Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr.Die preußische Landtagswahl und die römische Frage. teile zur Genüge gelehrt, als im Frühling 1866 katholische Geistliche im Dem Wahlaufrufe der Parteileitung folgten noch besondre für Rheinland und Die preußische Landtagswahl und die römische Frage. teile zur Genüge gelehrt, als im Frühling 1866 katholische Geistliche im Dem Wahlaufrufe der Parteileitung folgten noch besondre für Rheinland und <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0384" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/203819"/> <fw type="header" place="top"> Die preußische Landtagswahl und die römische Frage.</fw><lb/> <p xml:id="ID_965" prev="#ID_964"> teile zur Genüge gelehrt, als im Frühling 1866 katholische Geistliche im<lb/> preußischen Schlesien für den Sieg der österreichischen Waffen beteten, gegen<lb/> welche die Angehörigen derselben Gemeinden im Felde standen. Das war eine<lb/> Leitung des Religionsunterrichts im Sinne des Windthorstschen Antrags!<lb/> Dann in der zweiten Hälfte des Wahlaufrufs einige banale Phrasen über die<lb/> Sozial- und Wirtschaftspolitik, die bekanntlich gar nicht vor das Forum des<lb/> Landtags gehört, und als eigentliches Lockmittel für den ländlichen Wähler,<lb/> der etwa bis dahin von dem Aufrufe wenig oder gar nichts verstanden hatte,<lb/> wurde endlich in gesperrter Schrift „die schärfste und ungleich drückende An¬<lb/> spannung der Steuerkraft" gegeißelt und gerechtere Verteilung der direkten<lb/> Steuern gefordert — die unvermeidliche, ihre Zugkraft stets bewahrende Deko¬<lb/> ration jedes Wahlprogramms, in welchem man Gemeinverständliches sonst nicht<lb/> zu sagen hat.</p><lb/> <p xml:id="ID_966" next="#ID_967"> Dem Wahlaufrufe der Parteileitung folgten noch besondre für Rheinland und<lb/> für Westfalen. Der letztre schloß sich einfach dem „Wahlprogramm" der Partei<lb/> an. der der Rheinland« erging sich des breitern gegen die Nationalliberalen,<lb/> „die namentlich in der Rheinprovinz ihre Zeit wieder für gekommen erachten,"<lb/> und stellte eine verfehlte Wirtschaftsgesetzgebung sowie eine „vollständige Ver¬<lb/> sumpfung der Sozialreform" in den Vordergrund. So gab man sich in der<lb/> Rheinprovinz wenigstens Mühe, dem offensiven Vorgehen der Partei den<lb/> Charakter einer notgedrungnen Defensive „für Wirtschaftspolitik und Sozial¬<lb/> reform" zu verleihen. Vielleicht war für diese „Notwehr" auch das Eintreten<lb/> des Erzbischofs von Köln erbeten und erlangt worden, der zum allgemeinen<lb/> Erstaunen einen aus Neuß den 10. Oktober datirten Erlaß in die Welt sandte<lb/> mit der Weisung, denselben am Sonntag vor der Wahl von allen Kanzeln zu ver¬<lb/> lesen. Auch darin ist von „Bereitwilligkeit und Thatkraft für die Beseitigung<lb/> der sozialen Notstände" die Rede, dem Klerus wird jedoch nicht allein die persön¬<lb/> liche Wahlbeteiligung aufgetragen, sondern auch ein „Hinwirken durch Wort und<lb/> Beispiel auf die Wahl von Abgeordneten, welche Gott fürchten und den König<lb/> ehren, dem Kaiser geben, was des Kaisers, und Gott, was Gottes ist." Der<lb/> „Moniteur de Rome" war in der Lage, der telegraphischen Mitteilung dieses<lb/> erzbischöflichen Wahlschreibens hinzuzufügen: „Andere Erlasse werden publizirt<lb/> werden", und in der That stellte sich anch alsbald der Bischof von Münster<lb/> in nachbarlicher Kollegialität mit einem Wahlerlaß vom 16. Oktober ein, worin<lb/> er es „als eine besondre Obliegenheit seines oberhirtlicher Amts" erachtete,<lb/> seine Diözesanen „mit allem Nachdruck aufzufordern," bei dieser Gelegenheit<lb/> ihrer Gewissenspflicht eingedenk zu sein. In diesem Erlaß ist zwar von Wirt¬<lb/> schaftspolitik und Sozialreform keine Rede, sondern nur von der Durchführung<lb/> christlicher Grundsätze und dem christlichen Charakter der Schule; zum Schluß<lb/> aber kommt die gleiche Weisung an die Geistlichkeit, „mit Eifer und in ange¬<lb/> messener Weise für gute Wahlen einzutreten." Auch die Verlesung von allen</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0384]
Die preußische Landtagswahl und die römische Frage.
teile zur Genüge gelehrt, als im Frühling 1866 katholische Geistliche im
preußischen Schlesien für den Sieg der österreichischen Waffen beteten, gegen
welche die Angehörigen derselben Gemeinden im Felde standen. Das war eine
Leitung des Religionsunterrichts im Sinne des Windthorstschen Antrags!
Dann in der zweiten Hälfte des Wahlaufrufs einige banale Phrasen über die
Sozial- und Wirtschaftspolitik, die bekanntlich gar nicht vor das Forum des
Landtags gehört, und als eigentliches Lockmittel für den ländlichen Wähler,
der etwa bis dahin von dem Aufrufe wenig oder gar nichts verstanden hatte,
wurde endlich in gesperrter Schrift „die schärfste und ungleich drückende An¬
spannung der Steuerkraft" gegeißelt und gerechtere Verteilung der direkten
Steuern gefordert — die unvermeidliche, ihre Zugkraft stets bewahrende Deko¬
ration jedes Wahlprogramms, in welchem man Gemeinverständliches sonst nicht
zu sagen hat.
Dem Wahlaufrufe der Parteileitung folgten noch besondre für Rheinland und
für Westfalen. Der letztre schloß sich einfach dem „Wahlprogramm" der Partei
an. der der Rheinland« erging sich des breitern gegen die Nationalliberalen,
„die namentlich in der Rheinprovinz ihre Zeit wieder für gekommen erachten,"
und stellte eine verfehlte Wirtschaftsgesetzgebung sowie eine „vollständige Ver¬
sumpfung der Sozialreform" in den Vordergrund. So gab man sich in der
Rheinprovinz wenigstens Mühe, dem offensiven Vorgehen der Partei den
Charakter einer notgedrungnen Defensive „für Wirtschaftspolitik und Sozial¬
reform" zu verleihen. Vielleicht war für diese „Notwehr" auch das Eintreten
des Erzbischofs von Köln erbeten und erlangt worden, der zum allgemeinen
Erstaunen einen aus Neuß den 10. Oktober datirten Erlaß in die Welt sandte
mit der Weisung, denselben am Sonntag vor der Wahl von allen Kanzeln zu ver¬
lesen. Auch darin ist von „Bereitwilligkeit und Thatkraft für die Beseitigung
der sozialen Notstände" die Rede, dem Klerus wird jedoch nicht allein die persön¬
liche Wahlbeteiligung aufgetragen, sondern auch ein „Hinwirken durch Wort und
Beispiel auf die Wahl von Abgeordneten, welche Gott fürchten und den König
ehren, dem Kaiser geben, was des Kaisers, und Gott, was Gottes ist." Der
„Moniteur de Rome" war in der Lage, der telegraphischen Mitteilung dieses
erzbischöflichen Wahlschreibens hinzuzufügen: „Andere Erlasse werden publizirt
werden", und in der That stellte sich anch alsbald der Bischof von Münster
in nachbarlicher Kollegialität mit einem Wahlerlaß vom 16. Oktober ein, worin
er es „als eine besondre Obliegenheit seines oberhirtlicher Amts" erachtete,
seine Diözesanen „mit allem Nachdruck aufzufordern," bei dieser Gelegenheit
ihrer Gewissenspflicht eingedenk zu sein. In diesem Erlaß ist zwar von Wirt¬
schaftspolitik und Sozialreform keine Rede, sondern nur von der Durchführung
christlicher Grundsätze und dem christlichen Charakter der Schule; zum Schluß
aber kommt die gleiche Weisung an die Geistlichkeit, „mit Eifer und in ange¬
messener Weise für gute Wahlen einzutreten." Auch die Verlesung von allen
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