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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.

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Die Ministerkrisi^ in Preußen.

daß ein politischer Beamter bei aller Freiheit der Wahl, wenn er z. B. fort¬
schrittlich wählen wollte, doch der Verpflichtung nicht überhoben wäre, Lügen,
was ich vorhin politische Brunnenvergiftung nannte, nach seinem besten Gewissen
zu widerlegen, und wenn er ein Mann von Ehre ist, so wird er das wahr¬
scheinlich thun und sagen: Ich gehöre nicht zu der Partei der Regierung, aber
das ist nicht wahr, das ist eine Übertreibung.. . Er mag in seinem Herzen
und in seinem verdeckten Stimmzettel sein Votum abgeben, für wen er will;
darnach wird nicht gefragt, und das erfahren wir auch nicht. .. Das wird also
niemals ein Grund sein, gegen einen Beamten einzuschreiten . . . und ich würde
dazu nie die Hand bieten. Aber von diesen politischen Beamten wird erwartet,
daß sie die Wahrheit, soweit sie ihnen bekannt ist, der Unwahrheit gegenüber
vertreten. Ist das zu viel? Sollen sie sich der Lüge mitschuldig machen,
indem sie dazu schweigen, wenn sie es besser wissen? Sollen sie in bestimmten
Wahlkreisen zusehen, ganz ruhig, wie den Bewohner" der königlichen Forsten
gesagt wird: der König hat mit den liberalen Abgeordneten einen Vertrag
geschlossen, wonach ihr freie Weide im Forste bekommt, wenn ihr liberal wählt? ..
Und von den nichtpolitischen Beamten verlangt Seine Majestät eigentlich gar
nichts. Der Erlaß erwartet, daß sie sich der Agitation gegen die Regierung
auch bei den Wahlen enthalten werden. Meine Herren, das ist eine Forderung --
ich möchte sagen, des Auslandes. .. Etwas weiteres als Enthaltung von Agi¬
tation wird nicht erwartet, namentlich aber keine Amtshandlungen, die beein¬
flußt werden könnten durch die Art, wie ein Dritter seine Stimme abgegeben
hat, oder die einen Zwang irgendwie zur Wahl enthalten. Meine Herren,
ein solcher Beamter würde strafbar werden, und ich glaube, nicht bloß diszi¬
plinarisch."

Diese Auffassung der Stellung, die der Beamte vor und während der
Landtagswahlen zum Könige und dessen Negierung einzunehmen hat, ist so
natürlich, selbstverständlich und unbestreitbar, daß selbst die demokratische
Fraktion der Liberalen, die alte Fortschrittspartei, die heutigen Freisinnigen
-- freilich zu einer Zeit, wo die Herrschaften selbst aus Ruder zu kommen
hofften -- sich nicht bloß unumwunden zu ihr bekannt hat, sondern sogar er¬
heblich weiter gegangen ist. Als diese Gruppe von Politikern sich im Jahre
1861 bildete, nahm sie im Hinblicke darauf, daß das damalige altliberale Mini¬
sterium viele Gegner unter den königlichen Beamten duldete, folgende Forderungen
in ihr Programm auf: "Für unsre innern Einrichtungen verlangen wir eine
feste liberale Regierung, welche ihre Stärke in der Achtung der verfassungs¬
mäßigen Rechte der Bürger sieht und es versteht, ihren Grundsätzen in allen
Schichten der Beamtenwelt unnachsichtlich Geltung zu verschaffen, um uns auf
diesem Wege die Achtung der übrigen deutschen Stämme zu verschaffen und zu
erhalten." Nach diesem Manifest, dem man später nachrühmte, es werde von
der Partei unverändert festgehalten, hat die Regierung das unbezweifelbare


Die Ministerkrisi^ in Preußen.

daß ein politischer Beamter bei aller Freiheit der Wahl, wenn er z. B. fort¬
schrittlich wählen wollte, doch der Verpflichtung nicht überhoben wäre, Lügen,
was ich vorhin politische Brunnenvergiftung nannte, nach seinem besten Gewissen
zu widerlegen, und wenn er ein Mann von Ehre ist, so wird er das wahr¬
scheinlich thun und sagen: Ich gehöre nicht zu der Partei der Regierung, aber
das ist nicht wahr, das ist eine Übertreibung.. . Er mag in seinem Herzen
und in seinem verdeckten Stimmzettel sein Votum abgeben, für wen er will;
darnach wird nicht gefragt, und das erfahren wir auch nicht. .. Das wird also
niemals ein Grund sein, gegen einen Beamten einzuschreiten . . . und ich würde
dazu nie die Hand bieten. Aber von diesen politischen Beamten wird erwartet,
daß sie die Wahrheit, soweit sie ihnen bekannt ist, der Unwahrheit gegenüber
vertreten. Ist das zu viel? Sollen sie sich der Lüge mitschuldig machen,
indem sie dazu schweigen, wenn sie es besser wissen? Sollen sie in bestimmten
Wahlkreisen zusehen, ganz ruhig, wie den Bewohner» der königlichen Forsten
gesagt wird: der König hat mit den liberalen Abgeordneten einen Vertrag
geschlossen, wonach ihr freie Weide im Forste bekommt, wenn ihr liberal wählt? ..
Und von den nichtpolitischen Beamten verlangt Seine Majestät eigentlich gar
nichts. Der Erlaß erwartet, daß sie sich der Agitation gegen die Regierung
auch bei den Wahlen enthalten werden. Meine Herren, das ist eine Forderung —
ich möchte sagen, des Auslandes. .. Etwas weiteres als Enthaltung von Agi¬
tation wird nicht erwartet, namentlich aber keine Amtshandlungen, die beein¬
flußt werden könnten durch die Art, wie ein Dritter seine Stimme abgegeben
hat, oder die einen Zwang irgendwie zur Wahl enthalten. Meine Herren,
ein solcher Beamter würde strafbar werden, und ich glaube, nicht bloß diszi¬
plinarisch."

Diese Auffassung der Stellung, die der Beamte vor und während der
Landtagswahlen zum Könige und dessen Negierung einzunehmen hat, ist so
natürlich, selbstverständlich und unbestreitbar, daß selbst die demokratische
Fraktion der Liberalen, die alte Fortschrittspartei, die heutigen Freisinnigen
— freilich zu einer Zeit, wo die Herrschaften selbst aus Ruder zu kommen
hofften — sich nicht bloß unumwunden zu ihr bekannt hat, sondern sogar er¬
heblich weiter gegangen ist. Als diese Gruppe von Politikern sich im Jahre
1861 bildete, nahm sie im Hinblicke darauf, daß das damalige altliberale Mini¬
sterium viele Gegner unter den königlichen Beamten duldete, folgende Forderungen
in ihr Programm auf: „Für unsre innern Einrichtungen verlangen wir eine
feste liberale Regierung, welche ihre Stärke in der Achtung der verfassungs¬
mäßigen Rechte der Bürger sieht und es versteht, ihren Grundsätzen in allen
Schichten der Beamtenwelt unnachsichtlich Geltung zu verschaffen, um uns auf
diesem Wege die Achtung der übrigen deutschen Stämme zu verschaffen und zu
erhalten." Nach diesem Manifest, dem man später nachrühmte, es werde von
der Partei unverändert festgehalten, hat die Regierung das unbezweifelbare


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[0595] Die Ministerkrisi^ in Preußen. daß ein politischer Beamter bei aller Freiheit der Wahl, wenn er z. B. fort¬ schrittlich wählen wollte, doch der Verpflichtung nicht überhoben wäre, Lügen, was ich vorhin politische Brunnenvergiftung nannte, nach seinem besten Gewissen zu widerlegen, und wenn er ein Mann von Ehre ist, so wird er das wahr¬ scheinlich thun und sagen: Ich gehöre nicht zu der Partei der Regierung, aber das ist nicht wahr, das ist eine Übertreibung.. . Er mag in seinem Herzen und in seinem verdeckten Stimmzettel sein Votum abgeben, für wen er will; darnach wird nicht gefragt, und das erfahren wir auch nicht. .. Das wird also niemals ein Grund sein, gegen einen Beamten einzuschreiten . . . und ich würde dazu nie die Hand bieten. Aber von diesen politischen Beamten wird erwartet, daß sie die Wahrheit, soweit sie ihnen bekannt ist, der Unwahrheit gegenüber vertreten. Ist das zu viel? Sollen sie sich der Lüge mitschuldig machen, indem sie dazu schweigen, wenn sie es besser wissen? Sollen sie in bestimmten Wahlkreisen zusehen, ganz ruhig, wie den Bewohner» der königlichen Forsten gesagt wird: der König hat mit den liberalen Abgeordneten einen Vertrag geschlossen, wonach ihr freie Weide im Forste bekommt, wenn ihr liberal wählt? .. Und von den nichtpolitischen Beamten verlangt Seine Majestät eigentlich gar nichts. Der Erlaß erwartet, daß sie sich der Agitation gegen die Regierung auch bei den Wahlen enthalten werden. Meine Herren, das ist eine Forderung — ich möchte sagen, des Auslandes. .. Etwas weiteres als Enthaltung von Agi¬ tation wird nicht erwartet, namentlich aber keine Amtshandlungen, die beein¬ flußt werden könnten durch die Art, wie ein Dritter seine Stimme abgegeben hat, oder die einen Zwang irgendwie zur Wahl enthalten. Meine Herren, ein solcher Beamter würde strafbar werden, und ich glaube, nicht bloß diszi¬ plinarisch." Diese Auffassung der Stellung, die der Beamte vor und während der Landtagswahlen zum Könige und dessen Negierung einzunehmen hat, ist so natürlich, selbstverständlich und unbestreitbar, daß selbst die demokratische Fraktion der Liberalen, die alte Fortschrittspartei, die heutigen Freisinnigen — freilich zu einer Zeit, wo die Herrschaften selbst aus Ruder zu kommen hofften — sich nicht bloß unumwunden zu ihr bekannt hat, sondern sogar er¬ heblich weiter gegangen ist. Als diese Gruppe von Politikern sich im Jahre 1861 bildete, nahm sie im Hinblicke darauf, daß das damalige altliberale Mini¬ sterium viele Gegner unter den königlichen Beamten duldete, folgende Forderungen in ihr Programm auf: „Für unsre innern Einrichtungen verlangen wir eine feste liberale Regierung, welche ihre Stärke in der Achtung der verfassungs¬ mäßigen Rechte der Bürger sieht und es versteht, ihren Grundsätzen in allen Schichten der Beamtenwelt unnachsichtlich Geltung zu verschaffen, um uns auf diesem Wege die Achtung der übrigen deutschen Stämme zu verschaffen und zu erhalten." Nach diesem Manifest, dem man später nachrühmte, es werde von der Partei unverändert festgehalten, hat die Regierung das unbezweifelbare

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/595>, abgerufen am 28.07.2024.