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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.

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Ricks Lyhne,

denen sie niemals hatte reden hören. Er zeigte ihr die Bilder der einen und
las die Gedichte der andern mit ihr im Garten auf dem Hügel, von wo aus
sie die blanke Wasserfläche des Fjordes und die braunen Wellen der Heide
überschauen konnten. Die Liebe machte ihn poetisch, die Gegend gewann an
Reizen, die Wolken nahmen die Gestalt von jenen Wolken an, die in den
Dichtungen dahinzogen, und die Bäume trugen das Laubwerk, das in deu
Balladen so wehmutsvoll erschauerte.

Vartholine war glücklich, denn ihre Liebe verwandelte Tag und Nacht in
eine Reihe poetischer Stimmungen. Es lag Poesie darin, wenn sie ihm ent¬
gegenging, die Bewegung war Poesie, wenn sie im Scheine der Abendsonne auf
dem Hügel stand, ihm ein letztes Lebewohl zuwinkte und dann in wehmütiger
Wonne auf ihr einsames Kämmcrlei" ging, um ungestört an ihn zu denken;
und wenn sie ihn in ihr Abendgebet schloß, so war auch das Poesie.

Jetzt empfand sie nicht mehr jenes unbestimmte Sehnen und Verlangen; das
neue Leben mit seinen wechselvollen Stimmungen war ihr genug, ihre Gedanken
und Anschauungen waren klarer geworden, hatte sie jetzt doch jemand, an den
sie sich unverholen wenden konnte, ohne zu befürchten, mißverstanden zu werden.

Auch in andrer Hinsicht hatte sie sich verändert: das Glück hatte sie den
Eltern und Geschwistern gegenüber liebenswürdiger gemacht, sie fand, daß diese ver¬
ständiger waren, auch mehr Gefühl besaßen, als sie bis dahin angenommen hatte.

Und nun heirateten sie einander.

Das erste Jahr glich der Brautzeit. Als aber das Zusammenleben all¬
mählich älter ward, konnte Lyhne es sich nicht länger verhehlen, daß er es müde
war, seiner Liebe immerwährend neue Ausdrücke zu geben, sich unablässig in das
Fedcrgewand der Poesie zu hüllen, die Flügel ausgebreitet zu haben zum Fluge
durch alle Stimmungshimmel und alle Gedankentiefen; er sehnte sich darnach,
in gemütlicher Ruhe stillzusitzen aus seinem Zweig und schlummernd sein müdes
Haupt unter der warmen Federdecke seiner Flügel zu bergen. Er stellte sich
die Liebe nicht als eine ewig flackernde, lodernde Flamme vor, die mit ihrem
starken, glühenden Scheine die ruhigsten Falten des Daseins erhellt und alles
phantastisch größer und ferner erscheinen läßt, als es war, die Liebe war für
ihn vielmehr eine stille, glühende Kohle, die ihrem weichen Aschenbette eine gleich¬
mäßige Wärme entsendete und in gedämpftem Zwielicht das Entferntere ver¬
schleiert und das Nahe doppelt nah und doppelt heimisch macht.

Er war müde, ermattet, es war ihm unmöglich, alle die Poesie zu er¬
tragen, und wie ein Fisch, der in der heißen Luft erstickt, nach der klaren, frischen
Kühle des Wassers schmachtet, so schmachtete er darnach, festen Fuß zu fassen
auf dem sichern Boden des alltäglichen Lebens. Es mußte ein Ende haben,
es mußte von selber ein Ende nehmen. Bartholine war nicht länger unerfahren,
was das Leben und die Dichtung betraf, sie war ebenso erfahren darin wie er
selber, er hatte ihr alles gegeben, was er empfangen hatte, und nun sollte er


Ricks Lyhne,

denen sie niemals hatte reden hören. Er zeigte ihr die Bilder der einen und
las die Gedichte der andern mit ihr im Garten auf dem Hügel, von wo aus
sie die blanke Wasserfläche des Fjordes und die braunen Wellen der Heide
überschauen konnten. Die Liebe machte ihn poetisch, die Gegend gewann an
Reizen, die Wolken nahmen die Gestalt von jenen Wolken an, die in den
Dichtungen dahinzogen, und die Bäume trugen das Laubwerk, das in deu
Balladen so wehmutsvoll erschauerte.

Vartholine war glücklich, denn ihre Liebe verwandelte Tag und Nacht in
eine Reihe poetischer Stimmungen. Es lag Poesie darin, wenn sie ihm ent¬
gegenging, die Bewegung war Poesie, wenn sie im Scheine der Abendsonne auf
dem Hügel stand, ihm ein letztes Lebewohl zuwinkte und dann in wehmütiger
Wonne auf ihr einsames Kämmcrlei» ging, um ungestört an ihn zu denken;
und wenn sie ihn in ihr Abendgebet schloß, so war auch das Poesie.

Jetzt empfand sie nicht mehr jenes unbestimmte Sehnen und Verlangen; das
neue Leben mit seinen wechselvollen Stimmungen war ihr genug, ihre Gedanken
und Anschauungen waren klarer geworden, hatte sie jetzt doch jemand, an den
sie sich unverholen wenden konnte, ohne zu befürchten, mißverstanden zu werden.

Auch in andrer Hinsicht hatte sie sich verändert: das Glück hatte sie den
Eltern und Geschwistern gegenüber liebenswürdiger gemacht, sie fand, daß diese ver¬
ständiger waren, auch mehr Gefühl besaßen, als sie bis dahin angenommen hatte.

Und nun heirateten sie einander.

Das erste Jahr glich der Brautzeit. Als aber das Zusammenleben all¬
mählich älter ward, konnte Lyhne es sich nicht länger verhehlen, daß er es müde
war, seiner Liebe immerwährend neue Ausdrücke zu geben, sich unablässig in das
Fedcrgewand der Poesie zu hüllen, die Flügel ausgebreitet zu haben zum Fluge
durch alle Stimmungshimmel und alle Gedankentiefen; er sehnte sich darnach,
in gemütlicher Ruhe stillzusitzen aus seinem Zweig und schlummernd sein müdes
Haupt unter der warmen Federdecke seiner Flügel zu bergen. Er stellte sich
die Liebe nicht als eine ewig flackernde, lodernde Flamme vor, die mit ihrem
starken, glühenden Scheine die ruhigsten Falten des Daseins erhellt und alles
phantastisch größer und ferner erscheinen läßt, als es war, die Liebe war für
ihn vielmehr eine stille, glühende Kohle, die ihrem weichen Aschenbette eine gleich¬
mäßige Wärme entsendete und in gedämpftem Zwielicht das Entferntere ver¬
schleiert und das Nahe doppelt nah und doppelt heimisch macht.

Er war müde, ermattet, es war ihm unmöglich, alle die Poesie zu er¬
tragen, und wie ein Fisch, der in der heißen Luft erstickt, nach der klaren, frischen
Kühle des Wassers schmachtet, so schmachtete er darnach, festen Fuß zu fassen
auf dem sichern Boden des alltäglichen Lebens. Es mußte ein Ende haben,
es mußte von selber ein Ende nehmen. Bartholine war nicht länger unerfahren,
was das Leben und die Dichtung betraf, sie war ebenso erfahren darin wie er
selber, er hatte ihr alles gegeben, was er empfangen hatte, und nun sollte er


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/54>, abgerufen am 28.07.2024.