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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr.

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Die Gebietsentwicklung der Linzelstaaten Deutschlands.

mit jenem geschichtlich sein sollenden Mäntelchen von uralten, berechtigten Eigen¬
tümlichkeiten der Stämme zu decken. Daß Lippe-Detmold und Schaumburg-
Lippe, Reuß ni. L. und Reuß j. L. verschiedne Gesetze und Verwaltungs¬
einrichtungen haben, ist richtig. Aber daß man diese Besonderheiten mit der
pietätvollen Ehrfurcht ansehen soll, die man allem entgegenbringt, dem die Ge¬
schichte ihre Weihe gegeben hat, ist doch zu viel verlangt. Die Bewohner des
bairischen Regierungsbezirkes Schwaben und Neuburg, des größten Teiles von
Württemberg, der Fürstentümer Hohenzollern sind zwar eines Stammes, aber
darum sind sie doch zunächst Baiern, Württemberger und Preußen.

Wie schnell oder wie langsam sich dieses Gefühl der politischen Zusammen¬
gehörigkeit, das Bewußtsein, Glieder eines und desselben Staates zu sein, in
den Bevölkerungen der willkürlich zusammengewürfelten Gebiete ausgebildet hat,
dafür ist wieder die Gemeinsamkeit oder die Verschiedenheit der Stämme nicht
im geringsten maßgebend gewesen. Die Schwaben am Lech und die Franken
in den Landen am Main haben sich willig und ruhig und fast ohne jedes
Widerstreben der bairischen Regierung gefügt und sind sehr rasch mit der alt-
bairischen Bevölkerung verwachsen. Die rheinfränkischen Bewohner der Pfalz
sind bis auf den heutigen Tag noch keine richtigen Baiern. Hierbei darf jedoch
der Einfluß der geographischen Lage nicht unterschätzt werden. Die Bewohner
der zahlreichen Gebiete und Gebietsfetzen, aus denen das heutige Königreich
Württemberg zusammengesetzt ist, gehörten zum weit überwiegenden Teile sämt¬
lich dem schwäbischen Stamme an. Das hinderte aber durchaus nicht, daß
Jahrzehnte hindurch endlose Zänkereien und Streitigkeiten zwischen Alt- und
Neu-Württembergern, gewaltige Stürme, wenn auch nur Stürme im Glase
Wasser, alles öffentliche Leben im "schwäbischen Reiche" ausfüllten. Sogar
Uhland nahm bei diesen Katzbalgereien, die den übrigen Deutschen ziemlich un¬
bedeutend, fast lächerlich erscheinen mußten, so leidenschaftlich Partei, daß man
fast glauben mußte, das Heil des ganzen, großen Vaterlandes hätte von dem
"guten, alten Rechte" der altwürttembergischen Schreiberznnft abgehangen.
Schließlich trug doch überall der Staatsgedanke, die Staatseinheit den Sieg
davon, wenn auch die Gegensätze im einzelnen noch bis auf den heutigen Tag
fortdauern.

Daß z. B. die Franken in den alten Hohenzollernlanden Ansbach und
Baireuth und in der vormaligen Reichsstadt Nürnberg ebenso zu Baiern gehören,
wie die Franken in den frühern Krummstabslanden Bamberg, Würzburg und
Aschaffenburg, ist der Bevölkerung bekannt genug. Die Gemeinsamkeit des
Stammes ist aber, trotzdem daß diese Gebiete jetzt seit mehreren Menschen¬
altern demselben Staatswesen angehören, nicht imstande gewesen, die Gegen¬
sätze zu verwischen, welche die Verschiedenheit der Religion, der frühern
Regierungsform u. s. w. den Bewohnern jener Bezirke aufgeprägt hat. Daß
aber gar diese unter bairischen Szepter lebenden Franken mit den rheinischen


Die Gebietsentwicklung der Linzelstaaten Deutschlands.

mit jenem geschichtlich sein sollenden Mäntelchen von uralten, berechtigten Eigen¬
tümlichkeiten der Stämme zu decken. Daß Lippe-Detmold und Schaumburg-
Lippe, Reuß ni. L. und Reuß j. L. verschiedne Gesetze und Verwaltungs¬
einrichtungen haben, ist richtig. Aber daß man diese Besonderheiten mit der
pietätvollen Ehrfurcht ansehen soll, die man allem entgegenbringt, dem die Ge¬
schichte ihre Weihe gegeben hat, ist doch zu viel verlangt. Die Bewohner des
bairischen Regierungsbezirkes Schwaben und Neuburg, des größten Teiles von
Württemberg, der Fürstentümer Hohenzollern sind zwar eines Stammes, aber
darum sind sie doch zunächst Baiern, Württemberger und Preußen.

Wie schnell oder wie langsam sich dieses Gefühl der politischen Zusammen¬
gehörigkeit, das Bewußtsein, Glieder eines und desselben Staates zu sein, in
den Bevölkerungen der willkürlich zusammengewürfelten Gebiete ausgebildet hat,
dafür ist wieder die Gemeinsamkeit oder die Verschiedenheit der Stämme nicht
im geringsten maßgebend gewesen. Die Schwaben am Lech und die Franken
in den Landen am Main haben sich willig und ruhig und fast ohne jedes
Widerstreben der bairischen Regierung gefügt und sind sehr rasch mit der alt-
bairischen Bevölkerung verwachsen. Die rheinfränkischen Bewohner der Pfalz
sind bis auf den heutigen Tag noch keine richtigen Baiern. Hierbei darf jedoch
der Einfluß der geographischen Lage nicht unterschätzt werden. Die Bewohner
der zahlreichen Gebiete und Gebietsfetzen, aus denen das heutige Königreich
Württemberg zusammengesetzt ist, gehörten zum weit überwiegenden Teile sämt¬
lich dem schwäbischen Stamme an. Das hinderte aber durchaus nicht, daß
Jahrzehnte hindurch endlose Zänkereien und Streitigkeiten zwischen Alt- und
Neu-Württembergern, gewaltige Stürme, wenn auch nur Stürme im Glase
Wasser, alles öffentliche Leben im „schwäbischen Reiche" ausfüllten. Sogar
Uhland nahm bei diesen Katzbalgereien, die den übrigen Deutschen ziemlich un¬
bedeutend, fast lächerlich erscheinen mußten, so leidenschaftlich Partei, daß man
fast glauben mußte, das Heil des ganzen, großen Vaterlandes hätte von dem
„guten, alten Rechte" der altwürttembergischen Schreiberznnft abgehangen.
Schließlich trug doch überall der Staatsgedanke, die Staatseinheit den Sieg
davon, wenn auch die Gegensätze im einzelnen noch bis auf den heutigen Tag
fortdauern.

Daß z. B. die Franken in den alten Hohenzollernlanden Ansbach und
Baireuth und in der vormaligen Reichsstadt Nürnberg ebenso zu Baiern gehören,
wie die Franken in den frühern Krummstabslanden Bamberg, Würzburg und
Aschaffenburg, ist der Bevölkerung bekannt genug. Die Gemeinsamkeit des
Stammes ist aber, trotzdem daß diese Gebiete jetzt seit mehreren Menschen¬
altern demselben Staatswesen angehören, nicht imstande gewesen, die Gegen¬
sätze zu verwischen, welche die Verschiedenheit der Religion, der frühern
Regierungsform u. s. w. den Bewohnern jener Bezirke aufgeprägt hat. Daß
aber gar diese unter bairischen Szepter lebenden Franken mit den rheinischen


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[0028] Die Gebietsentwicklung der Linzelstaaten Deutschlands. mit jenem geschichtlich sein sollenden Mäntelchen von uralten, berechtigten Eigen¬ tümlichkeiten der Stämme zu decken. Daß Lippe-Detmold und Schaumburg- Lippe, Reuß ni. L. und Reuß j. L. verschiedne Gesetze und Verwaltungs¬ einrichtungen haben, ist richtig. Aber daß man diese Besonderheiten mit der pietätvollen Ehrfurcht ansehen soll, die man allem entgegenbringt, dem die Ge¬ schichte ihre Weihe gegeben hat, ist doch zu viel verlangt. Die Bewohner des bairischen Regierungsbezirkes Schwaben und Neuburg, des größten Teiles von Württemberg, der Fürstentümer Hohenzollern sind zwar eines Stammes, aber darum sind sie doch zunächst Baiern, Württemberger und Preußen. Wie schnell oder wie langsam sich dieses Gefühl der politischen Zusammen¬ gehörigkeit, das Bewußtsein, Glieder eines und desselben Staates zu sein, in den Bevölkerungen der willkürlich zusammengewürfelten Gebiete ausgebildet hat, dafür ist wieder die Gemeinsamkeit oder die Verschiedenheit der Stämme nicht im geringsten maßgebend gewesen. Die Schwaben am Lech und die Franken in den Landen am Main haben sich willig und ruhig und fast ohne jedes Widerstreben der bairischen Regierung gefügt und sind sehr rasch mit der alt- bairischen Bevölkerung verwachsen. Die rheinfränkischen Bewohner der Pfalz sind bis auf den heutigen Tag noch keine richtigen Baiern. Hierbei darf jedoch der Einfluß der geographischen Lage nicht unterschätzt werden. Die Bewohner der zahlreichen Gebiete und Gebietsfetzen, aus denen das heutige Königreich Württemberg zusammengesetzt ist, gehörten zum weit überwiegenden Teile sämt¬ lich dem schwäbischen Stamme an. Das hinderte aber durchaus nicht, daß Jahrzehnte hindurch endlose Zänkereien und Streitigkeiten zwischen Alt- und Neu-Württembergern, gewaltige Stürme, wenn auch nur Stürme im Glase Wasser, alles öffentliche Leben im „schwäbischen Reiche" ausfüllten. Sogar Uhland nahm bei diesen Katzbalgereien, die den übrigen Deutschen ziemlich un¬ bedeutend, fast lächerlich erscheinen mußten, so leidenschaftlich Partei, daß man fast glauben mußte, das Heil des ganzen, großen Vaterlandes hätte von dem „guten, alten Rechte" der altwürttembergischen Schreiberznnft abgehangen. Schließlich trug doch überall der Staatsgedanke, die Staatseinheit den Sieg davon, wenn auch die Gegensätze im einzelnen noch bis auf den heutigen Tag fortdauern. Daß z. B. die Franken in den alten Hohenzollernlanden Ansbach und Baireuth und in der vormaligen Reichsstadt Nürnberg ebenso zu Baiern gehören, wie die Franken in den frühern Krummstabslanden Bamberg, Würzburg und Aschaffenburg, ist der Bevölkerung bekannt genug. Die Gemeinsamkeit des Stammes ist aber, trotzdem daß diese Gebiete jetzt seit mehreren Menschen¬ altern demselben Staatswesen angehören, nicht imstande gewesen, die Gegen¬ sätze zu verwischen, welche die Verschiedenheit der Religion, der frühern Regierungsform u. s. w. den Bewohnern jener Bezirke aufgeprägt hat. Daß aber gar diese unter bairischen Szepter lebenden Franken mit den rheinischen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/28>, abgerufen am 22.07.2024.