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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr.

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Die Gebietsentwicklnng der Ginzelstaaten Deutschlands.

bei Cannstatt die Burg erbaut habe, nach der das Geschlecht sich fortan
nannte, läßt sich nicht wohl damit in Übereinstimmung bringen. Die ursprüng¬
liche Form des Namens "Wirtineberg" weist uns auf seine Bedeutung hin;
Wirtin heißt im mittelalterlichen Deutsch Hausfrau, Ehefrau; in Schillers
"Teil" z. B. erkundigt sich Walther Fürst bei Stauffacher nach "Frau Gertrud,
seiner angenehmen Wirtin," und diese selbst redet ihren Gatten an als "mein
lieber Herr und Ehewirt." Schiller hat diese Ausdrücke bekanntlich der Chronik
Tschudis entnommen. Jener Konrad benannte also die neue Burg zu Ehren
seiner Gemahlin Wirtineberg, d. h. Frauenberg oder Frauenburg.

Die ununterbrochene Reihe der Regenten beginnt erst mit Ulrich mit dem
Daumen, darum wohl auch zubenannt "der Stifter." Dieser benutzt den
Verfall der Macht und endlich den Untergang der Hohenstaufen, um seine
Besitzungen zu vergrößern und sich reichsfrei zu machen. Das thaten damals
alle irgendwie mächtigen Herren im vormaligen Herzogtums Schwaben, geistliche
und weltliche, und eine große Anzahl von Städten. Zu seinen Stammbesitzungen
mit Cannstatt, Stuttgart, Leonberg. Schorndorf und der frühern Burg der Hohen¬
staufen Waldungen erwarb er noch die Grafschaft Urach und die Orte Wild-
lingen und Nürtingen. Außerdem verlieh ihm Konradin die Vogtei über die
Reichsstadt Ulm. Sein Sohn, Eberhard der Erlauchte, erwarb durch Kauf die
Grafschaft Kato und die Herrschaft Neusten, und durch kaiserliche Belehnung
die Orte Göppingen, Asperg, Marbach u. f. w. Da das Stammschloß Württem¬
berg von den Bürgern der Reichsstadt Eßlingen zerstört worden war, verlegte
er im Jahre 1320 die Residenz nach Stuttgart. Sein Sohn Ulrich, den mau
als vierten zählt, vergrößerte ebenfalls seinen Besitz, und zwar meistens durch
Kauf, so um die Herrschaft Winnenden, die Grafschaft Gröningen, die Grafschaft
Vaihingen und eine Reihe von Orten, die ehemals zu der sogenannten schwäbischen
Pfalz gehört hatten, unter denen Tübingen mit seiner starken Burg Höhen-
Tübingen am wichtigsten war. Er brachte den ersten linksrheinischen Besitz an
sein Hans durch Erkaufung der Herrschaft Horburg an der Ill im obern Elsaß.
Die Macht dieses Grafen Ulrich war bereits fo bedeutend, daß ihm Kaiser
Ludwig der Baier des Reiches Sturmfahne verlieh; in dieser Beziehung sind
also die Württemberger wirklich die Nachfolger der alten Herzöge von
Schwaben.

Eine besonders bekannte Figur ist namentlich durch die Dichtungen Uhlands
Graf Eberhard der Greiner geworden; Uhland nennt ihn den "alten Rausche¬
bart," und hierauf ist wohl die ziemlich verbreitete Verwechslung zurückzuführen,
daß dieser Eberhard und der "Graf im Barte," von dem gleich noch die Rede
sein soll, dieselbe Persönlichkeit seien. Er erwarb die Landschaft zwischen Stuttgart
und Tübingen, Schönbuch genannt, die Orte Bodungen, Laufen am Neckar,
Edinger, namentlich aber die Güter der Herzöge von Teck. Die folgenden
Regenten können überschlagen werden; es genügt, zu erwähnen, daß unter ihnen


Grenzboten IV. 1888. S1
Die Gebietsentwicklnng der Ginzelstaaten Deutschlands.

bei Cannstatt die Burg erbaut habe, nach der das Geschlecht sich fortan
nannte, läßt sich nicht wohl damit in Übereinstimmung bringen. Die ursprüng¬
liche Form des Namens „Wirtineberg" weist uns auf seine Bedeutung hin;
Wirtin heißt im mittelalterlichen Deutsch Hausfrau, Ehefrau; in Schillers
„Teil" z. B. erkundigt sich Walther Fürst bei Stauffacher nach „Frau Gertrud,
seiner angenehmen Wirtin," und diese selbst redet ihren Gatten an als „mein
lieber Herr und Ehewirt." Schiller hat diese Ausdrücke bekanntlich der Chronik
Tschudis entnommen. Jener Konrad benannte also die neue Burg zu Ehren
seiner Gemahlin Wirtineberg, d. h. Frauenberg oder Frauenburg.

Die ununterbrochene Reihe der Regenten beginnt erst mit Ulrich mit dem
Daumen, darum wohl auch zubenannt „der Stifter." Dieser benutzt den
Verfall der Macht und endlich den Untergang der Hohenstaufen, um seine
Besitzungen zu vergrößern und sich reichsfrei zu machen. Das thaten damals
alle irgendwie mächtigen Herren im vormaligen Herzogtums Schwaben, geistliche
und weltliche, und eine große Anzahl von Städten. Zu seinen Stammbesitzungen
mit Cannstatt, Stuttgart, Leonberg. Schorndorf und der frühern Burg der Hohen¬
staufen Waldungen erwarb er noch die Grafschaft Urach und die Orte Wild-
lingen und Nürtingen. Außerdem verlieh ihm Konradin die Vogtei über die
Reichsstadt Ulm. Sein Sohn, Eberhard der Erlauchte, erwarb durch Kauf die
Grafschaft Kato und die Herrschaft Neusten, und durch kaiserliche Belehnung
die Orte Göppingen, Asperg, Marbach u. f. w. Da das Stammschloß Württem¬
berg von den Bürgern der Reichsstadt Eßlingen zerstört worden war, verlegte
er im Jahre 1320 die Residenz nach Stuttgart. Sein Sohn Ulrich, den mau
als vierten zählt, vergrößerte ebenfalls seinen Besitz, und zwar meistens durch
Kauf, so um die Herrschaft Winnenden, die Grafschaft Gröningen, die Grafschaft
Vaihingen und eine Reihe von Orten, die ehemals zu der sogenannten schwäbischen
Pfalz gehört hatten, unter denen Tübingen mit seiner starken Burg Höhen-
Tübingen am wichtigsten war. Er brachte den ersten linksrheinischen Besitz an
sein Hans durch Erkaufung der Herrschaft Horburg an der Ill im obern Elsaß.
Die Macht dieses Grafen Ulrich war bereits fo bedeutend, daß ihm Kaiser
Ludwig der Baier des Reiches Sturmfahne verlieh; in dieser Beziehung sind
also die Württemberger wirklich die Nachfolger der alten Herzöge von
Schwaben.

Eine besonders bekannte Figur ist namentlich durch die Dichtungen Uhlands
Graf Eberhard der Greiner geworden; Uhland nennt ihn den „alten Rausche¬
bart," und hierauf ist wohl die ziemlich verbreitete Verwechslung zurückzuführen,
daß dieser Eberhard und der „Graf im Barte," von dem gleich noch die Rede
sein soll, dieselbe Persönlichkeit seien. Er erwarb die Landschaft zwischen Stuttgart
und Tübingen, Schönbuch genannt, die Orte Bodungen, Laufen am Neckar,
Edinger, namentlich aber die Güter der Herzöge von Teck. Die folgenden
Regenten können überschlagen werden; es genügt, zu erwähnen, daß unter ihnen


Grenzboten IV. 1888. S1
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[0409] Die Gebietsentwicklnng der Ginzelstaaten Deutschlands. bei Cannstatt die Burg erbaut habe, nach der das Geschlecht sich fortan nannte, läßt sich nicht wohl damit in Übereinstimmung bringen. Die ursprüng¬ liche Form des Namens „Wirtineberg" weist uns auf seine Bedeutung hin; Wirtin heißt im mittelalterlichen Deutsch Hausfrau, Ehefrau; in Schillers „Teil" z. B. erkundigt sich Walther Fürst bei Stauffacher nach „Frau Gertrud, seiner angenehmen Wirtin," und diese selbst redet ihren Gatten an als „mein lieber Herr und Ehewirt." Schiller hat diese Ausdrücke bekanntlich der Chronik Tschudis entnommen. Jener Konrad benannte also die neue Burg zu Ehren seiner Gemahlin Wirtineberg, d. h. Frauenberg oder Frauenburg. Die ununterbrochene Reihe der Regenten beginnt erst mit Ulrich mit dem Daumen, darum wohl auch zubenannt „der Stifter." Dieser benutzt den Verfall der Macht und endlich den Untergang der Hohenstaufen, um seine Besitzungen zu vergrößern und sich reichsfrei zu machen. Das thaten damals alle irgendwie mächtigen Herren im vormaligen Herzogtums Schwaben, geistliche und weltliche, und eine große Anzahl von Städten. Zu seinen Stammbesitzungen mit Cannstatt, Stuttgart, Leonberg. Schorndorf und der frühern Burg der Hohen¬ staufen Waldungen erwarb er noch die Grafschaft Urach und die Orte Wild- lingen und Nürtingen. Außerdem verlieh ihm Konradin die Vogtei über die Reichsstadt Ulm. Sein Sohn, Eberhard der Erlauchte, erwarb durch Kauf die Grafschaft Kato und die Herrschaft Neusten, und durch kaiserliche Belehnung die Orte Göppingen, Asperg, Marbach u. f. w. Da das Stammschloß Württem¬ berg von den Bürgern der Reichsstadt Eßlingen zerstört worden war, verlegte er im Jahre 1320 die Residenz nach Stuttgart. Sein Sohn Ulrich, den mau als vierten zählt, vergrößerte ebenfalls seinen Besitz, und zwar meistens durch Kauf, so um die Herrschaft Winnenden, die Grafschaft Gröningen, die Grafschaft Vaihingen und eine Reihe von Orten, die ehemals zu der sogenannten schwäbischen Pfalz gehört hatten, unter denen Tübingen mit seiner starken Burg Höhen- Tübingen am wichtigsten war. Er brachte den ersten linksrheinischen Besitz an sein Hans durch Erkaufung der Herrschaft Horburg an der Ill im obern Elsaß. Die Macht dieses Grafen Ulrich war bereits fo bedeutend, daß ihm Kaiser Ludwig der Baier des Reiches Sturmfahne verlieh; in dieser Beziehung sind also die Württemberger wirklich die Nachfolger der alten Herzöge von Schwaben. Eine besonders bekannte Figur ist namentlich durch die Dichtungen Uhlands Graf Eberhard der Greiner geworden; Uhland nennt ihn den „alten Rausche¬ bart," und hierauf ist wohl die ziemlich verbreitete Verwechslung zurückzuführen, daß dieser Eberhard und der „Graf im Barte," von dem gleich noch die Rede sein soll, dieselbe Persönlichkeit seien. Er erwarb die Landschaft zwischen Stuttgart und Tübingen, Schönbuch genannt, die Orte Bodungen, Laufen am Neckar, Edinger, namentlich aber die Güter der Herzöge von Teck. Die folgenden Regenten können überschlagen werden; es genügt, zu erwähnen, daß unter ihnen Grenzboten IV. 1888. S1

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/409>, abgerufen am 22.07.2024.