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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr.

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Aus Österreich.

mobilen Kapitals, zu Gnaden angenommen, wenn sie dazu beitragen, den
Ministern das Leben sauer zu machen. Und dann wundert man sich noch,
daß die Nationalgesinnten in Deutschland von der deutsch-österreichischen Presse
nicht entzückt sind! Wenn wir Provinzler unser Mißfallen über sie zu erkennen
geben, geht man mit geringschätzigen Schweigen darüber hinweg; kommen die
Urteile aus dem Auslande, so wird wenigstens nach einer Beschönigung gesucht.
Das ist das Gute an dem Handel.

Denken wir um dreißig Jahre zurück, so sehen wir vollständige Ausrottung
des österreichischen Staatsgedankens durch die Politik, die nicht nur das "Vier-
zigmillionenreich" auf neuen, unerschütterlichen Grundlagen aufgebaut, sondern
auch ganz Deutschland in seine Machtsphäre gezwungen zu haben glaubte.
Jedermann kennt die Stimmung, nur die Regierung nicht, die in ihrem Stolze
auf den Sieg von Olmütz, auf das Konkordat, auf die entfernte Teilnahme am
Kriege gegen Nußland alle Zeichen verachtet. Das ändert sich mit der Ein¬
berufung eines Parlamentes, aber keineswegs mit einem Schlage. In allen
nichtdeutschen Nationen wird der Gedanke des Föderalismus verbreitet, und
die Alpenländer fordern mit Nachdruck wenigstens "Autonomie"; daß die
Böhmen von der sächsischen Grenze sich sofort zum Zentralismus bekehren,
ist der Verdienst ihrer ungeberdigen Lcmdesgenvssen. Und nun wiederholt sich
immer dasselbe Schauspiel. Diese zentralistische Partei, von juristisch gebildeten,
schlagfertigen Rednern organisirt und disziplinirt, erklärt die österreichische
Gesinnung für ihren ausschließlichen Besitz. Jede neue Wahl bringt neue
Männer in das Haus, die dem Willen ihrer Wähler gemäß eine entschiednere
Betonung des Deutschtums in ihr Programm ausgenommen haben; dafür wer¬
den sie mit größerer Erbitterung als Tschechen und Konsorten bekämpft, zurück¬
gedrängt -- außer wenn man ihrer entschlossenen Thätigkeit bedarf, wie bei
dem Ansturme gegen Belcredi und Hohenwart -- und zersprengt; die nicht
unterworfenen Reste schließen sich an den nächsten neuen Schub an, und das
Spiel beginnt von neuem. Die alte Partei bleibt immer siegreich, wie dazumal
Alexander Bach; wie er von seinen Bezirkshauptleuten, empfängt sie von ge¬
treuen Vereinen und Zeitungskorrespondenten Stimmungsberichte, ignorirt die
nichtgünstigen und den stillen Abfall der Überdrüssigen, die allmähliche Abwendung
der Welt von dem Glauben an die Allgewalt des Parlamentarismus. Einer
von den Führern ließ sich wohl neulich das Geständnis entschlüpfen, daß, wer
den Schuh trägt, am besten wisse, wo er ihn drückt, oder auf deutsch, daß
Fabrikanten und Häusler nicht berufen werden sollten, bäuerliche Angelegen¬
heiten zu ordnen. Allein das war so wenig ernst gemeint, wie die sehr ver¬
stündigen Zeitungsartikel über den Ruin Frankreichs durch die konsequente
Anwendung des parlamentarischen Wesens. Morgen sind doch wieder die
Advokaten, Parlamentarier von Beruf und Journalisten diejenigen, die alles
verstehen, daher über alles zu entscheiden haben.


Grenzboten IV. 1888, . 72
Aus Österreich.

mobilen Kapitals, zu Gnaden angenommen, wenn sie dazu beitragen, den
Ministern das Leben sauer zu machen. Und dann wundert man sich noch,
daß die Nationalgesinnten in Deutschland von der deutsch-österreichischen Presse
nicht entzückt sind! Wenn wir Provinzler unser Mißfallen über sie zu erkennen
geben, geht man mit geringschätzigen Schweigen darüber hinweg; kommen die
Urteile aus dem Auslande, so wird wenigstens nach einer Beschönigung gesucht.
Das ist das Gute an dem Handel.

Denken wir um dreißig Jahre zurück, so sehen wir vollständige Ausrottung
des österreichischen Staatsgedankens durch die Politik, die nicht nur das „Vier-
zigmillionenreich" auf neuen, unerschütterlichen Grundlagen aufgebaut, sondern
auch ganz Deutschland in seine Machtsphäre gezwungen zu haben glaubte.
Jedermann kennt die Stimmung, nur die Regierung nicht, die in ihrem Stolze
auf den Sieg von Olmütz, auf das Konkordat, auf die entfernte Teilnahme am
Kriege gegen Nußland alle Zeichen verachtet. Das ändert sich mit der Ein¬
berufung eines Parlamentes, aber keineswegs mit einem Schlage. In allen
nichtdeutschen Nationen wird der Gedanke des Föderalismus verbreitet, und
die Alpenländer fordern mit Nachdruck wenigstens „Autonomie"; daß die
Böhmen von der sächsischen Grenze sich sofort zum Zentralismus bekehren,
ist der Verdienst ihrer ungeberdigen Lcmdesgenvssen. Und nun wiederholt sich
immer dasselbe Schauspiel. Diese zentralistische Partei, von juristisch gebildeten,
schlagfertigen Rednern organisirt und disziplinirt, erklärt die österreichische
Gesinnung für ihren ausschließlichen Besitz. Jede neue Wahl bringt neue
Männer in das Haus, die dem Willen ihrer Wähler gemäß eine entschiednere
Betonung des Deutschtums in ihr Programm ausgenommen haben; dafür wer¬
den sie mit größerer Erbitterung als Tschechen und Konsorten bekämpft, zurück¬
gedrängt — außer wenn man ihrer entschlossenen Thätigkeit bedarf, wie bei
dem Ansturme gegen Belcredi und Hohenwart — und zersprengt; die nicht
unterworfenen Reste schließen sich an den nächsten neuen Schub an, und das
Spiel beginnt von neuem. Die alte Partei bleibt immer siegreich, wie dazumal
Alexander Bach; wie er von seinen Bezirkshauptleuten, empfängt sie von ge¬
treuen Vereinen und Zeitungskorrespondenten Stimmungsberichte, ignorirt die
nichtgünstigen und den stillen Abfall der Überdrüssigen, die allmähliche Abwendung
der Welt von dem Glauben an die Allgewalt des Parlamentarismus. Einer
von den Führern ließ sich wohl neulich das Geständnis entschlüpfen, daß, wer
den Schuh trägt, am besten wisse, wo er ihn drückt, oder auf deutsch, daß
Fabrikanten und Häusler nicht berufen werden sollten, bäuerliche Angelegen¬
heiten zu ordnen. Allein das war so wenig ernst gemeint, wie die sehr ver¬
stündigen Zeitungsartikel über den Ruin Frankreichs durch die konsequente
Anwendung des parlamentarischen Wesens. Morgen sind doch wieder die
Advokaten, Parlamentarier von Beruf und Journalisten diejenigen, die alles
verstehen, daher über alles zu entscheiden haben.


Grenzboten IV. 1888, . 72
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[0577] Aus Österreich. mobilen Kapitals, zu Gnaden angenommen, wenn sie dazu beitragen, den Ministern das Leben sauer zu machen. Und dann wundert man sich noch, daß die Nationalgesinnten in Deutschland von der deutsch-österreichischen Presse nicht entzückt sind! Wenn wir Provinzler unser Mißfallen über sie zu erkennen geben, geht man mit geringschätzigen Schweigen darüber hinweg; kommen die Urteile aus dem Auslande, so wird wenigstens nach einer Beschönigung gesucht. Das ist das Gute an dem Handel. Denken wir um dreißig Jahre zurück, so sehen wir vollständige Ausrottung des österreichischen Staatsgedankens durch die Politik, die nicht nur das „Vier- zigmillionenreich" auf neuen, unerschütterlichen Grundlagen aufgebaut, sondern auch ganz Deutschland in seine Machtsphäre gezwungen zu haben glaubte. Jedermann kennt die Stimmung, nur die Regierung nicht, die in ihrem Stolze auf den Sieg von Olmütz, auf das Konkordat, auf die entfernte Teilnahme am Kriege gegen Nußland alle Zeichen verachtet. Das ändert sich mit der Ein¬ berufung eines Parlamentes, aber keineswegs mit einem Schlage. In allen nichtdeutschen Nationen wird der Gedanke des Föderalismus verbreitet, und die Alpenländer fordern mit Nachdruck wenigstens „Autonomie"; daß die Böhmen von der sächsischen Grenze sich sofort zum Zentralismus bekehren, ist der Verdienst ihrer ungeberdigen Lcmdesgenvssen. Und nun wiederholt sich immer dasselbe Schauspiel. Diese zentralistische Partei, von juristisch gebildeten, schlagfertigen Rednern organisirt und disziplinirt, erklärt die österreichische Gesinnung für ihren ausschließlichen Besitz. Jede neue Wahl bringt neue Männer in das Haus, die dem Willen ihrer Wähler gemäß eine entschiednere Betonung des Deutschtums in ihr Programm ausgenommen haben; dafür wer¬ den sie mit größerer Erbitterung als Tschechen und Konsorten bekämpft, zurück¬ gedrängt — außer wenn man ihrer entschlossenen Thätigkeit bedarf, wie bei dem Ansturme gegen Belcredi und Hohenwart — und zersprengt; die nicht unterworfenen Reste schließen sich an den nächsten neuen Schub an, und das Spiel beginnt von neuem. Die alte Partei bleibt immer siegreich, wie dazumal Alexander Bach; wie er von seinen Bezirkshauptleuten, empfängt sie von ge¬ treuen Vereinen und Zeitungskorrespondenten Stimmungsberichte, ignorirt die nichtgünstigen und den stillen Abfall der Überdrüssigen, die allmähliche Abwendung der Welt von dem Glauben an die Allgewalt des Parlamentarismus. Einer von den Führern ließ sich wohl neulich das Geständnis entschlüpfen, daß, wer den Schuh trägt, am besten wisse, wo er ihn drückt, oder auf deutsch, daß Fabrikanten und Häusler nicht berufen werden sollten, bäuerliche Angelegen¬ heiten zu ordnen. Allein das war so wenig ernst gemeint, wie die sehr ver¬ stündigen Zeitungsartikel über den Ruin Frankreichs durch die konsequente Anwendung des parlamentarischen Wesens. Morgen sind doch wieder die Advokaten, Parlamentarier von Beruf und Journalisten diejenigen, die alles verstehen, daher über alles zu entscheiden haben. Grenzboten IV. 1888, . 72

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/577>, abgerufen am 30.06.2024.