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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.

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Kaiser Friedrich.

aum sind die Formen der äußern Trauer um den Hingeschiedenen
ersten Kaiser des wieder errichteten deutschen Reiches abgelegt, so
hat der unerbittliche Tod schon den zweiten Kaiser aus dem Hohen-
zollernstamme dahingerafft. Kaiser Wilhelm hat das Alter Nestors
erreicht, er ist sanft gestorben, nachdem er seine Kräfte bis zum
letzten Atemzuge im Dienste des Vaterlandes aufgebraucht hatte. Als Greis
zur Regierung gelangt, hat er den Abend seines Lebens mit Thaten des Helden¬
jünglings ausgefüllt, das Volk mit der Weisheit des gereiften Mannes beherrscht
und durch die Ehrwürdigkeit seiner Persönlichkeit auch den Fremden und Feinden
Ehrfurcht abgerungen. Keine Hoffnung knüpfte sich an seine Thronbesteigung; als
erster Diener seines königlichen Bruders hatte er allein seiner militärischen Dienst¬
stellung ohne Einfluß auf die eigentliche Politik gelebt. Erst als ihm die
königliche Würde und Bürde zufiel, wuchs er in die Stellung hinein, in seinem
Thun und Denken "jeder Zoll ein König." Welch ein andres Loos war seinem
Sohne beschieden! Wie große Hoffnungen knüpften sich an den jugendlichen,
ritterlichen Kronprinzen Friedrich Wilhelm, an den Feldherrn, der auf den
böhmischen Schlachtfeldern dem erlauchten Vater den Grund legen half zu dem
stolzen Bau des neu geeinigten Vaterlandes, an "unsern Fritz," der in dem
Siegeslauf von 1870/71 ebensoviel Siege wie in Frankreich in den Herzen unsrer
süddeutschen Bundesbrüder gewann und durch die herzgewinnende Güte seiner
Person nicht wenig dazu beitrug, die durch Eisen und Blut herbeigeführte Einheit
in der Liebe des Volkes zu befestigen. Aber was sind Hoffnungen und Entwürfe
der Menschen! Wäre der Kronprinz Friedrich Wilhelm der tückischen Krankheit
erlegen, die ihn kurze Zeit nach dem Kriege in Karlsruhe befallen hatte, es
wäre ihm und seinem Nachruhm zu gönnen gewesen, zu gönnen auch, wenn er


Grciizbotcn II. 1883. 76


Kaiser Friedrich.

aum sind die Formen der äußern Trauer um den Hingeschiedenen
ersten Kaiser des wieder errichteten deutschen Reiches abgelegt, so
hat der unerbittliche Tod schon den zweiten Kaiser aus dem Hohen-
zollernstamme dahingerafft. Kaiser Wilhelm hat das Alter Nestors
erreicht, er ist sanft gestorben, nachdem er seine Kräfte bis zum
letzten Atemzuge im Dienste des Vaterlandes aufgebraucht hatte. Als Greis
zur Regierung gelangt, hat er den Abend seines Lebens mit Thaten des Helden¬
jünglings ausgefüllt, das Volk mit der Weisheit des gereiften Mannes beherrscht
und durch die Ehrwürdigkeit seiner Persönlichkeit auch den Fremden und Feinden
Ehrfurcht abgerungen. Keine Hoffnung knüpfte sich an seine Thronbesteigung; als
erster Diener seines königlichen Bruders hatte er allein seiner militärischen Dienst¬
stellung ohne Einfluß auf die eigentliche Politik gelebt. Erst als ihm die
königliche Würde und Bürde zufiel, wuchs er in die Stellung hinein, in seinem
Thun und Denken „jeder Zoll ein König." Welch ein andres Loos war seinem
Sohne beschieden! Wie große Hoffnungen knüpften sich an den jugendlichen,
ritterlichen Kronprinzen Friedrich Wilhelm, an den Feldherrn, der auf den
böhmischen Schlachtfeldern dem erlauchten Vater den Grund legen half zu dem
stolzen Bau des neu geeinigten Vaterlandes, an „unsern Fritz," der in dem
Siegeslauf von 1870/71 ebensoviel Siege wie in Frankreich in den Herzen unsrer
süddeutschen Bundesbrüder gewann und durch die herzgewinnende Güte seiner
Person nicht wenig dazu beitrug, die durch Eisen und Blut herbeigeführte Einheit
in der Liebe des Volkes zu befestigen. Aber was sind Hoffnungen und Entwürfe
der Menschen! Wäre der Kronprinz Friedrich Wilhelm der tückischen Krankheit
erlegen, die ihn kurze Zeit nach dem Kriege in Karlsruhe befallen hatte, es
wäre ihm und seinem Nachruhm zu gönnen gewesen, zu gönnen auch, wenn er


Grciizbotcn II. 1883. 76
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[0609] [Abbildung] Kaiser Friedrich. aum sind die Formen der äußern Trauer um den Hingeschiedenen ersten Kaiser des wieder errichteten deutschen Reiches abgelegt, so hat der unerbittliche Tod schon den zweiten Kaiser aus dem Hohen- zollernstamme dahingerafft. Kaiser Wilhelm hat das Alter Nestors erreicht, er ist sanft gestorben, nachdem er seine Kräfte bis zum letzten Atemzuge im Dienste des Vaterlandes aufgebraucht hatte. Als Greis zur Regierung gelangt, hat er den Abend seines Lebens mit Thaten des Helden¬ jünglings ausgefüllt, das Volk mit der Weisheit des gereiften Mannes beherrscht und durch die Ehrwürdigkeit seiner Persönlichkeit auch den Fremden und Feinden Ehrfurcht abgerungen. Keine Hoffnung knüpfte sich an seine Thronbesteigung; als erster Diener seines königlichen Bruders hatte er allein seiner militärischen Dienst¬ stellung ohne Einfluß auf die eigentliche Politik gelebt. Erst als ihm die königliche Würde und Bürde zufiel, wuchs er in die Stellung hinein, in seinem Thun und Denken „jeder Zoll ein König." Welch ein andres Loos war seinem Sohne beschieden! Wie große Hoffnungen knüpften sich an den jugendlichen, ritterlichen Kronprinzen Friedrich Wilhelm, an den Feldherrn, der auf den böhmischen Schlachtfeldern dem erlauchten Vater den Grund legen half zu dem stolzen Bau des neu geeinigten Vaterlandes, an „unsern Fritz," der in dem Siegeslauf von 1870/71 ebensoviel Siege wie in Frankreich in den Herzen unsrer süddeutschen Bundesbrüder gewann und durch die herzgewinnende Güte seiner Person nicht wenig dazu beitrug, die durch Eisen und Blut herbeigeführte Einheit in der Liebe des Volkes zu befestigen. Aber was sind Hoffnungen und Entwürfe der Menschen! Wäre der Kronprinz Friedrich Wilhelm der tückischen Krankheit erlegen, die ihn kurze Zeit nach dem Kriege in Karlsruhe befallen hatte, es wäre ihm und seinem Nachruhm zu gönnen gewesen, zu gönnen auch, wenn er Grciizbotcn II. 1883. 76

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/609>, abgerufen am 27.07.2024.