Teile würde zur Zerstörung des Ganzen
führen. Ein ebensolcher Körper ist der Staat. Glieder desselben sind alle
Bürger, die ihm angehören, keinen einzigen ausgenommen." Der König verfehlt


Die Staatsphilosophie Friedrichs des Großen.

in „Versuchen", die zuweilen unleugbar ein dilettantisches Gepräge tragen.
Die schriftstellerische Form und Fassung wenigstens entspricht nicht immer der
Strenge der Anforderungen, die wir an wissenschaftliche Arbeit zu stellen ge¬
wohnt sind. Diese Ausstellung wäre freilich an mancher Seite der politischen
Schriften Rousseaus und Montesquieus ebenfalls zu machen. Wo aber Friedrich
der Große vom Staate redet, da spricht er von dem, was den ernstesten und
tiefsten Inhalt seines Lebens ausmacht, da spricht, in welcher Form es auch
sein möge, der König von der Wissenschaft der Könige. Und die größten
Eigenschaften des Schriftstellers verleugnen sich ebenfalls bei dem königlichen
Autor niemals: der tiefe Blick in das Wesen der Sache, die Wahrhaftigkeit sich
selbst und dem Leser gegenüber, der Ernst des Strebens, über eine für die
Menschheit wichtige Angelegenheit Licht und Klarheit zu verbreiten.

In der unbefangenen Weise der Alten teilt Friedrich die Gedanken mit,
die ihm aufsteigen bei Betrachtung des Gegenstandes, der sein Interesse in An¬
spruch nimmt. Sich aufzuhalten bei Auseinandersetzungen mit dem, was andre
über dasselbe Thema behauptet, ausgeführt oder systematisirt haben mögen, kommt
ihm nie in den Sinn. Nur etwa ein klassisches Citat findet hier und da seine
Stelle oder der Vers eines Poeten aus dem Zeitalter Ludwigs XIV. Im
übrigen wird nichts gegeben als des Königs eigne Gedanken in seiner eignen
Sprache. Der Quell, aus dem sie fließen, ist die eigne unmittelbare An¬
schauung.

Den Mittelpunkt aller staatlichen Betrachtung bildet daher für Friedrich
sein eigenes persönliches Verhältnis zu seinem brandenburgisch-preußischen Staate.
Seinen Begriff vom Staatswesen entnimmt er dem Staate, den seine Vorfahren
geschaffen haben, mit dem äußere und innere Erfahrung ihn frühzeitig vertraut
gemacht hat. Die Betrachtung wird dadurch von vornherein eine erfcchrnngs-
mäßige und geschichtliche im geraden Gegensatz zu der naturrechtlichen Methode,
die durch Rousseau und seine Schüler eine auch für die staatliche Praxis so
verhängnisvolle Weiterbildung erfuhr. Friedrich sucht zu begreifen, wo diese
konstruiren. Die Wissenschaft wird es hier mit dem Könige halten. Die
organische Natur des Gemeinwesens wird von ihm in klassischen Worten gekenn¬
zeichnet. „Vergleichen wir," sagt er (Oeuvres IX, 222), „den Staat im all¬
gemeinen und welches immer seine Form sei, mit dem menschlichen Körper.
Nur aus dem einheitlichen Zusammenwirken, aus der übereinstimmenden Thätig¬
keit aller seiner Teile ergiebt sich seine Gesundheit, seine Kraft und Stärke.
Das ganze Geflecht der Adern und Nerven hat den Zweck, das Dasein des
Lebewesens zu ermöglichen und zu verbürgen. Wenn die einzelnen Glieder
ihren Dienst versagen wollten, so müßte der ganze Körper ermatten und allmählich
zerfallen. Die Unthätigkeit seiner Teile würde zur Zerstörung des Ganzen
führen. Ein ebensolcher Körper ist der Staat. Glieder desselben sind alle
Bürger, die ihm angehören, keinen einzigen ausgenommen." Der König verfehlt


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[0058] Die Staatsphilosophie Friedrichs des Großen. in „Versuchen", die zuweilen unleugbar ein dilettantisches Gepräge tragen. Die schriftstellerische Form und Fassung wenigstens entspricht nicht immer der Strenge der Anforderungen, die wir an wissenschaftliche Arbeit zu stellen ge¬ wohnt sind. Diese Ausstellung wäre freilich an mancher Seite der politischen Schriften Rousseaus und Montesquieus ebenfalls zu machen. Wo aber Friedrich der Große vom Staate redet, da spricht er von dem, was den ernstesten und tiefsten Inhalt seines Lebens ausmacht, da spricht, in welcher Form es auch sein möge, der König von der Wissenschaft der Könige. Und die größten Eigenschaften des Schriftstellers verleugnen sich ebenfalls bei dem königlichen Autor niemals: der tiefe Blick in das Wesen der Sache, die Wahrhaftigkeit sich selbst und dem Leser gegenüber, der Ernst des Strebens, über eine für die Menschheit wichtige Angelegenheit Licht und Klarheit zu verbreiten. In der unbefangenen Weise der Alten teilt Friedrich die Gedanken mit, die ihm aufsteigen bei Betrachtung des Gegenstandes, der sein Interesse in An¬ spruch nimmt. Sich aufzuhalten bei Auseinandersetzungen mit dem, was andre über dasselbe Thema behauptet, ausgeführt oder systematisirt haben mögen, kommt ihm nie in den Sinn. Nur etwa ein klassisches Citat findet hier und da seine Stelle oder der Vers eines Poeten aus dem Zeitalter Ludwigs XIV. Im übrigen wird nichts gegeben als des Königs eigne Gedanken in seiner eignen Sprache. Der Quell, aus dem sie fließen, ist die eigne unmittelbare An¬ schauung. Den Mittelpunkt aller staatlichen Betrachtung bildet daher für Friedrich sein eigenes persönliches Verhältnis zu seinem brandenburgisch-preußischen Staate. Seinen Begriff vom Staatswesen entnimmt er dem Staate, den seine Vorfahren geschaffen haben, mit dem äußere und innere Erfahrung ihn frühzeitig vertraut gemacht hat. Die Betrachtung wird dadurch von vornherein eine erfcchrnngs- mäßige und geschichtliche im geraden Gegensatz zu der naturrechtlichen Methode, die durch Rousseau und seine Schüler eine auch für die staatliche Praxis so verhängnisvolle Weiterbildung erfuhr. Friedrich sucht zu begreifen, wo diese konstruiren. Die Wissenschaft wird es hier mit dem Könige halten. Die organische Natur des Gemeinwesens wird von ihm in klassischen Worten gekenn¬ zeichnet. „Vergleichen wir," sagt er (Oeuvres IX, 222), „den Staat im all¬ gemeinen und welches immer seine Form sei, mit dem menschlichen Körper. Nur aus dem einheitlichen Zusammenwirken, aus der übereinstimmenden Thätig¬ keit aller seiner Teile ergiebt sich seine Gesundheit, seine Kraft und Stärke. Das ganze Geflecht der Adern und Nerven hat den Zweck, das Dasein des Lebewesens zu ermöglichen und zu verbürgen. Wenn die einzelnen Glieder ihren Dienst versagen wollten, so müßte der ganze Körper ermatten und allmählich zerfallen. Die Unthätigkeit seiner Teile würde zur Zerstörung des Ganzen führen. Ein ebensolcher Körper ist der Staat. Glieder desselben sind alle Bürger, die ihm angehören, keinen einzigen ausgenommen." Der König verfehlt

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/58>, abgerufen am 30.06.2024.