Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Unsre Zeit im Spiegel ihrer Kunst.

thätig sind. Diese Aufgabe aber ist um so bedeutungsvoller, als bei dem
lebendigen Verkehr zwischen Publikum und Kunst die Rückwirkung der letztern
ans den Charakter, die Vorstellungswclt und die Empfindungsweise des erster"
viel größer sein wird, als in frühern Zeiten. Man hat das Recht, die Kunst
als ein hervorragendes Erziehungsmittel und Bildungselement für unser Volks¬
leben daraufhin zu prüfen, was wir uns von ihrem Einflüsse versprechen dür¬
fen, eventuell dahin zu wirken, daß nur und daß immer reiner das Edelste?
was unsre Zeit an geistigen Gütern besitzt, in ihren Schöpfungen zur Dar¬
stellung und so durch sie zu Macht und Einfluß komme. Unter diesen Ge¬
sichtspunkten aber wird vielleicht der Laie, der nicht einmal Kunstrezensent von
Fach ist, nicht zu den Unberufenen zu rechnen sein, wenn er seine Eindrücke
öffentlich auszusprechen wagt. Denn mit der Unbefangenheit des Nichtkenners
steht er den Fragen der Technik und der Schule gegenüber, und durch das
Interesse dafür, wie gemalt wird, wird bei ihm das andre dafür, was gemalt
wird, nicht beeinflußt oder gar beeinträchtigt, wie es bei unsern Kunstrezen¬
senten in den Tagesblättern der Fall zu sein pflegt.

Suchen wir nnn nach den eigentümlichen Zügen im Kunstschaffen unsrer
Zeit, so wird sofort der erste, der hervorstechendste, uns die Richtigkeit unsrer
Voraussetzungen beweisen, daß, in höherem Maße als je, die Kunst ein Spiegel¬
bild unsrer Zeit sei. Ein flüchtiger Überblick über das beinahe verwirrende
Vielerlei, das uns von den Wänden des Glaspalastes entgegeuschaut, macht uns
gewiß: wir befinden uns mitten in der Wirklichkeit. Im Vollsinne des Wortes
malt unsre Kunst das Bild ihrer Zeit.

Bleiben wir zunächst beim Formaten stehen. Da geht durch alle Bilder
der beherrschende Zug nach Naturwahrheit. Nicht nach dem Inhalte oder der
Auffassung, sondern nach der gewählten Methode, dieses Ziel der höchstmög¬
lichen Illusion der Wirklichkeit zu erreichen, unterscheiden sich die Schulen.
Darin beruht die eigentümlichste Mannigfaltigkeit in dem Vielerlei. Dort das
Helldunkel der Atelierbeleuchtung, hier das nackte harte Freilicht; dort warme
leuchtende Farben, hier mattes fahles Grau; dort feine Detailausführung, hier
breite Pinselführung, mehr oder weniger massige Farbenklekse; dort klare scharfe
Umrisse, hier nirgends eine Linie, überall nur in einander übergehende Farben¬
töne. Unser "dort" und "hier" ist nicht willkürlich gewählt. Die moderne
Malerei mit ihrem Impressionismus und ihrem Freilicht, ihren natürlichen
Größen und ihren grauen Farben trat in München bedeutungsvoll in den
Vordergrund; eine große Zahl der glänzendsten und wirkungsvollsten Bilder
haben für sie Zeugnis abgelegt. Sie darf die Ausstellung wohl als eine Etappe
in ihrem Siegeslaufe betrachten. Das Interesse in der Kunst, die Wirklichkeit,
die volle Wirklichkeit und nur die Wirklichkeit darzustellen, ist in erster Linie
die Wirkung des der Wirklichkeit mit dem strengen Beobachtungsblick des auch
aufs kleinste achtenden Forscheranges zugewandten Interesses unsrer Zeit. Daß


Unsre Zeit im Spiegel ihrer Kunst.

thätig sind. Diese Aufgabe aber ist um so bedeutungsvoller, als bei dem
lebendigen Verkehr zwischen Publikum und Kunst die Rückwirkung der letztern
ans den Charakter, die Vorstellungswclt und die Empfindungsweise des erster«
viel größer sein wird, als in frühern Zeiten. Man hat das Recht, die Kunst
als ein hervorragendes Erziehungsmittel und Bildungselement für unser Volks¬
leben daraufhin zu prüfen, was wir uns von ihrem Einflüsse versprechen dür¬
fen, eventuell dahin zu wirken, daß nur und daß immer reiner das Edelste?
was unsre Zeit an geistigen Gütern besitzt, in ihren Schöpfungen zur Dar¬
stellung und so durch sie zu Macht und Einfluß komme. Unter diesen Ge¬
sichtspunkten aber wird vielleicht der Laie, der nicht einmal Kunstrezensent von
Fach ist, nicht zu den Unberufenen zu rechnen sein, wenn er seine Eindrücke
öffentlich auszusprechen wagt. Denn mit der Unbefangenheit des Nichtkenners
steht er den Fragen der Technik und der Schule gegenüber, und durch das
Interesse dafür, wie gemalt wird, wird bei ihm das andre dafür, was gemalt
wird, nicht beeinflußt oder gar beeinträchtigt, wie es bei unsern Kunstrezen¬
senten in den Tagesblättern der Fall zu sein pflegt.

Suchen wir nnn nach den eigentümlichen Zügen im Kunstschaffen unsrer
Zeit, so wird sofort der erste, der hervorstechendste, uns die Richtigkeit unsrer
Voraussetzungen beweisen, daß, in höherem Maße als je, die Kunst ein Spiegel¬
bild unsrer Zeit sei. Ein flüchtiger Überblick über das beinahe verwirrende
Vielerlei, das uns von den Wänden des Glaspalastes entgegeuschaut, macht uns
gewiß: wir befinden uns mitten in der Wirklichkeit. Im Vollsinne des Wortes
malt unsre Kunst das Bild ihrer Zeit.

Bleiben wir zunächst beim Formaten stehen. Da geht durch alle Bilder
der beherrschende Zug nach Naturwahrheit. Nicht nach dem Inhalte oder der
Auffassung, sondern nach der gewählten Methode, dieses Ziel der höchstmög¬
lichen Illusion der Wirklichkeit zu erreichen, unterscheiden sich die Schulen.
Darin beruht die eigentümlichste Mannigfaltigkeit in dem Vielerlei. Dort das
Helldunkel der Atelierbeleuchtung, hier das nackte harte Freilicht; dort warme
leuchtende Farben, hier mattes fahles Grau; dort feine Detailausführung, hier
breite Pinselführung, mehr oder weniger massige Farbenklekse; dort klare scharfe
Umrisse, hier nirgends eine Linie, überall nur in einander übergehende Farben¬
töne. Unser „dort" und „hier" ist nicht willkürlich gewählt. Die moderne
Malerei mit ihrem Impressionismus und ihrem Freilicht, ihren natürlichen
Größen und ihren grauen Farben trat in München bedeutungsvoll in den
Vordergrund; eine große Zahl der glänzendsten und wirkungsvollsten Bilder
haben für sie Zeugnis abgelegt. Sie darf die Ausstellung wohl als eine Etappe
in ihrem Siegeslaufe betrachten. Das Interesse in der Kunst, die Wirklichkeit,
die volle Wirklichkeit und nur die Wirklichkeit darzustellen, ist in erster Linie
die Wirkung des der Wirklichkeit mit dem strengen Beobachtungsblick des auch
aufs kleinste achtenden Forscheranges zugewandten Interesses unsrer Zeit. Daß


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0469" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/203904"/>
          <fw type="header" place="top"> Unsre Zeit im Spiegel ihrer Kunst.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1202" prev="#ID_1201"> thätig sind. Diese Aufgabe aber ist um so bedeutungsvoller, als bei dem<lb/>
lebendigen Verkehr zwischen Publikum und Kunst die Rückwirkung der letztern<lb/>
ans den Charakter, die Vorstellungswclt und die Empfindungsweise des erster«<lb/>
viel größer sein wird, als in frühern Zeiten. Man hat das Recht, die Kunst<lb/>
als ein hervorragendes Erziehungsmittel und Bildungselement für unser Volks¬<lb/>
leben daraufhin zu prüfen, was wir uns von ihrem Einflüsse versprechen dür¬<lb/>
fen, eventuell dahin zu wirken, daß nur und daß immer reiner das Edelste?<lb/>
was unsre Zeit an geistigen Gütern besitzt, in ihren Schöpfungen zur Dar¬<lb/>
stellung und so durch sie zu Macht und Einfluß komme. Unter diesen Ge¬<lb/>
sichtspunkten aber wird vielleicht der Laie, der nicht einmal Kunstrezensent von<lb/>
Fach ist, nicht zu den Unberufenen zu rechnen sein, wenn er seine Eindrücke<lb/>
öffentlich auszusprechen wagt. Denn mit der Unbefangenheit des Nichtkenners<lb/>
steht er den Fragen der Technik und der Schule gegenüber, und durch das<lb/>
Interesse dafür, wie gemalt wird, wird bei ihm das andre dafür, was gemalt<lb/>
wird, nicht beeinflußt oder gar beeinträchtigt, wie es bei unsern Kunstrezen¬<lb/>
senten in den Tagesblättern der Fall zu sein pflegt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1203"> Suchen wir nnn nach den eigentümlichen Zügen im Kunstschaffen unsrer<lb/>
Zeit, so wird sofort der erste, der hervorstechendste, uns die Richtigkeit unsrer<lb/>
Voraussetzungen beweisen, daß, in höherem Maße als je, die Kunst ein Spiegel¬<lb/>
bild unsrer Zeit sei. Ein flüchtiger Überblick über das beinahe verwirrende<lb/>
Vielerlei, das uns von den Wänden des Glaspalastes entgegeuschaut, macht uns<lb/>
gewiß: wir befinden uns mitten in der Wirklichkeit. Im Vollsinne des Wortes<lb/>
malt unsre Kunst das Bild ihrer Zeit.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1204" next="#ID_1205"> Bleiben wir zunächst beim Formaten stehen. Da geht durch alle Bilder<lb/>
der beherrschende Zug nach Naturwahrheit. Nicht nach dem Inhalte oder der<lb/>
Auffassung, sondern nach der gewählten Methode, dieses Ziel der höchstmög¬<lb/>
lichen Illusion der Wirklichkeit zu erreichen, unterscheiden sich die Schulen.<lb/>
Darin beruht die eigentümlichste Mannigfaltigkeit in dem Vielerlei. Dort das<lb/>
Helldunkel der Atelierbeleuchtung, hier das nackte harte Freilicht; dort warme<lb/>
leuchtende Farben, hier mattes fahles Grau; dort feine Detailausführung, hier<lb/>
breite Pinselführung, mehr oder weniger massige Farbenklekse; dort klare scharfe<lb/>
Umrisse, hier nirgends eine Linie, überall nur in einander übergehende Farben¬<lb/>
töne. Unser &#x201E;dort" und &#x201E;hier" ist nicht willkürlich gewählt. Die moderne<lb/>
Malerei mit ihrem Impressionismus und ihrem Freilicht, ihren natürlichen<lb/>
Größen und ihren grauen Farben trat in München bedeutungsvoll in den<lb/>
Vordergrund; eine große Zahl der glänzendsten und wirkungsvollsten Bilder<lb/>
haben für sie Zeugnis abgelegt. Sie darf die Ausstellung wohl als eine Etappe<lb/>
in ihrem Siegeslaufe betrachten. Das Interesse in der Kunst, die Wirklichkeit,<lb/>
die volle Wirklichkeit und nur die Wirklichkeit darzustellen, ist in erster Linie<lb/>
die Wirkung des der Wirklichkeit mit dem strengen Beobachtungsblick des auch<lb/>
aufs kleinste achtenden Forscheranges zugewandten Interesses unsrer Zeit. Daß</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0469] Unsre Zeit im Spiegel ihrer Kunst. thätig sind. Diese Aufgabe aber ist um so bedeutungsvoller, als bei dem lebendigen Verkehr zwischen Publikum und Kunst die Rückwirkung der letztern ans den Charakter, die Vorstellungswclt und die Empfindungsweise des erster« viel größer sein wird, als in frühern Zeiten. Man hat das Recht, die Kunst als ein hervorragendes Erziehungsmittel und Bildungselement für unser Volks¬ leben daraufhin zu prüfen, was wir uns von ihrem Einflüsse versprechen dür¬ fen, eventuell dahin zu wirken, daß nur und daß immer reiner das Edelste? was unsre Zeit an geistigen Gütern besitzt, in ihren Schöpfungen zur Dar¬ stellung und so durch sie zu Macht und Einfluß komme. Unter diesen Ge¬ sichtspunkten aber wird vielleicht der Laie, der nicht einmal Kunstrezensent von Fach ist, nicht zu den Unberufenen zu rechnen sein, wenn er seine Eindrücke öffentlich auszusprechen wagt. Denn mit der Unbefangenheit des Nichtkenners steht er den Fragen der Technik und der Schule gegenüber, und durch das Interesse dafür, wie gemalt wird, wird bei ihm das andre dafür, was gemalt wird, nicht beeinflußt oder gar beeinträchtigt, wie es bei unsern Kunstrezen¬ senten in den Tagesblättern der Fall zu sein pflegt. Suchen wir nnn nach den eigentümlichen Zügen im Kunstschaffen unsrer Zeit, so wird sofort der erste, der hervorstechendste, uns die Richtigkeit unsrer Voraussetzungen beweisen, daß, in höherem Maße als je, die Kunst ein Spiegel¬ bild unsrer Zeit sei. Ein flüchtiger Überblick über das beinahe verwirrende Vielerlei, das uns von den Wänden des Glaspalastes entgegeuschaut, macht uns gewiß: wir befinden uns mitten in der Wirklichkeit. Im Vollsinne des Wortes malt unsre Kunst das Bild ihrer Zeit. Bleiben wir zunächst beim Formaten stehen. Da geht durch alle Bilder der beherrschende Zug nach Naturwahrheit. Nicht nach dem Inhalte oder der Auffassung, sondern nach der gewählten Methode, dieses Ziel der höchstmög¬ lichen Illusion der Wirklichkeit zu erreichen, unterscheiden sich die Schulen. Darin beruht die eigentümlichste Mannigfaltigkeit in dem Vielerlei. Dort das Helldunkel der Atelierbeleuchtung, hier das nackte harte Freilicht; dort warme leuchtende Farben, hier mattes fahles Grau; dort feine Detailausführung, hier breite Pinselführung, mehr oder weniger massige Farbenklekse; dort klare scharfe Umrisse, hier nirgends eine Linie, überall nur in einander übergehende Farben¬ töne. Unser „dort" und „hier" ist nicht willkürlich gewählt. Die moderne Malerei mit ihrem Impressionismus und ihrem Freilicht, ihren natürlichen Größen und ihren grauen Farben trat in München bedeutungsvoll in den Vordergrund; eine große Zahl der glänzendsten und wirkungsvollsten Bilder haben für sie Zeugnis abgelegt. Sie darf die Ausstellung wohl als eine Etappe in ihrem Siegeslaufe betrachten. Das Interesse in der Kunst, die Wirklichkeit, die volle Wirklichkeit und nur die Wirklichkeit darzustellen, ist in erster Linie die Wirkung des der Wirklichkeit mit dem strengen Beobachtungsblick des auch aufs kleinste achtenden Forscheranges zugewandten Interesses unsrer Zeit. Daß

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/469
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/469>, abgerufen am 22.07.2024.