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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr.

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crfüllung, die das Handeln aus Neigung an Wert überragt, weil es aus
einem höhern Beweggründe entstammt. Es ist das Wollen, das dem Sollen
entgegenkommt und jeden Beruf zu einem menschlich-göttlichen macht. Als
Blücher bei einer Verhandlung im Staatsrate über die Frage, ob der Krieg
christlich sei, auf den Spruch im Johannisevangelium hinwies: "Niemand hat
größere Liebe, denn daß er sein Leben lässet für seine Freunde" und damit die
Christlichkeit des Krieges behauptete (natürlich nicht jedes Krieges), that er das
aus dem richtigen Gefühle, daß die Treue in der Erfüllung der Pflichten die
Liebe sei, die bis ans Ende reiche. Wie sie des Opfers wert ist, so verlangt
sie es auch, und so oft das im Leben geschieht, so oft wird auch an die freie
Selbsteiitscheidung beim Menschen appellirt. Gerade dadurch unterscheidet sich
das Gebot des Geistes von dem Gesetze der Natur, daß es schlechterdings eine
Anforderung an den Willen zur freien Entscheidung ist. Aller Zwang hört hier
auf; auch der Wert alles dessen, was aus Zwang gethan wird. Ich nenne
hier Zwang im weitesten Sinne die Nötigung, welche aus der ganzen Trieb¬
welt der Natur, aus der Berechnung des Verstandes und aus den gegebenen
sozialen Verhältnissen hervorgeht. In der Überwindung von alledem zeigt sich
die Freiheit und erscheint als einer höhern Welt entstammt. So oft der Mensch
von ihr Gebrauch macht, ragt er über das Irdische hinaus.


Drum heule du Sturm, drum brause du Meer,
Drum zittre du Erdreich um uns her,
Ihr sollt uns die Seele nicht zügeln!
Die Erde kann neben uns untergehn,
Wir wollen als freie Männer bestehn
Und den Bund mit dem Blute besiegeln.

Zu dieser Größe, wie sie hier in den Worten des Sängers der Freiheitskriege
ihren todesverachtenden Ausdruck findet, könnte der Mensch sich nicht erheben,
wenn die That der Entscheidung nicht sein wäre. Ein Theodor Körner, der
sein Gluck und seine Liebe läßt, um sich das blutige Schwert zum Genossen
zu küren, wäre eine undenkbare Erscheinung. Aber dann wäre auch alle Er¬
habenheit und Größe, wovon wir andern uns geistig nähren, aus dem Leben
getilgt. Das hohe Menschliche könnte nicht im Erdboden Wurzel fassen. Es ist
aber gewiß ein Kennzeichen der Wahrheit einer Idee, wenn ohne sie das edle
und schöne Menschentum, das, was uns mit den göttlichen Mächten verbindet,
nicht gedeihen kann. Und wie die That der Freiheit allein groß ist, so ist sie
allein ewig. Denn nur was aus dem Gesetze der Freiheit hervorgeht, bleibt;
es gehört zum Bestände der Persönlichkeit, von der es nicht wieder wegzuthun
ist. Es erfüllt sich hier das apostolische Wort (1. Kor. 13, 8): "Die Liebe
höret nimmer auf."

Und damit sind wir auf eine zweite Idee, die nicht der materiellen Welt
entstammt, gekommen, auf die Idee der Unsterblichkeit. Sie hängt mit der
Freiheit zusammen. Sie ist kein Wissen, nicht einmal ein Ergebnis des Selbst-


Grenzboten IV. 1833. 21
Die Grenzen des naturwissenschaftlichen Erkennen-.

crfüllung, die das Handeln aus Neigung an Wert überragt, weil es aus
einem höhern Beweggründe entstammt. Es ist das Wollen, das dem Sollen
entgegenkommt und jeden Beruf zu einem menschlich-göttlichen macht. Als
Blücher bei einer Verhandlung im Staatsrate über die Frage, ob der Krieg
christlich sei, auf den Spruch im Johannisevangelium hinwies: „Niemand hat
größere Liebe, denn daß er sein Leben lässet für seine Freunde" und damit die
Christlichkeit des Krieges behauptete (natürlich nicht jedes Krieges), that er das
aus dem richtigen Gefühle, daß die Treue in der Erfüllung der Pflichten die
Liebe sei, die bis ans Ende reiche. Wie sie des Opfers wert ist, so verlangt
sie es auch, und so oft das im Leben geschieht, so oft wird auch an die freie
Selbsteiitscheidung beim Menschen appellirt. Gerade dadurch unterscheidet sich
das Gebot des Geistes von dem Gesetze der Natur, daß es schlechterdings eine
Anforderung an den Willen zur freien Entscheidung ist. Aller Zwang hört hier
auf; auch der Wert alles dessen, was aus Zwang gethan wird. Ich nenne
hier Zwang im weitesten Sinne die Nötigung, welche aus der ganzen Trieb¬
welt der Natur, aus der Berechnung des Verstandes und aus den gegebenen
sozialen Verhältnissen hervorgeht. In der Überwindung von alledem zeigt sich
die Freiheit und erscheint als einer höhern Welt entstammt. So oft der Mensch
von ihr Gebrauch macht, ragt er über das Irdische hinaus.


Drum heule du Sturm, drum brause du Meer,
Drum zittre du Erdreich um uns her,
Ihr sollt uns die Seele nicht zügeln!
Die Erde kann neben uns untergehn,
Wir wollen als freie Männer bestehn
Und den Bund mit dem Blute besiegeln.

Zu dieser Größe, wie sie hier in den Worten des Sängers der Freiheitskriege
ihren todesverachtenden Ausdruck findet, könnte der Mensch sich nicht erheben,
wenn die That der Entscheidung nicht sein wäre. Ein Theodor Körner, der
sein Gluck und seine Liebe läßt, um sich das blutige Schwert zum Genossen
zu küren, wäre eine undenkbare Erscheinung. Aber dann wäre auch alle Er¬
habenheit und Größe, wovon wir andern uns geistig nähren, aus dem Leben
getilgt. Das hohe Menschliche könnte nicht im Erdboden Wurzel fassen. Es ist
aber gewiß ein Kennzeichen der Wahrheit einer Idee, wenn ohne sie das edle
und schöne Menschentum, das, was uns mit den göttlichen Mächten verbindet,
nicht gedeihen kann. Und wie die That der Freiheit allein groß ist, so ist sie
allein ewig. Denn nur was aus dem Gesetze der Freiheit hervorgeht, bleibt;
es gehört zum Bestände der Persönlichkeit, von der es nicht wieder wegzuthun
ist. Es erfüllt sich hier das apostolische Wort (1. Kor. 13, 8): „Die Liebe
höret nimmer auf."

Und damit sind wir auf eine zweite Idee, die nicht der materiellen Welt
entstammt, gekommen, auf die Idee der Unsterblichkeit. Sie hängt mit der
Freiheit zusammen. Sie ist kein Wissen, nicht einmal ein Ergebnis des Selbst-


Grenzboten IV. 1833. 21
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[0169] Die Grenzen des naturwissenschaftlichen Erkennen-. crfüllung, die das Handeln aus Neigung an Wert überragt, weil es aus einem höhern Beweggründe entstammt. Es ist das Wollen, das dem Sollen entgegenkommt und jeden Beruf zu einem menschlich-göttlichen macht. Als Blücher bei einer Verhandlung im Staatsrate über die Frage, ob der Krieg christlich sei, auf den Spruch im Johannisevangelium hinwies: „Niemand hat größere Liebe, denn daß er sein Leben lässet für seine Freunde" und damit die Christlichkeit des Krieges behauptete (natürlich nicht jedes Krieges), that er das aus dem richtigen Gefühle, daß die Treue in der Erfüllung der Pflichten die Liebe sei, die bis ans Ende reiche. Wie sie des Opfers wert ist, so verlangt sie es auch, und so oft das im Leben geschieht, so oft wird auch an die freie Selbsteiitscheidung beim Menschen appellirt. Gerade dadurch unterscheidet sich das Gebot des Geistes von dem Gesetze der Natur, daß es schlechterdings eine Anforderung an den Willen zur freien Entscheidung ist. Aller Zwang hört hier auf; auch der Wert alles dessen, was aus Zwang gethan wird. Ich nenne hier Zwang im weitesten Sinne die Nötigung, welche aus der ganzen Trieb¬ welt der Natur, aus der Berechnung des Verstandes und aus den gegebenen sozialen Verhältnissen hervorgeht. In der Überwindung von alledem zeigt sich die Freiheit und erscheint als einer höhern Welt entstammt. So oft der Mensch von ihr Gebrauch macht, ragt er über das Irdische hinaus. Drum heule du Sturm, drum brause du Meer, Drum zittre du Erdreich um uns her, Ihr sollt uns die Seele nicht zügeln! Die Erde kann neben uns untergehn, Wir wollen als freie Männer bestehn Und den Bund mit dem Blute besiegeln. Zu dieser Größe, wie sie hier in den Worten des Sängers der Freiheitskriege ihren todesverachtenden Ausdruck findet, könnte der Mensch sich nicht erheben, wenn die That der Entscheidung nicht sein wäre. Ein Theodor Körner, der sein Gluck und seine Liebe läßt, um sich das blutige Schwert zum Genossen zu küren, wäre eine undenkbare Erscheinung. Aber dann wäre auch alle Er¬ habenheit und Größe, wovon wir andern uns geistig nähren, aus dem Leben getilgt. Das hohe Menschliche könnte nicht im Erdboden Wurzel fassen. Es ist aber gewiß ein Kennzeichen der Wahrheit einer Idee, wenn ohne sie das edle und schöne Menschentum, das, was uns mit den göttlichen Mächten verbindet, nicht gedeihen kann. Und wie die That der Freiheit allein groß ist, so ist sie allein ewig. Denn nur was aus dem Gesetze der Freiheit hervorgeht, bleibt; es gehört zum Bestände der Persönlichkeit, von der es nicht wieder wegzuthun ist. Es erfüllt sich hier das apostolische Wort (1. Kor. 13, 8): „Die Liebe höret nimmer auf." Und damit sind wir auf eine zweite Idee, die nicht der materiellen Welt entstammt, gekommen, auf die Idee der Unsterblichkeit. Sie hängt mit der Freiheit zusammen. Sie ist kein Wissen, nicht einmal ein Ergebnis des Selbst- Grenzboten IV. 1833. 21

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/169>, abgerufen am 24.08.2024.