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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.

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Italien im Dreibünde.

Befreiung Schleswig-Holsteins von der Herrschaft Dänemarks 1366 durch Ver¬
drängung aus dem deutschen Bunde. Die Bulgaren, die 1877 durch Rußland
vom türkischen Joche befreit wurden, verlangen jetzt fast einstimmig vom Zaren,
sie mit seinem Einflüsse auf ihre Geschicke unbehelligt zu lassen. So ist es
auch mit Italien: es hat seine Einheit und Unabhängigkeit zum guten Teile der
Hilfe Frankreichs zu danken, und siehe da, es fürchtet jetzt den damaligen Retter
und ist mit Deutschland und Österreich gegen diesen verbündet. Es will fast
scheinen, als ob es ein Naturgesetz gäbe, nach welchem zwischen solchen, die gute
Dienste leisten, und solchen, denen sie Vorteile bringen, sich Übelwollen entwickeln
müßte. Liegt der letzte Grund nun darin, daß der Helfer oder Gönner in der
Not selten oder nie uneigennützig handelt und nach dem Gelingen zu viel Lohn
für seine Arbeit verlangt, oder daß die von ihm befreiten zu rasch die Ketten
vergessen, die er ihnen abstreifen half? Oder lassen die Notwendigkeiten des
nationalen Lebens nicht zu, daß man den Gefühlen nachgiebt, welche ein rück¬
wärts gewendeter Blick auf die erfahrene Wohlthat einflößt? Alle diese Fragen
sind zu bejahen, bald mehr die eine, bald die andre. In dem Falle Frankreichs
und Italiens ist daran zu erinnern, daß Napoleon der Dritte sich seine Be¬
freiungsarbeit mit Nizza und Savoyen bezahlen ließ, daß er Italien nicht so¬
wohl für die Italiener befreien, als vielmehr Österreich schwächen und an dessen
Stelle den Einfluß Frankreichs setzen, und daß er überhaupt kein einheitliches
Italien geschaffen sehen wollte, da dies eine Gefahr für die französischen Inter¬
essen im und am Mittelmeere werden mußte, sondern nur ein solches, welches
schwach und geteilt, leicht bedroht und hilfsbedürftig, gerade noch stark genug
war, um einen brauchbaren Bundesgenossen Frankreichs abzugeben. Daher die
Zettelungen in Neapel, daher die Erhaltung des Pfahls im Fleische, welchen der
Papst-König in Rom darstellte, daher die Versagung der natürlichen Hauptstadt,
solange man in Paris noch dazu im stände war. Die Dankbarkeit der Italiener
konnte im Hinblick hierauf nicht groß sein. Wohl aber durften sie auch im re-
publikanischen Frankreich von Anfang an eine Gefahr für sich erblicken, und diese
Auffassung wurde bestätigt, als die Franzosen ihnen Tunis wegnahmen, das,
wenige Meilen von Siziliens Südküste gelegen, die Gefahr vergrößerte und,
selbst halb italienisch, schon lange die Sehnsucht Italiens war. Dazu kommt
aber folgendes. Die Italiener haben allen Grund, ihre ehemaligen Gönner zu
fürchten. Die Franzosen sind von der Zeit des ersten und des dritten Napoleons
her gewöhnt, Italien als von sich abhängig zu betrachten. So oft sie unter
diesen Kaisern die Alpen überschritten, erfochten sie fast ohne Ausnahme Sieg
auf Sieg. Blicken sie dagegen jetzt nach Osten, so erinnert sie das an die
Reihe von Niederlagen französischer Generale und Armeen, welche das Jahr
1870 brachte, und so sehen sie in der Gegenwart vor sich eine mit gewaltigen
Festungen wohlverwahrte Grenze, hinter der ein deutsches Heer steht, welches
das nicht unbegründete Bewußtsein erfüllt, das erste der Welt zu sein, und


Italien im Dreibünde.

Befreiung Schleswig-Holsteins von der Herrschaft Dänemarks 1366 durch Ver¬
drängung aus dem deutschen Bunde. Die Bulgaren, die 1877 durch Rußland
vom türkischen Joche befreit wurden, verlangen jetzt fast einstimmig vom Zaren,
sie mit seinem Einflüsse auf ihre Geschicke unbehelligt zu lassen. So ist es
auch mit Italien: es hat seine Einheit und Unabhängigkeit zum guten Teile der
Hilfe Frankreichs zu danken, und siehe da, es fürchtet jetzt den damaligen Retter
und ist mit Deutschland und Österreich gegen diesen verbündet. Es will fast
scheinen, als ob es ein Naturgesetz gäbe, nach welchem zwischen solchen, die gute
Dienste leisten, und solchen, denen sie Vorteile bringen, sich Übelwollen entwickeln
müßte. Liegt der letzte Grund nun darin, daß der Helfer oder Gönner in der
Not selten oder nie uneigennützig handelt und nach dem Gelingen zu viel Lohn
für seine Arbeit verlangt, oder daß die von ihm befreiten zu rasch die Ketten
vergessen, die er ihnen abstreifen half? Oder lassen die Notwendigkeiten des
nationalen Lebens nicht zu, daß man den Gefühlen nachgiebt, welche ein rück¬
wärts gewendeter Blick auf die erfahrene Wohlthat einflößt? Alle diese Fragen
sind zu bejahen, bald mehr die eine, bald die andre. In dem Falle Frankreichs
und Italiens ist daran zu erinnern, daß Napoleon der Dritte sich seine Be¬
freiungsarbeit mit Nizza und Savoyen bezahlen ließ, daß er Italien nicht so¬
wohl für die Italiener befreien, als vielmehr Österreich schwächen und an dessen
Stelle den Einfluß Frankreichs setzen, und daß er überhaupt kein einheitliches
Italien geschaffen sehen wollte, da dies eine Gefahr für die französischen Inter¬
essen im und am Mittelmeere werden mußte, sondern nur ein solches, welches
schwach und geteilt, leicht bedroht und hilfsbedürftig, gerade noch stark genug
war, um einen brauchbaren Bundesgenossen Frankreichs abzugeben. Daher die
Zettelungen in Neapel, daher die Erhaltung des Pfahls im Fleische, welchen der
Papst-König in Rom darstellte, daher die Versagung der natürlichen Hauptstadt,
solange man in Paris noch dazu im stände war. Die Dankbarkeit der Italiener
konnte im Hinblick hierauf nicht groß sein. Wohl aber durften sie auch im re-
publikanischen Frankreich von Anfang an eine Gefahr für sich erblicken, und diese
Auffassung wurde bestätigt, als die Franzosen ihnen Tunis wegnahmen, das,
wenige Meilen von Siziliens Südküste gelegen, die Gefahr vergrößerte und,
selbst halb italienisch, schon lange die Sehnsucht Italiens war. Dazu kommt
aber folgendes. Die Italiener haben allen Grund, ihre ehemaligen Gönner zu
fürchten. Die Franzosen sind von der Zeit des ersten und des dritten Napoleons
her gewöhnt, Italien als von sich abhängig zu betrachten. So oft sie unter
diesen Kaisern die Alpen überschritten, erfochten sie fast ohne Ausnahme Sieg
auf Sieg. Blicken sie dagegen jetzt nach Osten, so erinnert sie das an die
Reihe von Niederlagen französischer Generale und Armeen, welche das Jahr
1870 brachte, und so sehen sie in der Gegenwart vor sich eine mit gewaltigen
Festungen wohlverwahrte Grenze, hinter der ein deutsches Heer steht, welches
das nicht unbegründete Bewußtsein erfüllt, das erste der Welt zu sein, und


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[0544] Italien im Dreibünde. Befreiung Schleswig-Holsteins von der Herrschaft Dänemarks 1366 durch Ver¬ drängung aus dem deutschen Bunde. Die Bulgaren, die 1877 durch Rußland vom türkischen Joche befreit wurden, verlangen jetzt fast einstimmig vom Zaren, sie mit seinem Einflüsse auf ihre Geschicke unbehelligt zu lassen. So ist es auch mit Italien: es hat seine Einheit und Unabhängigkeit zum guten Teile der Hilfe Frankreichs zu danken, und siehe da, es fürchtet jetzt den damaligen Retter und ist mit Deutschland und Österreich gegen diesen verbündet. Es will fast scheinen, als ob es ein Naturgesetz gäbe, nach welchem zwischen solchen, die gute Dienste leisten, und solchen, denen sie Vorteile bringen, sich Übelwollen entwickeln müßte. Liegt der letzte Grund nun darin, daß der Helfer oder Gönner in der Not selten oder nie uneigennützig handelt und nach dem Gelingen zu viel Lohn für seine Arbeit verlangt, oder daß die von ihm befreiten zu rasch die Ketten vergessen, die er ihnen abstreifen half? Oder lassen die Notwendigkeiten des nationalen Lebens nicht zu, daß man den Gefühlen nachgiebt, welche ein rück¬ wärts gewendeter Blick auf die erfahrene Wohlthat einflößt? Alle diese Fragen sind zu bejahen, bald mehr die eine, bald die andre. In dem Falle Frankreichs und Italiens ist daran zu erinnern, daß Napoleon der Dritte sich seine Be¬ freiungsarbeit mit Nizza und Savoyen bezahlen ließ, daß er Italien nicht so¬ wohl für die Italiener befreien, als vielmehr Österreich schwächen und an dessen Stelle den Einfluß Frankreichs setzen, und daß er überhaupt kein einheitliches Italien geschaffen sehen wollte, da dies eine Gefahr für die französischen Inter¬ essen im und am Mittelmeere werden mußte, sondern nur ein solches, welches schwach und geteilt, leicht bedroht und hilfsbedürftig, gerade noch stark genug war, um einen brauchbaren Bundesgenossen Frankreichs abzugeben. Daher die Zettelungen in Neapel, daher die Erhaltung des Pfahls im Fleische, welchen der Papst-König in Rom darstellte, daher die Versagung der natürlichen Hauptstadt, solange man in Paris noch dazu im stände war. Die Dankbarkeit der Italiener konnte im Hinblick hierauf nicht groß sein. Wohl aber durften sie auch im re- publikanischen Frankreich von Anfang an eine Gefahr für sich erblicken, und diese Auffassung wurde bestätigt, als die Franzosen ihnen Tunis wegnahmen, das, wenige Meilen von Siziliens Südküste gelegen, die Gefahr vergrößerte und, selbst halb italienisch, schon lange die Sehnsucht Italiens war. Dazu kommt aber folgendes. Die Italiener haben allen Grund, ihre ehemaligen Gönner zu fürchten. Die Franzosen sind von der Zeit des ersten und des dritten Napoleons her gewöhnt, Italien als von sich abhängig zu betrachten. So oft sie unter diesen Kaisern die Alpen überschritten, erfochten sie fast ohne Ausnahme Sieg auf Sieg. Blicken sie dagegen jetzt nach Osten, so erinnert sie das an die Reihe von Niederlagen französischer Generale und Armeen, welche das Jahr 1870 brachte, und so sehen sie in der Gegenwart vor sich eine mit gewaltigen Festungen wohlverwahrte Grenze, hinter der ein deutsches Heer steht, welches das nicht unbegründete Bewußtsein erfüllt, das erste der Welt zu sein, und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/544>, abgerufen am 27.07.2024.