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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr.

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ZVie sieht man und wie photographirt man Farben?

große Schwierigkeit in den Weg legt. Auch wenn es Reagentien auf die
einzelnen Farben gäbe und wenn es auch möglich wäre, die Reagentien zu
mischen, zu entwickeln und festzuhalten, so würde doch ein unrichtiges Bild zum
Vorschein kommen, weil die verschiedenen Farben eine verschiedene photographische
Kraft haben, während unser Auge sie als gleichwertig empfindet.

Aber man sieht doch Farben.

Gerade dies Farbensehen muß uns bei näherer Untersuchung zeigen, warum
man nicht farbige Bilder Photographiren kann. Die große Ähnlichkeit unsers
Auges mit einem photographischen Apparat liegt auf der Hand. Es hat seine
Kamera, sein Linsensystem, seine Blenden, seine Einstellvorrichtuug und seine
empfindliche Platte. Nur mit der letzteren haben wir es hier zu thun. Die
innere Hintere Wölbung des Auges ist mit einer lichtempfindlichen Sehhaut,
der Netzhaut <r<zting.) überzogen. Diese Haut besteht aus einem Gefüge von
Stäbchen, deren Köpfe dem Augeniimern zugekehrt sind. Man kann dabei
zweierlei Arten von Stäbchen unterscheiden, solche die vorn stumpf und solche
die vorn spitz sind. Die letztern, an Zahl geringer, stehen in regelmäßiger
Folge je in einem von den Stäbchen freigelassenen rundlichen Raume. Das
ganze macht den Eindruck eines kunstvollen Mosaiks. Die Stäbchen sind hohl
und mit einer Flüssigkeit gefüllt. Man will beobachtet haben -- sicher ist die
Sache noch nicht --, daß die Stäbchen Flüssigkeiten von verschiedener Färbung
enthalten. Die Stäbchen und Zapfen enden in Fäden, die knollenartige Ver-
dickungen haben, durch Schichten von verschiedener Zusammensetzung führen und
mit den Enden der Nervenfasern des Sehnerven in Verbindung stehen. Zweck
und Bedeutung aller dieser Teile ist noch nicht ergründet, doch kann man
folgendes als feststehend annehmen.

Das Bild, welches sich im Auge bildet, oder vielmehr der Eindruck dieses
Bildes auf unser Sehwerkzeug, häugt nicht in sich zusammen; es besteht viel¬
mehr aus zahllosen einzelnen Punkten. Vergleichen wir die Retina mit der photo¬
graphischen Platte, so können wir nicht von einer Platte, sondern müssen von
soviel Platten reden, als Stäbchen und Zapfen vorhanden sind. Wir sehen
also die Bilder so, wie man Mosaik oder eine Stickerei aus der Ferne be¬
trachtet. Sie bestehen aus einzelnen Punkten, Stichen oder Steinchen, fließen
aber beim Beschauen zu gleichmäßigem Eindrucke zusammen. Da also, wo der
Photograph eine Platte anwendet, stellt das Auge unzählige winzig kleine
Platten ein, nämlich so viel, als Stäbchen und Zapfen vorhanden sind.

Diese Platten können nun verschieden zubereitet, von verschiedener Licht¬
oder Farbenempfiudlichkeit sein. Es können sich darunter solche befinden, die
den Eindruck von weiß, grün, rot, gelb, blau annehmen, den andern Eindrücken
aber verschlossen bleiben. Die Stäbchen für rot können empfindlicher sein als
die für blau, wodurch der Unterschied der photochemischen Kraft beider Farben
aufgehoben oder verändert wird. Es können gewisse Farben, die objektiv vor-


ZVie sieht man und wie photographirt man Farben?

große Schwierigkeit in den Weg legt. Auch wenn es Reagentien auf die
einzelnen Farben gäbe und wenn es auch möglich wäre, die Reagentien zu
mischen, zu entwickeln und festzuhalten, so würde doch ein unrichtiges Bild zum
Vorschein kommen, weil die verschiedenen Farben eine verschiedene photographische
Kraft haben, während unser Auge sie als gleichwertig empfindet.

Aber man sieht doch Farben.

Gerade dies Farbensehen muß uns bei näherer Untersuchung zeigen, warum
man nicht farbige Bilder Photographiren kann. Die große Ähnlichkeit unsers
Auges mit einem photographischen Apparat liegt auf der Hand. Es hat seine
Kamera, sein Linsensystem, seine Blenden, seine Einstellvorrichtuug und seine
empfindliche Platte. Nur mit der letzteren haben wir es hier zu thun. Die
innere Hintere Wölbung des Auges ist mit einer lichtempfindlichen Sehhaut,
der Netzhaut <r<zting.) überzogen. Diese Haut besteht aus einem Gefüge von
Stäbchen, deren Köpfe dem Augeniimern zugekehrt sind. Man kann dabei
zweierlei Arten von Stäbchen unterscheiden, solche die vorn stumpf und solche
die vorn spitz sind. Die letztern, an Zahl geringer, stehen in regelmäßiger
Folge je in einem von den Stäbchen freigelassenen rundlichen Raume. Das
ganze macht den Eindruck eines kunstvollen Mosaiks. Die Stäbchen sind hohl
und mit einer Flüssigkeit gefüllt. Man will beobachtet haben — sicher ist die
Sache noch nicht —, daß die Stäbchen Flüssigkeiten von verschiedener Färbung
enthalten. Die Stäbchen und Zapfen enden in Fäden, die knollenartige Ver-
dickungen haben, durch Schichten von verschiedener Zusammensetzung führen und
mit den Enden der Nervenfasern des Sehnerven in Verbindung stehen. Zweck
und Bedeutung aller dieser Teile ist noch nicht ergründet, doch kann man
folgendes als feststehend annehmen.

Das Bild, welches sich im Auge bildet, oder vielmehr der Eindruck dieses
Bildes auf unser Sehwerkzeug, häugt nicht in sich zusammen; es besteht viel¬
mehr aus zahllosen einzelnen Punkten. Vergleichen wir die Retina mit der photo¬
graphischen Platte, so können wir nicht von einer Platte, sondern müssen von
soviel Platten reden, als Stäbchen und Zapfen vorhanden sind. Wir sehen
also die Bilder so, wie man Mosaik oder eine Stickerei aus der Ferne be¬
trachtet. Sie bestehen aus einzelnen Punkten, Stichen oder Steinchen, fließen
aber beim Beschauen zu gleichmäßigem Eindrucke zusammen. Da also, wo der
Photograph eine Platte anwendet, stellt das Auge unzählige winzig kleine
Platten ein, nämlich so viel, als Stäbchen und Zapfen vorhanden sind.

Diese Platten können nun verschieden zubereitet, von verschiedener Licht¬
oder Farbenempfiudlichkeit sein. Es können sich darunter solche befinden, die
den Eindruck von weiß, grün, rot, gelb, blau annehmen, den andern Eindrücken
aber verschlossen bleiben. Die Stäbchen für rot können empfindlicher sein als
die für blau, wodurch der Unterschied der photochemischen Kraft beider Farben
aufgehoben oder verändert wird. Es können gewisse Farben, die objektiv vor-


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[0242] ZVie sieht man und wie photographirt man Farben? große Schwierigkeit in den Weg legt. Auch wenn es Reagentien auf die einzelnen Farben gäbe und wenn es auch möglich wäre, die Reagentien zu mischen, zu entwickeln und festzuhalten, so würde doch ein unrichtiges Bild zum Vorschein kommen, weil die verschiedenen Farben eine verschiedene photographische Kraft haben, während unser Auge sie als gleichwertig empfindet. Aber man sieht doch Farben. Gerade dies Farbensehen muß uns bei näherer Untersuchung zeigen, warum man nicht farbige Bilder Photographiren kann. Die große Ähnlichkeit unsers Auges mit einem photographischen Apparat liegt auf der Hand. Es hat seine Kamera, sein Linsensystem, seine Blenden, seine Einstellvorrichtuug und seine empfindliche Platte. Nur mit der letzteren haben wir es hier zu thun. Die innere Hintere Wölbung des Auges ist mit einer lichtempfindlichen Sehhaut, der Netzhaut <r<zting.) überzogen. Diese Haut besteht aus einem Gefüge von Stäbchen, deren Köpfe dem Augeniimern zugekehrt sind. Man kann dabei zweierlei Arten von Stäbchen unterscheiden, solche die vorn stumpf und solche die vorn spitz sind. Die letztern, an Zahl geringer, stehen in regelmäßiger Folge je in einem von den Stäbchen freigelassenen rundlichen Raume. Das ganze macht den Eindruck eines kunstvollen Mosaiks. Die Stäbchen sind hohl und mit einer Flüssigkeit gefüllt. Man will beobachtet haben — sicher ist die Sache noch nicht —, daß die Stäbchen Flüssigkeiten von verschiedener Färbung enthalten. Die Stäbchen und Zapfen enden in Fäden, die knollenartige Ver- dickungen haben, durch Schichten von verschiedener Zusammensetzung führen und mit den Enden der Nervenfasern des Sehnerven in Verbindung stehen. Zweck und Bedeutung aller dieser Teile ist noch nicht ergründet, doch kann man folgendes als feststehend annehmen. Das Bild, welches sich im Auge bildet, oder vielmehr der Eindruck dieses Bildes auf unser Sehwerkzeug, häugt nicht in sich zusammen; es besteht viel¬ mehr aus zahllosen einzelnen Punkten. Vergleichen wir die Retina mit der photo¬ graphischen Platte, so können wir nicht von einer Platte, sondern müssen von soviel Platten reden, als Stäbchen und Zapfen vorhanden sind. Wir sehen also die Bilder so, wie man Mosaik oder eine Stickerei aus der Ferne be¬ trachtet. Sie bestehen aus einzelnen Punkten, Stichen oder Steinchen, fließen aber beim Beschauen zu gleichmäßigem Eindrucke zusammen. Da also, wo der Photograph eine Platte anwendet, stellt das Auge unzählige winzig kleine Platten ein, nämlich so viel, als Stäbchen und Zapfen vorhanden sind. Diese Platten können nun verschieden zubereitet, von verschiedener Licht¬ oder Farbenempfiudlichkeit sein. Es können sich darunter solche befinden, die den Eindruck von weiß, grün, rot, gelb, blau annehmen, den andern Eindrücken aber verschlossen bleiben. Die Stäbchen für rot können empfindlicher sein als die für blau, wodurch der Unterschied der photochemischen Kraft beider Farben aufgehoben oder verändert wird. Es können gewisse Farben, die objektiv vor-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/242>, abgerufen am 22.07.2024.