Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Poetische Theorien und Theorie der Poesie.

Induktion mit großem Erfolge einsetzen, seelische und geistige Bedingungen er¬
gründen, ihr Verhältnis zur Produktion und zur materielle" Umgebung ver¬
folgen, die Abstufungen vergleichen, ordnen u. s. w. Man kann hier wechsel¬
seitig den Dichter durch sein Werk, dessen Farben und Töne und wieder das
Werk durch den Dichter beleuchten. Hier sprudelt der innerste Quell für die
Lehre von der Durchführung der Motive, die mir unendlich wichtiger scheint
als die einseitig bevorzugte Lehre von den Motiven selber, ferner für die Lehre
vom Stil und umgekehrt wieder für die positive, nicht feuilletonistisch aus den
Fingern gesogene Charakteristik. Statt dessen muß man sich hier mit den stark
renommistisch angehauchten Selbstbespiegelungen zweier gerade für die höhere
Poetik so wenig fruchtbringenden Geister, wie des Pedanten Alfieri und des
Grüblers Otto Ludwig, genügen lassen. Diese werden nach des Verfassers Methode
äußerlich hingestellt wie das übrige mit rein anekdotenhaften Gepräge. Dagegen
wird dem Temperament des Dichters in etwas altmodischer Weise Aufmerksam¬
keit zugewandt. Leider nur zu dem Nachweise, daß die Dichtung eine höchst
vergnügliche Sache sei und der Melancholikns darin nichts zu suchen habe.
Die Aeschylus, Virgil. Dante, Tasso, Milton dürften mit Aristoteles Einspruch
erheben, wenn ihnen an einer nichtigen Sache, wie einer durchweg auf den Spiel¬
trieb sich gründeten Poesie, überhaupt noch etwas gelegen wäre. Wie "Springen
und Hüpfen" ihr innerer Antrieb, so ist das "Lachen" der Galerie ihr äußerer
Erfolg, und nach diesem Erfolge wird dann thatsächlich bemessen, "wie viel den
Mensche" ihr Vergnügen wert ist" (S. 118). Ich meine, wenn dabei ein
Dichter noch nicht melancholisch ist, so könnte er es Scherer zum Trotz werden.
Und der "ideale Wert," der seiner Kunst nach dem "Tauschwert" mit der üb¬
lichen, in jeder (uicht bloß ökonomischen) Beziehung zugeknöpften Verbeugung
zugestanden wird, wird ihm sein vergnügtes Handwerk nicht tröstlicher er¬
scheinen lassen.

Man wird aus diesen, dem erwähnten Prinzip entnommenen Folgerungen
bereits ersehen haben, was ihr theoretischer Wert sein kann. Sie bedürfen nur
der Umsetzung aus den gelehrten Barren in die Kleinmünze eines litterarischen
Händlers, um ein sehr merkwürdiges Ansehen zu bekommen, das weder mit
Poesie noch mit Wissenschaft, weder mit Aristoteles noch mit Darwin schlie߬
lich etwas zu thun hat. Immerhin aber besitzen sie, das ihnen zu Grunde
liegende Dogma vorausgesetzt, innere Logik, sie betreffen Fragen, die äußerlich
sehr wohl in dessen Machtbereich fallen, und der Mut der Aussprache soll ihnen
nicht bestritten werden. Anders steht es mit den durchaus in das innere Gebiet
der Geisteswissenschaft gehörigen Problemen und den sich daran schließenden
Forschungsreisen, die schon im Ausgangspunkte ihr Uuabhüngigkeitsrecht so
deutlich wahren, daß ihre Anknüpfung an naturalistische Bedingungen selbst dem
gemeinen Sinne von jeher unannehmbar erschien. Um die schwierige Frage des
Anteils an tragischen Vorgängen in der Poesie mit der bloßen Neugier am


Poetische Theorien und Theorie der Poesie.

Induktion mit großem Erfolge einsetzen, seelische und geistige Bedingungen er¬
gründen, ihr Verhältnis zur Produktion und zur materielle» Umgebung ver¬
folgen, die Abstufungen vergleichen, ordnen u. s. w. Man kann hier wechsel¬
seitig den Dichter durch sein Werk, dessen Farben und Töne und wieder das
Werk durch den Dichter beleuchten. Hier sprudelt der innerste Quell für die
Lehre von der Durchführung der Motive, die mir unendlich wichtiger scheint
als die einseitig bevorzugte Lehre von den Motiven selber, ferner für die Lehre
vom Stil und umgekehrt wieder für die positive, nicht feuilletonistisch aus den
Fingern gesogene Charakteristik. Statt dessen muß man sich hier mit den stark
renommistisch angehauchten Selbstbespiegelungen zweier gerade für die höhere
Poetik so wenig fruchtbringenden Geister, wie des Pedanten Alfieri und des
Grüblers Otto Ludwig, genügen lassen. Diese werden nach des Verfassers Methode
äußerlich hingestellt wie das übrige mit rein anekdotenhaften Gepräge. Dagegen
wird dem Temperament des Dichters in etwas altmodischer Weise Aufmerksam¬
keit zugewandt. Leider nur zu dem Nachweise, daß die Dichtung eine höchst
vergnügliche Sache sei und der Melancholikns darin nichts zu suchen habe.
Die Aeschylus, Virgil. Dante, Tasso, Milton dürften mit Aristoteles Einspruch
erheben, wenn ihnen an einer nichtigen Sache, wie einer durchweg auf den Spiel¬
trieb sich gründeten Poesie, überhaupt noch etwas gelegen wäre. Wie „Springen
und Hüpfen" ihr innerer Antrieb, so ist das „Lachen" der Galerie ihr äußerer
Erfolg, und nach diesem Erfolge wird dann thatsächlich bemessen, „wie viel den
Mensche» ihr Vergnügen wert ist" (S. 118). Ich meine, wenn dabei ein
Dichter noch nicht melancholisch ist, so könnte er es Scherer zum Trotz werden.
Und der „ideale Wert," der seiner Kunst nach dem „Tauschwert" mit der üb¬
lichen, in jeder (uicht bloß ökonomischen) Beziehung zugeknöpften Verbeugung
zugestanden wird, wird ihm sein vergnügtes Handwerk nicht tröstlicher er¬
scheinen lassen.

Man wird aus diesen, dem erwähnten Prinzip entnommenen Folgerungen
bereits ersehen haben, was ihr theoretischer Wert sein kann. Sie bedürfen nur
der Umsetzung aus den gelehrten Barren in die Kleinmünze eines litterarischen
Händlers, um ein sehr merkwürdiges Ansehen zu bekommen, das weder mit
Poesie noch mit Wissenschaft, weder mit Aristoteles noch mit Darwin schlie߬
lich etwas zu thun hat. Immerhin aber besitzen sie, das ihnen zu Grunde
liegende Dogma vorausgesetzt, innere Logik, sie betreffen Fragen, die äußerlich
sehr wohl in dessen Machtbereich fallen, und der Mut der Aussprache soll ihnen
nicht bestritten werden. Anders steht es mit den durchaus in das innere Gebiet
der Geisteswissenschaft gehörigen Problemen und den sich daran schließenden
Forschungsreisen, die schon im Ausgangspunkte ihr Uuabhüngigkeitsrecht so
deutlich wahren, daß ihre Anknüpfung an naturalistische Bedingungen selbst dem
gemeinen Sinne von jeher unannehmbar erschien. Um die schwierige Frage des
Anteils an tragischen Vorgängen in der Poesie mit der bloßen Neugier am


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0589" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/203366"/>
          <fw type="header" place="top"> Poetische Theorien und Theorie der Poesie.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1857" prev="#ID_1856"> Induktion mit großem Erfolge einsetzen, seelische und geistige Bedingungen er¬<lb/>
gründen, ihr Verhältnis zur Produktion und zur materielle» Umgebung ver¬<lb/>
folgen, die Abstufungen vergleichen, ordnen u. s. w. Man kann hier wechsel¬<lb/>
seitig den Dichter durch sein Werk, dessen Farben und Töne und wieder das<lb/>
Werk durch den Dichter beleuchten. Hier sprudelt der innerste Quell für die<lb/>
Lehre von der Durchführung der Motive, die mir unendlich wichtiger scheint<lb/>
als die einseitig bevorzugte Lehre von den Motiven selber, ferner für die Lehre<lb/>
vom Stil und umgekehrt wieder für die positive, nicht feuilletonistisch aus den<lb/>
Fingern gesogene Charakteristik. Statt dessen muß man sich hier mit den stark<lb/>
renommistisch angehauchten Selbstbespiegelungen zweier gerade für die höhere<lb/>
Poetik so wenig fruchtbringenden Geister, wie des Pedanten Alfieri und des<lb/>
Grüblers Otto Ludwig, genügen lassen. Diese werden nach des Verfassers Methode<lb/>
äußerlich hingestellt wie das übrige mit rein anekdotenhaften Gepräge. Dagegen<lb/>
wird dem Temperament des Dichters in etwas altmodischer Weise Aufmerksam¬<lb/>
keit zugewandt. Leider nur zu dem Nachweise, daß die Dichtung eine höchst<lb/>
vergnügliche Sache sei und der Melancholikns darin nichts zu suchen habe.<lb/>
Die Aeschylus, Virgil. Dante, Tasso, Milton dürften mit Aristoteles Einspruch<lb/>
erheben, wenn ihnen an einer nichtigen Sache, wie einer durchweg auf den Spiel¬<lb/>
trieb sich gründeten Poesie, überhaupt noch etwas gelegen wäre. Wie &#x201E;Springen<lb/>
und Hüpfen" ihr innerer Antrieb, so ist das &#x201E;Lachen" der Galerie ihr äußerer<lb/>
Erfolg, und nach diesem Erfolge wird dann thatsächlich bemessen, &#x201E;wie viel den<lb/>
Mensche» ihr Vergnügen wert ist" (S. 118). Ich meine, wenn dabei ein<lb/>
Dichter noch nicht melancholisch ist, so könnte er es Scherer zum Trotz werden.<lb/>
Und der &#x201E;ideale Wert," der seiner Kunst nach dem &#x201E;Tauschwert" mit der üb¬<lb/>
lichen, in jeder (uicht bloß ökonomischen) Beziehung zugeknöpften Verbeugung<lb/>
zugestanden wird, wird ihm sein vergnügtes Handwerk nicht tröstlicher er¬<lb/>
scheinen lassen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1858" next="#ID_1859"> Man wird aus diesen, dem erwähnten Prinzip entnommenen Folgerungen<lb/>
bereits ersehen haben, was ihr theoretischer Wert sein kann. Sie bedürfen nur<lb/>
der Umsetzung aus den gelehrten Barren in die Kleinmünze eines litterarischen<lb/>
Händlers, um ein sehr merkwürdiges Ansehen zu bekommen, das weder mit<lb/>
Poesie noch mit Wissenschaft, weder mit Aristoteles noch mit Darwin schlie߬<lb/>
lich etwas zu thun hat. Immerhin aber besitzen sie, das ihnen zu Grunde<lb/>
liegende Dogma vorausgesetzt, innere Logik, sie betreffen Fragen, die äußerlich<lb/>
sehr wohl in dessen Machtbereich fallen, und der Mut der Aussprache soll ihnen<lb/>
nicht bestritten werden. Anders steht es mit den durchaus in das innere Gebiet<lb/>
der Geisteswissenschaft gehörigen Problemen und den sich daran schließenden<lb/>
Forschungsreisen, die schon im Ausgangspunkte ihr Uuabhüngigkeitsrecht so<lb/>
deutlich wahren, daß ihre Anknüpfung an naturalistische Bedingungen selbst dem<lb/>
gemeinen Sinne von jeher unannehmbar erschien. Um die schwierige Frage des<lb/>
Anteils an tragischen Vorgängen in der Poesie mit der bloßen Neugier am</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0589] Poetische Theorien und Theorie der Poesie. Induktion mit großem Erfolge einsetzen, seelische und geistige Bedingungen er¬ gründen, ihr Verhältnis zur Produktion und zur materielle» Umgebung ver¬ folgen, die Abstufungen vergleichen, ordnen u. s. w. Man kann hier wechsel¬ seitig den Dichter durch sein Werk, dessen Farben und Töne und wieder das Werk durch den Dichter beleuchten. Hier sprudelt der innerste Quell für die Lehre von der Durchführung der Motive, die mir unendlich wichtiger scheint als die einseitig bevorzugte Lehre von den Motiven selber, ferner für die Lehre vom Stil und umgekehrt wieder für die positive, nicht feuilletonistisch aus den Fingern gesogene Charakteristik. Statt dessen muß man sich hier mit den stark renommistisch angehauchten Selbstbespiegelungen zweier gerade für die höhere Poetik so wenig fruchtbringenden Geister, wie des Pedanten Alfieri und des Grüblers Otto Ludwig, genügen lassen. Diese werden nach des Verfassers Methode äußerlich hingestellt wie das übrige mit rein anekdotenhaften Gepräge. Dagegen wird dem Temperament des Dichters in etwas altmodischer Weise Aufmerksam¬ keit zugewandt. Leider nur zu dem Nachweise, daß die Dichtung eine höchst vergnügliche Sache sei und der Melancholikns darin nichts zu suchen habe. Die Aeschylus, Virgil. Dante, Tasso, Milton dürften mit Aristoteles Einspruch erheben, wenn ihnen an einer nichtigen Sache, wie einer durchweg auf den Spiel¬ trieb sich gründeten Poesie, überhaupt noch etwas gelegen wäre. Wie „Springen und Hüpfen" ihr innerer Antrieb, so ist das „Lachen" der Galerie ihr äußerer Erfolg, und nach diesem Erfolge wird dann thatsächlich bemessen, „wie viel den Mensche» ihr Vergnügen wert ist" (S. 118). Ich meine, wenn dabei ein Dichter noch nicht melancholisch ist, so könnte er es Scherer zum Trotz werden. Und der „ideale Wert," der seiner Kunst nach dem „Tauschwert" mit der üb¬ lichen, in jeder (uicht bloß ökonomischen) Beziehung zugeknöpften Verbeugung zugestanden wird, wird ihm sein vergnügtes Handwerk nicht tröstlicher er¬ scheinen lassen. Man wird aus diesen, dem erwähnten Prinzip entnommenen Folgerungen bereits ersehen haben, was ihr theoretischer Wert sein kann. Sie bedürfen nur der Umsetzung aus den gelehrten Barren in die Kleinmünze eines litterarischen Händlers, um ein sehr merkwürdiges Ansehen zu bekommen, das weder mit Poesie noch mit Wissenschaft, weder mit Aristoteles noch mit Darwin schlie߬ lich etwas zu thun hat. Immerhin aber besitzen sie, das ihnen zu Grunde liegende Dogma vorausgesetzt, innere Logik, sie betreffen Fragen, die äußerlich sehr wohl in dessen Machtbereich fallen, und der Mut der Aussprache soll ihnen nicht bestritten werden. Anders steht es mit den durchaus in das innere Gebiet der Geisteswissenschaft gehörigen Problemen und den sich daran schließenden Forschungsreisen, die schon im Ausgangspunkte ihr Uuabhüngigkeitsrecht so deutlich wahren, daß ihre Anknüpfung an naturalistische Bedingungen selbst dem gemeinen Sinne von jeher unannehmbar erschien. Um die schwierige Frage des Anteils an tragischen Vorgängen in der Poesie mit der bloßen Neugier am

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/589
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/589>, abgerufen am 28.07.2024.