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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.

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Amerikanische und deutsche Gewerbeschiedsgerichte und LinigungsLmter.

nicht eingehalten worden ist." Eine Zahlbcstimmung dafür, was als eine Massen¬
arbeitseinstellung und -Aussperrung anzusehen sei, dürfte sich trotz des amerika¬
nischen Vorbildes nicht empfehlen, weil nicht die Zahl der Streitenden oder
Ausgesperrten an sich, sondern nur ihr Verhältnis zur Gesamtzahl der Ar-
beitsgenossen entscheidend sein kann; man wird die Feststellung als reine Um-
standssrage dem Strafrichter umso eher überlassen können, als der Begriff an
sich durchaus gemeinverständlich ist und andernfalls eine Handhabe zur Um¬
gehung des Gesetzes geboten wäre.

Ihre innere Rechtfertigung würde diese Strafbestimmung darin finden,
daß nicht etwa die einseitige Verletzung privatrechtlicher Verträge, der sogenannte
Kontraktsbruch, sondern die eigenmächtige Auflehnung gegen staatliche Einrich¬
tungen und deren Anordnungen, also das bisherige Faustrecht unter Strafe
gestellt würde, ohne daß berechtigte Interessen irgendwie verkümmert würden.
Auch bedeutet sie lediglich einen weitem Schutz fiir das in § 162 der Ge¬
werbeordnung festgesetzte freie Selbstbestimmungsrecht, da erfahrungsgemäß
Massenstreiks ohne Einschüchterung der zaghafteren Elemente überhaupt nicht
durchführbar sind, und solche Einschüchterungen den bisherigen Bestimmungen
des Z 153 a. a. O. meist entschlüpfen. Sodann würde der § 153 durch
den vorgeschlagenen Zusatz erst seinen rechten Abschluß finden, indem nicht bloß
Arbeiter gegen Arbeiter und Arbeitgeber gegen Arbeitgeber, sondern auch diese
gegen jene und umgekehrt vor eigenmächtigen Zwmigscinwirknngen geschützt
wären, welche meist die ganze wirtschaftliche Existenz der Bedrohten in Frage
stellen.

Bei strenger Durchführung dieser Bestimmungen würden größere Arbeits¬
einstellungen oder Aussperrungen überhaupt kaum mehr vorkommen, und damit
wohl auch die wirtschaftlichen Vcrvehmungen durch Ausgabe "schwarzer Listen"
von seiten der "unter Sperre gesetzten" Arbeitgeber und durch Verrufserklaruug
bestimmter Geschäfte von seiten der "ausgesperrten" Arbeiter mit ihren gemein¬
schädlichem Wirkungen ein Ende finden.

Schließlich möchte sich noch empfehlen, dem Z 139 d der Gewerbeordnung
zwischen Absatz 2 und 3 etwa folgende Bestimmung einzufügen: "Außerdem
haben diese Beamten das statistische Material, welches zur Feststellung und
Klarlegung der materiellen und sozialen Lage der gewerblichen Arbeiter in
ihrem Bezirk geeignet ist, nach Maßgabe der vom Neichsamte des Innern hier¬
über zu erlassenden Bestimmungen zusammenzustellen." Hiermit würde erst der
Wirkungskreis der Gewerberäte und Fabrikinspektoren zu einem erfolgreichen
Abschluß gebracht, und im Vergleich zu den bisherigen Einzelerhebungen eine
weit umfassendere und jederzeit verwertbare Grundlage für die weitere Ar¬
beiter- und Gewerbegcsetzgebung geschaffen werden -- abgesehen davon, daß
eine solche Klarstellung der thatsächlichen Verhältnisse auch der sozialdemo-
kratischen Agitation viel Stoff entziehen würde, da diese es bekanntlich liebt,


Amerikanische und deutsche Gewerbeschiedsgerichte und LinigungsLmter.

nicht eingehalten worden ist." Eine Zahlbcstimmung dafür, was als eine Massen¬
arbeitseinstellung und -Aussperrung anzusehen sei, dürfte sich trotz des amerika¬
nischen Vorbildes nicht empfehlen, weil nicht die Zahl der Streitenden oder
Ausgesperrten an sich, sondern nur ihr Verhältnis zur Gesamtzahl der Ar-
beitsgenossen entscheidend sein kann; man wird die Feststellung als reine Um-
standssrage dem Strafrichter umso eher überlassen können, als der Begriff an
sich durchaus gemeinverständlich ist und andernfalls eine Handhabe zur Um¬
gehung des Gesetzes geboten wäre.

Ihre innere Rechtfertigung würde diese Strafbestimmung darin finden,
daß nicht etwa die einseitige Verletzung privatrechtlicher Verträge, der sogenannte
Kontraktsbruch, sondern die eigenmächtige Auflehnung gegen staatliche Einrich¬
tungen und deren Anordnungen, also das bisherige Faustrecht unter Strafe
gestellt würde, ohne daß berechtigte Interessen irgendwie verkümmert würden.
Auch bedeutet sie lediglich einen weitem Schutz fiir das in § 162 der Ge¬
werbeordnung festgesetzte freie Selbstbestimmungsrecht, da erfahrungsgemäß
Massenstreiks ohne Einschüchterung der zaghafteren Elemente überhaupt nicht
durchführbar sind, und solche Einschüchterungen den bisherigen Bestimmungen
des Z 153 a. a. O. meist entschlüpfen. Sodann würde der § 153 durch
den vorgeschlagenen Zusatz erst seinen rechten Abschluß finden, indem nicht bloß
Arbeiter gegen Arbeiter und Arbeitgeber gegen Arbeitgeber, sondern auch diese
gegen jene und umgekehrt vor eigenmächtigen Zwmigscinwirknngen geschützt
wären, welche meist die ganze wirtschaftliche Existenz der Bedrohten in Frage
stellen.

Bei strenger Durchführung dieser Bestimmungen würden größere Arbeits¬
einstellungen oder Aussperrungen überhaupt kaum mehr vorkommen, und damit
wohl auch die wirtschaftlichen Vcrvehmungen durch Ausgabe „schwarzer Listen"
von seiten der „unter Sperre gesetzten" Arbeitgeber und durch Verrufserklaruug
bestimmter Geschäfte von seiten der „ausgesperrten" Arbeiter mit ihren gemein¬
schädlichem Wirkungen ein Ende finden.

Schließlich möchte sich noch empfehlen, dem Z 139 d der Gewerbeordnung
zwischen Absatz 2 und 3 etwa folgende Bestimmung einzufügen: „Außerdem
haben diese Beamten das statistische Material, welches zur Feststellung und
Klarlegung der materiellen und sozialen Lage der gewerblichen Arbeiter in
ihrem Bezirk geeignet ist, nach Maßgabe der vom Neichsamte des Innern hier¬
über zu erlassenden Bestimmungen zusammenzustellen." Hiermit würde erst der
Wirkungskreis der Gewerberäte und Fabrikinspektoren zu einem erfolgreichen
Abschluß gebracht, und im Vergleich zu den bisherigen Einzelerhebungen eine
weit umfassendere und jederzeit verwertbare Grundlage für die weitere Ar¬
beiter- und Gewerbegcsetzgebung geschaffen werden — abgesehen davon, daß
eine solche Klarstellung der thatsächlichen Verhältnisse auch der sozialdemo-
kratischen Agitation viel Stoff entziehen würde, da diese es bekanntlich liebt,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/623>, abgerufen am 27.07.2024.