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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.

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Ricks Lyhnc.

Ricks, sich so mit ganzer Seele darnach zu sehnen, während man fühlt, daß
man sich langsam der Schwelle nähert, die zu einer andern Welt führt, auf
der Schwelle zu stehen und sich langsam umzusehen, während man unerbittlich
vorwärts gedrängt wird durch die Thür, dahin, wohin auch nicht ein einziger
von unsern Sehnsuchtsseufzern strebt! Ricks, mein Sohn, nimm mich, wenn
auch nur in einem Gedanken, mit, wenn du einmal all der Herrlichkeit teilhaftig
wirst, die ich niemals schauen soll!

Sie weinte bitterlich. Ricks versuchte, sie zu trösten, er machte kühne
Pläne, wie sie zusammen reisen wollten, sobald sie ganz gesund wäre; er wolle
in die Stadt fahren und mit dem Arzte über die Sache sprechen; der Arzt
würde gewiß mit ihm darin übereinstimmen, daß es das beste sei, was sie
thun könnten; der und der sei auch gereist, und er sei von seiner Krankheit ge¬
nesen, ganz allein dnrch die Abwechslung; Abwechslung thue so viel! Er fing
an, ihren Reiseplan mit großer Genauigkeit festzustellen, er sprach davon, wie
gut er sie einpacken wolle, wie kurze Strecken sie im Anfange zurücklegen, welch
köstliches Tagebuch sie führen wollten, wie sie alles beachten wollten, selbst
das Unbedeutendste, wie lustig es sein würde, die wunderbarsten Dinge an den
herrlichsten Orte" zu speisen, und welch gräßliche Verstöße gegen die Gram¬
matik sie im Anfange machen würden.

In dieser Weise fuhr er fort, am Abend wie an den folgenden Tagen,
ohne zu ermüden. Sie lächelte wohl mich dazu und ging darauf ein wie auf
eine heitere Phantasie, aber es war ihr deutlich anzumerken, daß sie fest über¬
zeugt war, die Reise werde niemals zu stände kommen.

Auf den Rat des Arztes traf Ricks trotzdem die notwendigen Vorberei¬
tungen, und sie ließ ihn gewähren, ließ ihn den Tag der Abreise festsetzen, über¬
zeugt, wie sie war, daß das eintreffen würde, was alle Pläne zu nichte machen
müsse. Als aber schließlich mir noch wenige Tage fehlten, und als ihr jüngster
Bruder, der das Gut während ihrer Abwesenheit verwalten sollte, wirklich ge¬
kommen war, fing sie an, unsicher zu werden, und nun war sie es, die die
Beschleunigung der Abreise am eifrigsten betrieb, weil sie sich uoch immer nicht
völlig von der Furcht befreien konnte, daß ein Hindernis eintreten und sich ihnen
im letzten Augenblicke in den Weg stellen könne.

Und so traten sie denn wirklich ihre Reise an. Am ersten Tage war
Frau Lyhne noch unruhig und nervös infolge jenes letzten Nestes von Furcht;
erst nachdem sie diese glücklich überwunden hatte, ward es ihr möglich, zu fühlen
und zu verstehen, daß sie wirklich auf dem Wege zu all der Herrlichkeit war,
nach welcher sie sich so schmerzlich gesehnt hatte. Eine fast fieberhafte Freude
überkam sie jetzt und eine übertriebene Erwartung sprach ans allen ihren Äuße¬
rungen, die sich einzig und allein um das drehten, was die Tage, einer nach
dem andern, bringen sollten. (Fortsetzung folgt.)




Ricks Lyhnc.

Ricks, sich so mit ganzer Seele darnach zu sehnen, während man fühlt, daß
man sich langsam der Schwelle nähert, die zu einer andern Welt führt, auf
der Schwelle zu stehen und sich langsam umzusehen, während man unerbittlich
vorwärts gedrängt wird durch die Thür, dahin, wohin auch nicht ein einziger
von unsern Sehnsuchtsseufzern strebt! Ricks, mein Sohn, nimm mich, wenn
auch nur in einem Gedanken, mit, wenn du einmal all der Herrlichkeit teilhaftig
wirst, die ich niemals schauen soll!

Sie weinte bitterlich. Ricks versuchte, sie zu trösten, er machte kühne
Pläne, wie sie zusammen reisen wollten, sobald sie ganz gesund wäre; er wolle
in die Stadt fahren und mit dem Arzte über die Sache sprechen; der Arzt
würde gewiß mit ihm darin übereinstimmen, daß es das beste sei, was sie
thun könnten; der und der sei auch gereist, und er sei von seiner Krankheit ge¬
nesen, ganz allein dnrch die Abwechslung; Abwechslung thue so viel! Er fing
an, ihren Reiseplan mit großer Genauigkeit festzustellen, er sprach davon, wie
gut er sie einpacken wolle, wie kurze Strecken sie im Anfange zurücklegen, welch
köstliches Tagebuch sie führen wollten, wie sie alles beachten wollten, selbst
das Unbedeutendste, wie lustig es sein würde, die wunderbarsten Dinge an den
herrlichsten Orte» zu speisen, und welch gräßliche Verstöße gegen die Gram¬
matik sie im Anfange machen würden.

In dieser Weise fuhr er fort, am Abend wie an den folgenden Tagen,
ohne zu ermüden. Sie lächelte wohl mich dazu und ging darauf ein wie auf
eine heitere Phantasie, aber es war ihr deutlich anzumerken, daß sie fest über¬
zeugt war, die Reise werde niemals zu stände kommen.

Auf den Rat des Arztes traf Ricks trotzdem die notwendigen Vorberei¬
tungen, und sie ließ ihn gewähren, ließ ihn den Tag der Abreise festsetzen, über¬
zeugt, wie sie war, daß das eintreffen würde, was alle Pläne zu nichte machen
müsse. Als aber schließlich mir noch wenige Tage fehlten, und als ihr jüngster
Bruder, der das Gut während ihrer Abwesenheit verwalten sollte, wirklich ge¬
kommen war, fing sie an, unsicher zu werden, und nun war sie es, die die
Beschleunigung der Abreise am eifrigsten betrieb, weil sie sich uoch immer nicht
völlig von der Furcht befreien konnte, daß ein Hindernis eintreten und sich ihnen
im letzten Augenblicke in den Weg stellen könne.

Und so traten sie denn wirklich ihre Reise an. Am ersten Tage war
Frau Lyhne noch unruhig und nervös infolge jenes letzten Nestes von Furcht;
erst nachdem sie diese glücklich überwunden hatte, ward es ihr möglich, zu fühlen
und zu verstehen, daß sie wirklich auf dem Wege zu all der Herrlichkeit war,
nach welcher sie sich so schmerzlich gesehnt hatte. Eine fast fieberhafte Freude
überkam sie jetzt und eine übertriebene Erwartung sprach ans allen ihren Äuße¬
rungen, die sich einzig und allein um das drehten, was die Tage, einer nach
dem andern, bringen sollten. (Fortsetzung folgt.)




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[0554] Ricks Lyhnc. Ricks, sich so mit ganzer Seele darnach zu sehnen, während man fühlt, daß man sich langsam der Schwelle nähert, die zu einer andern Welt führt, auf der Schwelle zu stehen und sich langsam umzusehen, während man unerbittlich vorwärts gedrängt wird durch die Thür, dahin, wohin auch nicht ein einziger von unsern Sehnsuchtsseufzern strebt! Ricks, mein Sohn, nimm mich, wenn auch nur in einem Gedanken, mit, wenn du einmal all der Herrlichkeit teilhaftig wirst, die ich niemals schauen soll! Sie weinte bitterlich. Ricks versuchte, sie zu trösten, er machte kühne Pläne, wie sie zusammen reisen wollten, sobald sie ganz gesund wäre; er wolle in die Stadt fahren und mit dem Arzte über die Sache sprechen; der Arzt würde gewiß mit ihm darin übereinstimmen, daß es das beste sei, was sie thun könnten; der und der sei auch gereist, und er sei von seiner Krankheit ge¬ nesen, ganz allein dnrch die Abwechslung; Abwechslung thue so viel! Er fing an, ihren Reiseplan mit großer Genauigkeit festzustellen, er sprach davon, wie gut er sie einpacken wolle, wie kurze Strecken sie im Anfange zurücklegen, welch köstliches Tagebuch sie führen wollten, wie sie alles beachten wollten, selbst das Unbedeutendste, wie lustig es sein würde, die wunderbarsten Dinge an den herrlichsten Orte» zu speisen, und welch gräßliche Verstöße gegen die Gram¬ matik sie im Anfange machen würden. In dieser Weise fuhr er fort, am Abend wie an den folgenden Tagen, ohne zu ermüden. Sie lächelte wohl mich dazu und ging darauf ein wie auf eine heitere Phantasie, aber es war ihr deutlich anzumerken, daß sie fest über¬ zeugt war, die Reise werde niemals zu stände kommen. Auf den Rat des Arztes traf Ricks trotzdem die notwendigen Vorberei¬ tungen, und sie ließ ihn gewähren, ließ ihn den Tag der Abreise festsetzen, über¬ zeugt, wie sie war, daß das eintreffen würde, was alle Pläne zu nichte machen müsse. Als aber schließlich mir noch wenige Tage fehlten, und als ihr jüngster Bruder, der das Gut während ihrer Abwesenheit verwalten sollte, wirklich ge¬ kommen war, fing sie an, unsicher zu werden, und nun war sie es, die die Beschleunigung der Abreise am eifrigsten betrieb, weil sie sich uoch immer nicht völlig von der Furcht befreien konnte, daß ein Hindernis eintreten und sich ihnen im letzten Augenblicke in den Weg stellen könne. Und so traten sie denn wirklich ihre Reise an. Am ersten Tage war Frau Lyhne noch unruhig und nervös infolge jenes letzten Nestes von Furcht; erst nachdem sie diese glücklich überwunden hatte, ward es ihr möglich, zu fühlen und zu verstehen, daß sie wirklich auf dem Wege zu all der Herrlichkeit war, nach welcher sie sich so schmerzlich gesehnt hatte. Eine fast fieberhafte Freude überkam sie jetzt und eine übertriebene Erwartung sprach ans allen ihren Äuße¬ rungen, die sich einzig und allein um das drehten, was die Tage, einer nach dem andern, bringen sollten. (Fortsetzung folgt.)

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/554>, abgerufen am 27.07.2024.