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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.

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Zum Andenken Gustav Theodor Fechners.

Weiße, Dr. H, Härtel, Professor Billroth. Dr. Klee. Professor Volkmann hatten
unter einander einen regen Verkehr. Im Hause des letztern lernte er 1330 seine
spätere Frau kennen. Klara Volkmann, die Tochter eines Leipziger Ratsherrn.
Von einer ehelichen Verbindung konnte zunächst nicht die Rede sein, da Fechners
äußere Verhältnisse ganz auf seiner Arbeitskraft beruhten und er auch noch für
seine Mutter zu sorgen hatte. So kam es erst Ostern 1833 zur Hochzeit.
Aber schon der Herbst brachte neue große Sorgen, denn Fechners älteste
Schwester wurde Witwe und stand nun mit sechs Kindern mittellos in der
Welt. Erneute große Anstrengungen schwachem seine Kräfte, und als er im
Jahre 1835 die Professur der Physik antreten sollte, mußte er erst einen
längern Urlaub nehmen, um sich in Gastein und Oberitalien wieder aufzufrischen.

Da kamen die Weihnachtsferien 1839 auf 1840. die Fechner zu an>
gestrengten Beobachtungen subjektiver Licht- und Farbeuerscheinungen benutzte.
Er hatte sich ein Instrument aus Paris dazu verschrieben, das ihm die Augen
so angriff, daß er bald nicht mehr lesen und nur noch wenig schreiben konnte
Der Zustand verschlimmerte sich immer mehr, Fechner ward im höchsten Grade
lichtscheu, mußte bald ganz in einer finstern Snibe sitzen und konnte nur mit
verbundenen Angen von seiner Frau im Garten herumgeführt werden. Hier
bildete das Auswendiglernen schöner Gedichte von Uhland, Rückert, Heine,
Eichendorff die Hauptunterhaltung beider. Aber der Zustand wurde je länger
je peinlicher, denn alles Vorlesen ersetzte nicht die eigne Thätigkeit, und da er
nur mit der Feder in der Hand zu denken und zu arbeiten gewohnt war,
wollte beim Diktiren nichts Befriedigendes herauskommen; er brachte keinen
Zusammenhang in die Sache.

Drei Jahre dauerte dieser unglückselige Zustand. Da kamen die Ärzte
auf den Gedanken, ihm Moxa^) in den Nacken zu setzen -- ein ganz verfehlter
Versuch, denn Fechners vollkommen gesunder Körper hatte keine schlimmen
Säfte auszuscheiden. Der Erfolg der furchtbar schmerzhaften Operation war
sehr traurig. Der Körper wandte alle seine Kräfte auf, um die großen Wunden
zu heilen; Fechner verlor allen Appetit. Vier volle Wochen genoß er weder
Speise noch Trank; er wurde so schwach, daß man das Ohr an seinen Mund
legen mußte, um ihn zu verstehen. Wenn es so fortging, mußte er verhungern.
Endlich nach vier Wochen brachte ihm jemand geschabten Schinken mit Rhein¬
wein zu einem Klößchen geformt. Er versuchte eine Messerspitze davon. Nach
mehreren Tagen brachte er es zu einem Theelöffel, und so lernte er langsam
wieder essen und nach weitern vier Wochen auch an Stühlen sich forthelfend
wieder gehen. Der Zustand der Angen aber blieb derselbe, während die Wunden



*) Moxa (Brennzylindcr) sind kleine Zylinder oder Kegel von leicht verbrennlichen
Stoffen, welche auf die Haut gedrückt und dann angezündet wurden, um Krankheiten von
tiefer liegenden Organen zu den Brandwunden auf der Hautfläche zu ziehen. Die barbarische
Kurmethode ist heutzutage wohl veraltet.
Zum Andenken Gustav Theodor Fechners.

Weiße, Dr. H, Härtel, Professor Billroth. Dr. Klee. Professor Volkmann hatten
unter einander einen regen Verkehr. Im Hause des letztern lernte er 1330 seine
spätere Frau kennen. Klara Volkmann, die Tochter eines Leipziger Ratsherrn.
Von einer ehelichen Verbindung konnte zunächst nicht die Rede sein, da Fechners
äußere Verhältnisse ganz auf seiner Arbeitskraft beruhten und er auch noch für
seine Mutter zu sorgen hatte. So kam es erst Ostern 1833 zur Hochzeit.
Aber schon der Herbst brachte neue große Sorgen, denn Fechners älteste
Schwester wurde Witwe und stand nun mit sechs Kindern mittellos in der
Welt. Erneute große Anstrengungen schwachem seine Kräfte, und als er im
Jahre 1835 die Professur der Physik antreten sollte, mußte er erst einen
längern Urlaub nehmen, um sich in Gastein und Oberitalien wieder aufzufrischen.

Da kamen die Weihnachtsferien 1839 auf 1840. die Fechner zu an>
gestrengten Beobachtungen subjektiver Licht- und Farbeuerscheinungen benutzte.
Er hatte sich ein Instrument aus Paris dazu verschrieben, das ihm die Augen
so angriff, daß er bald nicht mehr lesen und nur noch wenig schreiben konnte
Der Zustand verschlimmerte sich immer mehr, Fechner ward im höchsten Grade
lichtscheu, mußte bald ganz in einer finstern Snibe sitzen und konnte nur mit
verbundenen Angen von seiner Frau im Garten herumgeführt werden. Hier
bildete das Auswendiglernen schöner Gedichte von Uhland, Rückert, Heine,
Eichendorff die Hauptunterhaltung beider. Aber der Zustand wurde je länger
je peinlicher, denn alles Vorlesen ersetzte nicht die eigne Thätigkeit, und da er
nur mit der Feder in der Hand zu denken und zu arbeiten gewohnt war,
wollte beim Diktiren nichts Befriedigendes herauskommen; er brachte keinen
Zusammenhang in die Sache.

Drei Jahre dauerte dieser unglückselige Zustand. Da kamen die Ärzte
auf den Gedanken, ihm Moxa^) in den Nacken zu setzen — ein ganz verfehlter
Versuch, denn Fechners vollkommen gesunder Körper hatte keine schlimmen
Säfte auszuscheiden. Der Erfolg der furchtbar schmerzhaften Operation war
sehr traurig. Der Körper wandte alle seine Kräfte auf, um die großen Wunden
zu heilen; Fechner verlor allen Appetit. Vier volle Wochen genoß er weder
Speise noch Trank; er wurde so schwach, daß man das Ohr an seinen Mund
legen mußte, um ihn zu verstehen. Wenn es so fortging, mußte er verhungern.
Endlich nach vier Wochen brachte ihm jemand geschabten Schinken mit Rhein¬
wein zu einem Klößchen geformt. Er versuchte eine Messerspitze davon. Nach
mehreren Tagen brachte er es zu einem Theelöffel, und so lernte er langsam
wieder essen und nach weitern vier Wochen auch an Stühlen sich forthelfend
wieder gehen. Der Zustand der Angen aber blieb derselbe, während die Wunden



*) Moxa (Brennzylindcr) sind kleine Zylinder oder Kegel von leicht verbrennlichen
Stoffen, welche auf die Haut gedrückt und dann angezündet wurden, um Krankheiten von
tiefer liegenden Organen zu den Brandwunden auf der Hautfläche zu ziehen. Die barbarische
Kurmethode ist heutzutage wohl veraltet.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/83>, abgerufen am 01.09.2024.