Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr.Kleinere Mitteilungen. Der Preßunfug. Mitunter, das muß billigerweise anerkannt werden, trägt Kleinere Mitteilungen. Der Preßunfug. Mitunter, das muß billigerweise anerkannt werden, trägt <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0342" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/203777"/> </div> <div n="1"> <head> Kleinere Mitteilungen.</head><lb/> <div n="2"> <head> Der Preßunfug.</head> <p xml:id="ID_850" next="#ID_851"> Mitunter, das muß billigerweise anerkannt werden, trägt<lb/> die Gassenjungenpresse zur Erheiterung bei. So in den letzten Tagen, als sie den<lb/> alten Kniff anwandte, durch lautes Schreien „Haltet den Dieb!" von ihrer eignen<lb/> Spur abzulenken. Hätten nur nicht in den Taschen noch die Steine geklappert,<lb/> die in die Fenster des Königsschlosses geworfen werden sollten! Auch die greu¬<lb/> lichen Gesichter, welche die edle Brüderschaft stets bei dem Vernehmen des Wortes<lb/> Kartell schneidet, wie Lucifer beim Anblick des Kreuzes, können belustigen. Be¬<lb/> stätigt doch ihre Wut, daß die Verständigung der nationalen Parteien eine patriotische<lb/> That war, und daß nur beklagenswerte Verblendung an der Sprengung des kaum<lb/> geschlossenen Bundes arbeiten kann. Aber das Lachen vergeht einem doch, wenn<lb/> man die unerhörte Frechheit betrachtet, von welcher im 44. Hefte dieser Zeitschrift<lb/> Proben mitgeteilt wurden, und man fragt sich, wie lange der Unfug noch geduldet<lb/> werden soll. Als ob die Deutschen von heute noch die dickfellige und blöde Nation<lb/> wären, wie in den dreißiger und vierziger Jahren, wagt es ein Häuflein Ein¬<lb/> gewanderter alles zu begeifern, was uns verehrungswürdig ist, und sie und ihre<lb/> würdigen Genossen stellen ganz ungescheut die Forderung auf, daß die ungeheure<lb/> Mehrheit sich nach den Sitten und dem Geschmacke der Fremden richten solle, weil<lb/> diesen germanische und christliche Denkweise unverständlich und unangenehm sind.<lb/> Das heißt denn doch, die Welt auf den Kopf stellen. Niemand hat die unver¬<lb/> schämten Gäste gerufen, niemand hält sie zurück, wenn es ihnen bei uns nicht<lb/> gefällt, wenn ihnen abgeschmackt, was uns vernünftig, lächerlich, was uns heilig<lb/> erscheint. Ihre angebliche Sehnsucht nach dem gelobten Lande Pflegen sie zu ver¬<lb/> leugnen, sobald ihnen der Weg dahin gezeigt wird. Nun wohl, sie können ja dem<lb/> Beispiel ihrer Reinach und Wolff und Konsorten folgen, und kaum in Paris an¬<lb/> gekommen, die Franzosen spielen; England steht ihnen offen, für das sie ja eben jetzt<lb/> eine rührende Schwärmerei an den Tag legen. Wie lange sich die Franzosen und<lb/> Engländer die Aufdringlichkeit der Internationalen bieten lassen werden, das geht<lb/> uns nichts an. Wir aber, obwohl nicht mehr der Bewunderung unsrer Voreltern<lb/> für eine Lady Milford fähig, teilen noch die Ansicht des alten Miller über die<lb/> Behandlung, deren sich in Deutschland ungehobelte Gäste zu versehen haben. Vor<lb/> allem kann eins nicht oft genug gesagt werden. Bei einem österreichischen Schrift¬<lb/> steller, Kürnberger, fanden wir einmal, es mag zwölf oder fünfzehn Jahre her sein,<lb/> eine sehr verständige Beleuchtung des Widerspruches, daß die Juden die ihnen<lb/> zugestandene Gleichberechtigung als selbstverständlich hinnehmen und nach allen<lb/> Richtungen ausnutzen, gleichzeitig aber noch ebenso rücksichtsvoll und schonend be¬<lb/> handelt sein wollen, wie zu der Zeit, als sie noch unter besondern Gesetzen standen.<lb/> Das ist noch viel schlimmer geworden, seitdem der Deutsche keine Neigung mehr<lb/> zeigt, sich jede Unbill von Fremden, heißen sie Kelten oder Mongolen oder Semiten<lb/> oder wie sie sonst wollen, lächelnd gefallen zu lassen. Die Solidarität ist so voll¬<lb/> ständig, daß, wenn es einen juckt, alle andern sich pflichtschuldig mitkratzen. Das<lb/> muß ein Ende nehmen. Die tüchtigen Elemente in dem Stamme, die vielen braven<lb/> Menschen, welche national fühlen und ehrlich mitarbeiten an unsern gemeinsamen<lb/> Aufgaben, die müssen endlich einsehen, daß es im Gegenteil ihre dringendste Pflicht<lb/> ist, den Auswurf nicht nur von sich abzuschütteln, sondern mit dem Fuße von sich<lb/> zu stoßen. Das sind sie sich selbst noch in höherm Grade schuldig, als der All-</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0342]
Kleinere Mitteilungen.
Der Preßunfug. Mitunter, das muß billigerweise anerkannt werden, trägt
die Gassenjungenpresse zur Erheiterung bei. So in den letzten Tagen, als sie den
alten Kniff anwandte, durch lautes Schreien „Haltet den Dieb!" von ihrer eignen
Spur abzulenken. Hätten nur nicht in den Taschen noch die Steine geklappert,
die in die Fenster des Königsschlosses geworfen werden sollten! Auch die greu¬
lichen Gesichter, welche die edle Brüderschaft stets bei dem Vernehmen des Wortes
Kartell schneidet, wie Lucifer beim Anblick des Kreuzes, können belustigen. Be¬
stätigt doch ihre Wut, daß die Verständigung der nationalen Parteien eine patriotische
That war, und daß nur beklagenswerte Verblendung an der Sprengung des kaum
geschlossenen Bundes arbeiten kann. Aber das Lachen vergeht einem doch, wenn
man die unerhörte Frechheit betrachtet, von welcher im 44. Hefte dieser Zeitschrift
Proben mitgeteilt wurden, und man fragt sich, wie lange der Unfug noch geduldet
werden soll. Als ob die Deutschen von heute noch die dickfellige und blöde Nation
wären, wie in den dreißiger und vierziger Jahren, wagt es ein Häuflein Ein¬
gewanderter alles zu begeifern, was uns verehrungswürdig ist, und sie und ihre
würdigen Genossen stellen ganz ungescheut die Forderung auf, daß die ungeheure
Mehrheit sich nach den Sitten und dem Geschmacke der Fremden richten solle, weil
diesen germanische und christliche Denkweise unverständlich und unangenehm sind.
Das heißt denn doch, die Welt auf den Kopf stellen. Niemand hat die unver¬
schämten Gäste gerufen, niemand hält sie zurück, wenn es ihnen bei uns nicht
gefällt, wenn ihnen abgeschmackt, was uns vernünftig, lächerlich, was uns heilig
erscheint. Ihre angebliche Sehnsucht nach dem gelobten Lande Pflegen sie zu ver¬
leugnen, sobald ihnen der Weg dahin gezeigt wird. Nun wohl, sie können ja dem
Beispiel ihrer Reinach und Wolff und Konsorten folgen, und kaum in Paris an¬
gekommen, die Franzosen spielen; England steht ihnen offen, für das sie ja eben jetzt
eine rührende Schwärmerei an den Tag legen. Wie lange sich die Franzosen und
Engländer die Aufdringlichkeit der Internationalen bieten lassen werden, das geht
uns nichts an. Wir aber, obwohl nicht mehr der Bewunderung unsrer Voreltern
für eine Lady Milford fähig, teilen noch die Ansicht des alten Miller über die
Behandlung, deren sich in Deutschland ungehobelte Gäste zu versehen haben. Vor
allem kann eins nicht oft genug gesagt werden. Bei einem österreichischen Schrift¬
steller, Kürnberger, fanden wir einmal, es mag zwölf oder fünfzehn Jahre her sein,
eine sehr verständige Beleuchtung des Widerspruches, daß die Juden die ihnen
zugestandene Gleichberechtigung als selbstverständlich hinnehmen und nach allen
Richtungen ausnutzen, gleichzeitig aber noch ebenso rücksichtsvoll und schonend be¬
handelt sein wollen, wie zu der Zeit, als sie noch unter besondern Gesetzen standen.
Das ist noch viel schlimmer geworden, seitdem der Deutsche keine Neigung mehr
zeigt, sich jede Unbill von Fremden, heißen sie Kelten oder Mongolen oder Semiten
oder wie sie sonst wollen, lächelnd gefallen zu lassen. Die Solidarität ist so voll¬
ständig, daß, wenn es einen juckt, alle andern sich pflichtschuldig mitkratzen. Das
muß ein Ende nehmen. Die tüchtigen Elemente in dem Stamme, die vielen braven
Menschen, welche national fühlen und ehrlich mitarbeiten an unsern gemeinsamen
Aufgaben, die müssen endlich einsehen, daß es im Gegenteil ihre dringendste Pflicht
ist, den Auswurf nicht nur von sich abzuschütteln, sondern mit dem Fuße von sich
zu stoßen. Das sind sie sich selbst noch in höherm Grade schuldig, als der All-
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