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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr.

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Der Zollanschluß Hamburgs und Bremens.

einen Beschluß des Bundestages oder des Frankfurter Parlaments den über¬
seeischen Nationen anbefohlen werden, von den Hansestädten anstatt englischer
Fabrikate hinfort deutsche zu kaufen, noch konnte der Hamburger Großhändler
ein Interesse darin finden, sich um eine Industrie zu kümmern, die noch an
gewissen Kinderkrankheiten litt und recht oft unreell und unkoulant bediente,
und deren Vertreter, wenn irgend möglich, an dem Exporteur vorbei unmittelbar
mit dem ausländischen Kunden in Verbindung zu treten liebten.

Seien wir gerecht. Es ist uns vollkommen verständlich, daß in den wei¬
testen Kreisen der hanseatischen Bevölkerung der offene Wunsch lebte, die alte
hanseatische Handelsautonomie und die stolze Einsamkeit der Vaterstädte möchten
ewig dauern. Wir verstehen es, daß in diesen stolzen Gemeinden, die halb deutsch
und halb weltbürgerlich, halb Städte und halb Staaten waren, jener heimat¬
lose Weltbürgersinn, der einst fast in jedem deutschen Kriege nach Neutralität
der vaterstädtischen Flagge verlangt hatte, noch nicht ganz erloschen war. Wir
begreifen es, daß die Hanseaten, genau wie die Leipziger Grvßkaufherren und
die Frankfurter Patrizier, dem Fortschreiten des preußisch-deutschen Zollvereins
bisweilen geradezu feindlich entgegentraten, weil sie von dem Aufhören der
deutschen Zoll-Anarchie und von der Entwicklung einer deutschen Industrie eine
Minderung und Schädigung ihres Zwischenhandels mit englischen und fran¬
zösischen Manufakturen befürchten mußten.

Wir verstehen und begreifen jene hanseatischen Wünsche und Stimmungen,
weil sie gewissermaßen historisch geworden sind. Aber unsre vollen und un¬
geteilten Sympathien vermögen wir doch nur denjenigen hanseatischen Publi¬
zisten zuzuwenden, die bereits vor dem Jahre 1866 die wirtschaftliche Zer¬
rissenheit des Vaterlandes und die unverschuldete Jsolirung ihrer Plätze lebhaft
beklagten, die offen zugestanden, der Zollverein könne der Hansestädte nicht
entbehren, wenn er eine nationale Schiffahrts- und Handelspolitik zu treiben
unternehme, und nur behaupteten, ihm fehle für jetzt die Macht und der Wille
eine solche Politik zu führen, die erklärten, daß gerade die Pflicht der großen
Hafenplätze, den Interessen des gesamten deutschen Verkehrs gleichmäßig zu
dienen, den Eintritt der Vaterstädte in die preußische Zollgcmeinschaft von selbst
verbiete, solange die Zolllinien Dänemarks, der beiden Mecklenburg, des Zoll¬
vereins und des Steuervereins ihre Thore umgaben.

Selbst wenn sich hinter diesen loyalen Erklärungen Partikularistische Hinter¬
gedanken verborgen hätten, so vermag man doch an ihnen formell um so we¬
niger auszusetzen, als sie sich vollständig mit den großen handelspolitischen
Plänen deckten, mit denen der preußische Finanzminister von Motz in schwülen
Zeiten wieder in die Bahnen friedericianischer Staatskunst einzulenken wagte.
In jener merkwürdigen Denkschrift vom Juni 1329, in der er dem Könige
Friedrich Wilhelm III. über die soeben zwischen Preußen-Hessen und Baiern-
Württcmberg abgeschlossenen Verträge berichtete, war es klar ausgesprochen,


Der Zollanschluß Hamburgs und Bremens.

einen Beschluß des Bundestages oder des Frankfurter Parlaments den über¬
seeischen Nationen anbefohlen werden, von den Hansestädten anstatt englischer
Fabrikate hinfort deutsche zu kaufen, noch konnte der Hamburger Großhändler
ein Interesse darin finden, sich um eine Industrie zu kümmern, die noch an
gewissen Kinderkrankheiten litt und recht oft unreell und unkoulant bediente,
und deren Vertreter, wenn irgend möglich, an dem Exporteur vorbei unmittelbar
mit dem ausländischen Kunden in Verbindung zu treten liebten.

Seien wir gerecht. Es ist uns vollkommen verständlich, daß in den wei¬
testen Kreisen der hanseatischen Bevölkerung der offene Wunsch lebte, die alte
hanseatische Handelsautonomie und die stolze Einsamkeit der Vaterstädte möchten
ewig dauern. Wir verstehen es, daß in diesen stolzen Gemeinden, die halb deutsch
und halb weltbürgerlich, halb Städte und halb Staaten waren, jener heimat¬
lose Weltbürgersinn, der einst fast in jedem deutschen Kriege nach Neutralität
der vaterstädtischen Flagge verlangt hatte, noch nicht ganz erloschen war. Wir
begreifen es, daß die Hanseaten, genau wie die Leipziger Grvßkaufherren und
die Frankfurter Patrizier, dem Fortschreiten des preußisch-deutschen Zollvereins
bisweilen geradezu feindlich entgegentraten, weil sie von dem Aufhören der
deutschen Zoll-Anarchie und von der Entwicklung einer deutschen Industrie eine
Minderung und Schädigung ihres Zwischenhandels mit englischen und fran¬
zösischen Manufakturen befürchten mußten.

Wir verstehen und begreifen jene hanseatischen Wünsche und Stimmungen,
weil sie gewissermaßen historisch geworden sind. Aber unsre vollen und un¬
geteilten Sympathien vermögen wir doch nur denjenigen hanseatischen Publi¬
zisten zuzuwenden, die bereits vor dem Jahre 1866 die wirtschaftliche Zer¬
rissenheit des Vaterlandes und die unverschuldete Jsolirung ihrer Plätze lebhaft
beklagten, die offen zugestanden, der Zollverein könne der Hansestädte nicht
entbehren, wenn er eine nationale Schiffahrts- und Handelspolitik zu treiben
unternehme, und nur behaupteten, ihm fehle für jetzt die Macht und der Wille
eine solche Politik zu führen, die erklärten, daß gerade die Pflicht der großen
Hafenplätze, den Interessen des gesamten deutschen Verkehrs gleichmäßig zu
dienen, den Eintritt der Vaterstädte in die preußische Zollgcmeinschaft von selbst
verbiete, solange die Zolllinien Dänemarks, der beiden Mecklenburg, des Zoll¬
vereins und des Steuervereins ihre Thore umgaben.

Selbst wenn sich hinter diesen loyalen Erklärungen Partikularistische Hinter¬
gedanken verborgen hätten, so vermag man doch an ihnen formell um so we¬
niger auszusetzen, als sie sich vollständig mit den großen handelspolitischen
Plänen deckten, mit denen der preußische Finanzminister von Motz in schwülen
Zeiten wieder in die Bahnen friedericianischer Staatskunst einzulenken wagte.
In jener merkwürdigen Denkschrift vom Juni 1329, in der er dem Könige
Friedrich Wilhelm III. über die soeben zwischen Preußen-Hessen und Baiern-
Württcmberg abgeschlossenen Verträge berichtete, war es klar ausgesprochen,


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[0397] Der Zollanschluß Hamburgs und Bremens. einen Beschluß des Bundestages oder des Frankfurter Parlaments den über¬ seeischen Nationen anbefohlen werden, von den Hansestädten anstatt englischer Fabrikate hinfort deutsche zu kaufen, noch konnte der Hamburger Großhändler ein Interesse darin finden, sich um eine Industrie zu kümmern, die noch an gewissen Kinderkrankheiten litt und recht oft unreell und unkoulant bediente, und deren Vertreter, wenn irgend möglich, an dem Exporteur vorbei unmittelbar mit dem ausländischen Kunden in Verbindung zu treten liebten. Seien wir gerecht. Es ist uns vollkommen verständlich, daß in den wei¬ testen Kreisen der hanseatischen Bevölkerung der offene Wunsch lebte, die alte hanseatische Handelsautonomie und die stolze Einsamkeit der Vaterstädte möchten ewig dauern. Wir verstehen es, daß in diesen stolzen Gemeinden, die halb deutsch und halb weltbürgerlich, halb Städte und halb Staaten waren, jener heimat¬ lose Weltbürgersinn, der einst fast in jedem deutschen Kriege nach Neutralität der vaterstädtischen Flagge verlangt hatte, noch nicht ganz erloschen war. Wir begreifen es, daß die Hanseaten, genau wie die Leipziger Grvßkaufherren und die Frankfurter Patrizier, dem Fortschreiten des preußisch-deutschen Zollvereins bisweilen geradezu feindlich entgegentraten, weil sie von dem Aufhören der deutschen Zoll-Anarchie und von der Entwicklung einer deutschen Industrie eine Minderung und Schädigung ihres Zwischenhandels mit englischen und fran¬ zösischen Manufakturen befürchten mußten. Wir verstehen und begreifen jene hanseatischen Wünsche und Stimmungen, weil sie gewissermaßen historisch geworden sind. Aber unsre vollen und un¬ geteilten Sympathien vermögen wir doch nur denjenigen hanseatischen Publi¬ zisten zuzuwenden, die bereits vor dem Jahre 1866 die wirtschaftliche Zer¬ rissenheit des Vaterlandes und die unverschuldete Jsolirung ihrer Plätze lebhaft beklagten, die offen zugestanden, der Zollverein könne der Hansestädte nicht entbehren, wenn er eine nationale Schiffahrts- und Handelspolitik zu treiben unternehme, und nur behaupteten, ihm fehle für jetzt die Macht und der Wille eine solche Politik zu führen, die erklärten, daß gerade die Pflicht der großen Hafenplätze, den Interessen des gesamten deutschen Verkehrs gleichmäßig zu dienen, den Eintritt der Vaterstädte in die preußische Zollgcmeinschaft von selbst verbiete, solange die Zolllinien Dänemarks, der beiden Mecklenburg, des Zoll¬ vereins und des Steuervereins ihre Thore umgaben. Selbst wenn sich hinter diesen loyalen Erklärungen Partikularistische Hinter¬ gedanken verborgen hätten, so vermag man doch an ihnen formell um so we¬ niger auszusetzen, als sie sich vollständig mit den großen handelspolitischen Plänen deckten, mit denen der preußische Finanzminister von Motz in schwülen Zeiten wieder in die Bahnen friedericianischer Staatskunst einzulenken wagte. In jener merkwürdigen Denkschrift vom Juni 1329, in der er dem Könige Friedrich Wilhelm III. über die soeben zwischen Preußen-Hessen und Baiern- Württcmberg abgeschlossenen Verträge berichtete, war es klar ausgesprochen,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/397>, abgerufen am 22.07.2024.