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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr.

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seine kritischen Bemerkungen sind. Wenn wir über Rudolf Baumbach lesen,
daß seine "Lieder und Sänge die Welt durchwandert haben," daß der Dichter
ausgezeichnet sei "durch einen vornehmen Zug, der ihm niemals gestattete, seine
Feder in den Dienst der Tagesgötzen zu stellen," wenn von Bodenstedt ver¬
sichert wird, daß er "einer der talentvollsten deutschen Sänger sei, dessen lieder¬
süßer Mund Unvergängliches gesungen," von Felix Dahn, er sei "allgemein
als formgewandter Meister auf dem Gebiete der Neimkunst und gleichzeitig als
der vornehmste Autor auf demjenigen der belletristischen Germanistik (belle¬
tristische Germanistik! Dahn mag sich für das Kompliment bei Herrn Hinrichsen
bedanken!) anerkannt," von Marie Ebner-Eschenbach, daß "ihrem Streben reiche
Erfolge erwuchsen, und daß sie nunmehr als (!) eine der talentirtesten lebenden
Schriftstellerinnen gilt," von Theodor Fontane, "daß er einer der angesehensten
Berliner Kritiker sei, sich durch Feinheit und Schärfe der Auffassung auszeichne"
und außerdem "verdientermaßen allgemein anerkannte" Werke geschrieben habe,
von Karl Emil Franzos, daß "durch seine Dichtungen ein vornehmer Hauch
zieht" und daß er gerade in den höhern Schichten der Gesellschaft sich
großer Beliebtheit erfreue, von Wilhelm Imsen, daß er "die Novelle meister¬
haft beherrscht," von Graf Schack, daß seine Dichtungen "sehr verschiedenen
Inhalts und die großangelegten Lebenserinnerungen von höchster allgemeiner
Bedeutung sind," von Adolf Stern, daß seine poetischen Werke "ihrer edlen
Eigenart und Tiefe wegen großen Beifall und weite Verbreitung fanden und
daß er außerdem eine Reihe von hochbedeutenden litterar-historischen Schriften
erscheinen lassen," von Ernst Wichert, daß ihm "sowohl auf dem Gebiete der
Novelle als auf dem des Dramas reiche Erfolge erwuchsen," so wird kein
Mensch auch uur den schattenhaftesten Begriff von der Eigentümlichkeit und
dem innern Wesen der genannten Dichter und Schriftsteller bekommen, alles
ist so nichtssagend, unbezeichnend und äußerlich als möglich. Schlimmer noch
steht es um eine ganze Reihe von andern "Charakteristiken," in denen geradezu
Heller Unsinn zu Tage gefördert wird. Von Gottfried Keller wird erzählt, daß
ihn "die Schriftstellern zu ihren berühmtesten und vornehmsten Jüngern der
Neuzeit zählt. Außer als Novellist gilt Keller besonders auf dem Gebiete
der Lyrik als einer unsrer größten Meister -- seine Lieder sind in allen Landen
verbreitet und im Munde jedes ihrer Sänger." Sollte man nach der letzten
Phrase nicht geradezu meinen, Herr Hinrichsen verwechsle Keller mit Geibel,
mit Hoffmann von Fallersleben oder gar mit Müller von der Werra? Auch
wir halten Keller für einen echten Meister auf dem Gebiete der Lyrik, aber wir
fordern den Herausgeber des "Litterarischen Deutschlands" auf, die "Lieder"
Kellers, die im Munde der Säuger leben, zu nennen -- wir kennen nicht ein einziges.
Gleichermaßen wird von Paul Heyse behauptet, daß er auf dem Gebiete des Dramas
wie auf dem der Novelle, gleichzeitig als Lyriker, als eiuer der vornehmsten
Meister der Gegenwart gelte. "Seine Dramen haben alle Bühnen sich erobert


seine kritischen Bemerkungen sind. Wenn wir über Rudolf Baumbach lesen,
daß seine „Lieder und Sänge die Welt durchwandert haben," daß der Dichter
ausgezeichnet sei „durch einen vornehmen Zug, der ihm niemals gestattete, seine
Feder in den Dienst der Tagesgötzen zu stellen," wenn von Bodenstedt ver¬
sichert wird, daß er „einer der talentvollsten deutschen Sänger sei, dessen lieder¬
süßer Mund Unvergängliches gesungen," von Felix Dahn, er sei „allgemein
als formgewandter Meister auf dem Gebiete der Neimkunst und gleichzeitig als
der vornehmste Autor auf demjenigen der belletristischen Germanistik (belle¬
tristische Germanistik! Dahn mag sich für das Kompliment bei Herrn Hinrichsen
bedanken!) anerkannt," von Marie Ebner-Eschenbach, daß „ihrem Streben reiche
Erfolge erwuchsen, und daß sie nunmehr als (!) eine der talentirtesten lebenden
Schriftstellerinnen gilt," von Theodor Fontane, „daß er einer der angesehensten
Berliner Kritiker sei, sich durch Feinheit und Schärfe der Auffassung auszeichne"
und außerdem „verdientermaßen allgemein anerkannte" Werke geschrieben habe,
von Karl Emil Franzos, daß „durch seine Dichtungen ein vornehmer Hauch
zieht" und daß er gerade in den höhern Schichten der Gesellschaft sich
großer Beliebtheit erfreue, von Wilhelm Imsen, daß er „die Novelle meister¬
haft beherrscht," von Graf Schack, daß seine Dichtungen „sehr verschiedenen
Inhalts und die großangelegten Lebenserinnerungen von höchster allgemeiner
Bedeutung sind," von Adolf Stern, daß seine poetischen Werke „ihrer edlen
Eigenart und Tiefe wegen großen Beifall und weite Verbreitung fanden und
daß er außerdem eine Reihe von hochbedeutenden litterar-historischen Schriften
erscheinen lassen," von Ernst Wichert, daß ihm „sowohl auf dem Gebiete der
Novelle als auf dem des Dramas reiche Erfolge erwuchsen," so wird kein
Mensch auch uur den schattenhaftesten Begriff von der Eigentümlichkeit und
dem innern Wesen der genannten Dichter und Schriftsteller bekommen, alles
ist so nichtssagend, unbezeichnend und äußerlich als möglich. Schlimmer noch
steht es um eine ganze Reihe von andern „Charakteristiken," in denen geradezu
Heller Unsinn zu Tage gefördert wird. Von Gottfried Keller wird erzählt, daß
ihn „die Schriftstellern zu ihren berühmtesten und vornehmsten Jüngern der
Neuzeit zählt. Außer als Novellist gilt Keller besonders auf dem Gebiete
der Lyrik als einer unsrer größten Meister — seine Lieder sind in allen Landen
verbreitet und im Munde jedes ihrer Sänger." Sollte man nach der letzten
Phrase nicht geradezu meinen, Herr Hinrichsen verwechsle Keller mit Geibel,
mit Hoffmann von Fallersleben oder gar mit Müller von der Werra? Auch
wir halten Keller für einen echten Meister auf dem Gebiete der Lyrik, aber wir
fordern den Herausgeber des „Litterarischen Deutschlands" auf, die „Lieder"
Kellers, die im Munde der Säuger leben, zu nennen — wir kennen nicht ein einziges.
Gleichermaßen wird von Paul Heyse behauptet, daß er auf dem Gebiete des Dramas
wie auf dem der Novelle, gleichzeitig als Lyriker, als eiuer der vornehmsten
Meister der Gegenwart gelte. „Seine Dramen haben alle Bühnen sich erobert


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/102>, abgerufen am 22.07.2024.