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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr.

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Der Zollanschluß Hamburgs und Bremens.

des Artikels 31. Erfolgt der von der Verfassung vorausgesetzte Antrag der
Hansestädte, so wird damit nur der Hauptgrundsatz des Artikels 30, die Ein¬
heit des Zoll- und Handelsgebiets, verwirklicht, und es handelt sich einfach um
eine Ausfnhrungsmcißrcgel der Reichsgesetzgebung. In den maßgebenden Kreisen
der Bundesregierung hat damals jedenfalls kein Zweifel darüber bestanden, daß
diese Freihafenstellung nur eine provisorische sein könne, durch die den betei¬
ligten mit dem Auslande damals frei verkehrenden Städten ein Übergangs-
stadium erleichtert werden sollte. Der damalige preußische Ministerialdirektor
Delbrück war der Ansicht, daß sechs bis sieben Jahre für die Hansestädte ge¬
nügen würden, ihre Verhältnisse so weit zu ordnen, um in den gemeinsamen
Zollverband einzutreten. Schon damals sind Anschläge gemacht worden, was
die Entrepöt-Einrichtungen ungefähr kosten würden, ohne deren Herstellung die
Einziehung Hamburg in den Zollverein nicht möglich sein würde. Auch Ham¬
burg selbst faßte damals den Anschluß als überwiegend im Interesse des Bundes
und der gesamten nationalen Entwicklung auf und war der Meinung, daß ihm
wohl ein Zuschuß von sechs bis zehn Millionen Thalern für die notwendig
werdenden Zollanschlußbauten zu teil werden dürfte. Von allen Seiten ward
in jenen jugendfrohen Tagen unsrer neuen politischen Einheit zugegeben, daß
die einzige Ausnahme von der allgemeinen Regel der deutschen Zolleinheit so¬
bald als irgend möglich beseitigt werden müsse. Nur weil Preußen die Frei¬
hafenstellung durchaus als ein Provisorium ansah, schloß es, wesentlich aus
Rücksicht aus Hamburg, das preußisch gewordene Altona von der Zolllinie ans,
obgleich die Anschlußpartei in Altona zu jener Zeit sehr stark war, und in
Schleswig-Holstein anfangs nahezu jedermann erwartete, mit der Provinz
werde auch ihr größter Handelsplatz in die Zollgrenze eintreten. Nur weil
man in Berlin der Überzeugung lebte, daß die Hansestädte nun ihrerseits den
ersten Augenblick benutzen würden, um das Endergebnis vorzubereiten und die
Zollscheidewand zwischen sich und der übrigen Nation hinwegzuräumen, bean¬
tragte Preußen, die neue Zolllinie auf der Elbe oberhalb Hamburgs, bei
Bergedorf zu ziehen und somit die gesamte Unterelbe, die von Hamburg bis
Cuxhafen durch die Annexion Hannovers und Schleswig-Holsteins unzweifel¬
haft ein preußischer Fluß geworden war, auf eine Strecke von zwölf deutschen
Meilen als Zollausschlußgebiet zu belassen. Solche, das eigne Land schädi¬
gende, weit über alle rechtlichen Verpflichtungen hinausgehende freiwillige
Selbstverleugnung würde, einem mächtigen Nachbarstaate gegenüber, den Vor¬
wurf schimpflicher Schwäche verdienen. Den Hansestädten erwiesen, bewies sie
nur, wie dringend die preußische Regierung wünschte, mit allen ihren kleinen
Bundesgenossen in freundnachbarlichem Verhältnisse zu stehen, und wie zuver¬
sichtlich sie erwartete, daß die Hansestädte die übernommene Ehrenpflicht er¬
füllen würden, die Verheißung der Verfassung -- jenes "bis" des Artikels 31 --
binnen kürzester Frist zur Ausführung zu bringen.


Der Zollanschluß Hamburgs und Bremens.

des Artikels 31. Erfolgt der von der Verfassung vorausgesetzte Antrag der
Hansestädte, so wird damit nur der Hauptgrundsatz des Artikels 30, die Ein¬
heit des Zoll- und Handelsgebiets, verwirklicht, und es handelt sich einfach um
eine Ausfnhrungsmcißrcgel der Reichsgesetzgebung. In den maßgebenden Kreisen
der Bundesregierung hat damals jedenfalls kein Zweifel darüber bestanden, daß
diese Freihafenstellung nur eine provisorische sein könne, durch die den betei¬
ligten mit dem Auslande damals frei verkehrenden Städten ein Übergangs-
stadium erleichtert werden sollte. Der damalige preußische Ministerialdirektor
Delbrück war der Ansicht, daß sechs bis sieben Jahre für die Hansestädte ge¬
nügen würden, ihre Verhältnisse so weit zu ordnen, um in den gemeinsamen
Zollverband einzutreten. Schon damals sind Anschläge gemacht worden, was
die Entrepöt-Einrichtungen ungefähr kosten würden, ohne deren Herstellung die
Einziehung Hamburg in den Zollverein nicht möglich sein würde. Auch Ham¬
burg selbst faßte damals den Anschluß als überwiegend im Interesse des Bundes
und der gesamten nationalen Entwicklung auf und war der Meinung, daß ihm
wohl ein Zuschuß von sechs bis zehn Millionen Thalern für die notwendig
werdenden Zollanschlußbauten zu teil werden dürfte. Von allen Seiten ward
in jenen jugendfrohen Tagen unsrer neuen politischen Einheit zugegeben, daß
die einzige Ausnahme von der allgemeinen Regel der deutschen Zolleinheit so¬
bald als irgend möglich beseitigt werden müsse. Nur weil Preußen die Frei¬
hafenstellung durchaus als ein Provisorium ansah, schloß es, wesentlich aus
Rücksicht aus Hamburg, das preußisch gewordene Altona von der Zolllinie ans,
obgleich die Anschlußpartei in Altona zu jener Zeit sehr stark war, und in
Schleswig-Holstein anfangs nahezu jedermann erwartete, mit der Provinz
werde auch ihr größter Handelsplatz in die Zollgrenze eintreten. Nur weil
man in Berlin der Überzeugung lebte, daß die Hansestädte nun ihrerseits den
ersten Augenblick benutzen würden, um das Endergebnis vorzubereiten und die
Zollscheidewand zwischen sich und der übrigen Nation hinwegzuräumen, bean¬
tragte Preußen, die neue Zolllinie auf der Elbe oberhalb Hamburgs, bei
Bergedorf zu ziehen und somit die gesamte Unterelbe, die von Hamburg bis
Cuxhafen durch die Annexion Hannovers und Schleswig-Holsteins unzweifel¬
haft ein preußischer Fluß geworden war, auf eine Strecke von zwölf deutschen
Meilen als Zollausschlußgebiet zu belassen. Solche, das eigne Land schädi¬
gende, weit über alle rechtlichen Verpflichtungen hinausgehende freiwillige
Selbstverleugnung würde, einem mächtigen Nachbarstaate gegenüber, den Vor¬
wurf schimpflicher Schwäche verdienen. Den Hansestädten erwiesen, bewies sie
nur, wie dringend die preußische Regierung wünschte, mit allen ihren kleinen
Bundesgenossen in freundnachbarlichem Verhältnisse zu stehen, und wie zuver¬
sichtlich sie erwartete, daß die Hansestädte die übernommene Ehrenpflicht er¬
füllen würden, die Verheißung der Verfassung — jenes „bis" des Artikels 31 —
binnen kürzester Frist zur Ausführung zu bringen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/400>, abgerufen am 22.07.2024.