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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.

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Amerikanische und deutsche Gewerbeschiedsgerichte und Linigungsämter.

Abteilung des Ministeriums des Innern in Washington, zählt gegenwärtig
einige 20 Beamte und verfügt über einen Jahresetat von 25000 Dollars.

Ferner wird man kaum fehlgehen, wenn man die amerikanische Arbeiter¬
schutzgesetzgebung im wesentlichen als eine praktische Folge der Arbeitsämter
ansieht; wenigstens stammt die Gesetzgebung von Massachusetts, welche als die
fortgeschrittenste allen übrigen Staaten zum Muster dient und von den gleichen
Grundsätzen wie die deutsche Gewerbeordnung ausgeht, in ihren wichtigsten Be¬
stimmungen aus der Zeit nach Einführung des Arbeitsamtes.

Mit der praktischen Durchführung solcher Gesetze hat es bei der Eigentüm¬
lichkeit der politischen Zustände in Amerika allerdings seine eigne Bewandtnis;
denn sobald sie diesen oder jenen politisch gewichtigen Kreisen, von deren
Einfluß die jeweilige Verwaltung oder deren Wiederwahl abhängt, unbequem
werden, so bleiben sie einfach auf dem Papier, oder es findet sich darin irgend
eine unscheinbare Klausel, deren Auslegung das ganze Gesetz lahm legt.

Außerdem liegt es in der Natur der Sache, daß eine solche Gesetzgebung
immer etwas hinter den praktischen Bedürfnissen zurückbleibt, da sie einerseits
erst nach Klarstellung der zu regelnden Verhältnisse und nach Überwindung der
entgegenstehenden Interessen vordringen kann, anderseits stets gewisse Fragen der
privatrechtlichen Regelung überlassen muß.

So sind denn auch in Amerika trotz der fortschreitenden Arbeiterschutzgesetz-
gebung ernste Zusammenstöße zwischen Kapital und Arbeit nicht ausgeblieben,
welche im wesentlichen denselben, wenn auch beschleunigteren Entwicklungsgang
wie in den europäischen Industriestaaten genommen haben, d. h. die Arbeiter
machten von dem ihnen zustehenden Vereinigungsrechte den umfassendsten Ge¬
brauch, um eine dem Kapital ebenbürtige Macht zu erlangen, und dies hatte
wieder Gegenvereinigungen der Arbeitgeber zur Folge, sodaß sehr bald die Lohn¬
kämpfe für ganze Gewerbszweige zwischen den beiderseitigen Organisationen aus¬
gefochten wurden. Die wirtschaftlichen Unkosten eines solchen Verfahrens wurden
aber für beide Teile so drückend, daß man es mehr und mehr vorzog, sich durch
gegenseitige Ausschüsse -- vonkörsnos eouunittöös -- über beiderseits bindende
Lohntarife zu verständigen. Solche Tarife wurden in der Regel unter proportioneller
Anpassung der Arbeitslöhne an die jeweiligen Marktpreise der betreffenden Jndustrie-
erzeugnisse auf bestimmte oder unbestimmte Zeitdauer, aber stets unter Festsetzung
einer für beide Teile gleichen -- meist ein- bis dreimonatlichen -- Kündigungs¬
frist abgeschlossen, wodurch den plötzlichen Massenarbeitseinstellungen oder -Aus¬
sperrungen und damit den so verderblichen Geschäftsstörungen vorgebeugt werden
sollte; außerdem Pflegte noch ein Schlußsatz die besondre Bestimmung zu ent¬
halten, daß alle etwaigen Meinungsverschiedenheiten einem aus beiderseitigen
Vertrauensmännern in gleicher Anzahl zu bildenden Schiedsgerichte und bei
Stimmengleichheit einem durch jene Vertrauensmänner zu erwählenden Obmcmne
zur Entscheidung unterbreitet werden sollten.


Amerikanische und deutsche Gewerbeschiedsgerichte und Linigungsämter.

Abteilung des Ministeriums des Innern in Washington, zählt gegenwärtig
einige 20 Beamte und verfügt über einen Jahresetat von 25000 Dollars.

Ferner wird man kaum fehlgehen, wenn man die amerikanische Arbeiter¬
schutzgesetzgebung im wesentlichen als eine praktische Folge der Arbeitsämter
ansieht; wenigstens stammt die Gesetzgebung von Massachusetts, welche als die
fortgeschrittenste allen übrigen Staaten zum Muster dient und von den gleichen
Grundsätzen wie die deutsche Gewerbeordnung ausgeht, in ihren wichtigsten Be¬
stimmungen aus der Zeit nach Einführung des Arbeitsamtes.

Mit der praktischen Durchführung solcher Gesetze hat es bei der Eigentüm¬
lichkeit der politischen Zustände in Amerika allerdings seine eigne Bewandtnis;
denn sobald sie diesen oder jenen politisch gewichtigen Kreisen, von deren
Einfluß die jeweilige Verwaltung oder deren Wiederwahl abhängt, unbequem
werden, so bleiben sie einfach auf dem Papier, oder es findet sich darin irgend
eine unscheinbare Klausel, deren Auslegung das ganze Gesetz lahm legt.

Außerdem liegt es in der Natur der Sache, daß eine solche Gesetzgebung
immer etwas hinter den praktischen Bedürfnissen zurückbleibt, da sie einerseits
erst nach Klarstellung der zu regelnden Verhältnisse und nach Überwindung der
entgegenstehenden Interessen vordringen kann, anderseits stets gewisse Fragen der
privatrechtlichen Regelung überlassen muß.

So sind denn auch in Amerika trotz der fortschreitenden Arbeiterschutzgesetz-
gebung ernste Zusammenstöße zwischen Kapital und Arbeit nicht ausgeblieben,
welche im wesentlichen denselben, wenn auch beschleunigteren Entwicklungsgang
wie in den europäischen Industriestaaten genommen haben, d. h. die Arbeiter
machten von dem ihnen zustehenden Vereinigungsrechte den umfassendsten Ge¬
brauch, um eine dem Kapital ebenbürtige Macht zu erlangen, und dies hatte
wieder Gegenvereinigungen der Arbeitgeber zur Folge, sodaß sehr bald die Lohn¬
kämpfe für ganze Gewerbszweige zwischen den beiderseitigen Organisationen aus¬
gefochten wurden. Die wirtschaftlichen Unkosten eines solchen Verfahrens wurden
aber für beide Teile so drückend, daß man es mehr und mehr vorzog, sich durch
gegenseitige Ausschüsse — vonkörsnos eouunittöös — über beiderseits bindende
Lohntarife zu verständigen. Solche Tarife wurden in der Regel unter proportioneller
Anpassung der Arbeitslöhne an die jeweiligen Marktpreise der betreffenden Jndustrie-
erzeugnisse auf bestimmte oder unbestimmte Zeitdauer, aber stets unter Festsetzung
einer für beide Teile gleichen — meist ein- bis dreimonatlichen — Kündigungs¬
frist abgeschlossen, wodurch den plötzlichen Massenarbeitseinstellungen oder -Aus¬
sperrungen und damit den so verderblichen Geschäftsstörungen vorgebeugt werden
sollte; außerdem Pflegte noch ein Schlußsatz die besondre Bestimmung zu ent¬
halten, daß alle etwaigen Meinungsverschiedenheiten einem aus beiderseitigen
Vertrauensmännern in gleicher Anzahl zu bildenden Schiedsgerichte und bei
Stimmengleichheit einem durch jene Vertrauensmänner zu erwählenden Obmcmne
zur Entscheidung unterbreitet werden sollten.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/568>, abgerufen am 01.09.2024.