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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.

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Munckers Klopstockbiograxhie.

Bildung durchaus beherrscht war; das Hamburg des vorigen Jahrhunderts
mit seinen mannichfachen geistigen Elementen, die, wenn nicht stärker, doch ein-
fluß- und wirkuugsrcicher waren als die heutigen; die Göttinger Hainbündler,
die in Klopstock ihren Herrn und Meister nicht bloß ehrten, sondern vergötterten.
Eine Fülle von Lebensanschauungen, Bildungen und Bestrebungen, die uns in
all ihren Äußerlichkeiten, in ihren Erscheinungen fremd geworden sind, während
ihre letzten Ergebnisse in das Mark unsrer Bildung, unsers Lebens übergegangen
sind, dazu ein Hintergrund von Kulturzuständen und Zeitereignissen, welcher von
der Stille zwischen: dem österreichischen Erbfolgekriege und dem siebenjährigen
Kriege bis zur französischen Revolution und zum Konsulat des ersten Napoleon
reicht, Zeitereignissen, von denen einige, wie der Sturz Bernstorffs und die
Herrschaft Struensees in Dänemark, die Anfänge der französischen Revolution,
Klopstock nahe genug ergriffe" und berührten, sie alle fordern in einer voll¬
ständigen Klopstockbiogrophie ihre Berücksichtigung. Wer da, wo Muucker die
Perspektiven nur eröffnen kann, sie selbst lebendig auszufüllen versteht, den über¬
kommt es, daß nicht bloß die Menschen unsers, sondern auch des vorigen Jahr¬
hunderts gewaltige Wandlungen zu durchleben hatten und gleich uns von Glück
sagen konnten, wenn sich ihre Kraft überall diesen Wciudlungen gewachsen zeigte.

Muncker hat Recht, wenn er im Schlußwort seines Buches die Unmög¬
lichkeit betont, daß irgend eine Zeit, irgend ein deutscher Leserkreis empfänglich
zu Klopstock zurückkehren, seine Schriften wieder mit wahrer Teilnahme lesen
werde, er möge auch Recht mit der Hoffnung behalten, "daß der (wenn auch
bisweilen überschwängliche) Eifer, mit dem seit einiger Zeit das Studium Klop-
stocks und seiner Werke in den wissenschaftlichen Kreisen Deutschlands wieder
betrieben wird, dem Sänger der Messiade und der Oden bei den Gebildeten
unsers Volkes überhaupt die Achtung und dankbare Verehrung wiedergeben
werde, welche dem Begründer unsrer neuern Poesie nach seinem geschichtlichen
Verdienste gebührt." Ohne weiteres teilen läßt sich seine Hoffnung hierauf
nicht, gerade die Aufnahme seines Buches muß uns zeigen, wie viel geschicht¬
licher Sinn bei den Gebildeten noch vorhanden ist, wie weit man imstande ist,
sich aus der "Aktualität" in Leben und Stimmung vergangner Tage zu ver¬
setzen und die einfache Wahrheit anzuerkennen, daß unser Leben ohne die Lebens¬
arbeit der Idealisten des achtzehnten Jahrhunderts unendlich ärmer und uner¬
quicklicher sein würde.

Ein Gegensatz, oder besser eine Voraussetzung jener Jahrzehnte, in denen
Klopstock emporwuchs, könnte und sollte in Munckers Werke stärker und deut¬
licher hervortreten, obschon es unter allen Aufgaben des Historikers und Bio¬
graphen die schwerste ist, die gesellschaftliche Atmosphäre einer zurückliegenden Zeit
und Kultur wieder heraufzubeschwören. Noch lag in der ganzen ersten Hälfte
des vorigen Jahrhunderts der Druck, welchen materielle Verarmung, dürftige,
geistlose Bildung, demütige Unterordnung unter die unberechtigtsten Ansprüche


Munckers Klopstockbiograxhie.

Bildung durchaus beherrscht war; das Hamburg des vorigen Jahrhunderts
mit seinen mannichfachen geistigen Elementen, die, wenn nicht stärker, doch ein-
fluß- und wirkuugsrcicher waren als die heutigen; die Göttinger Hainbündler,
die in Klopstock ihren Herrn und Meister nicht bloß ehrten, sondern vergötterten.
Eine Fülle von Lebensanschauungen, Bildungen und Bestrebungen, die uns in
all ihren Äußerlichkeiten, in ihren Erscheinungen fremd geworden sind, während
ihre letzten Ergebnisse in das Mark unsrer Bildung, unsers Lebens übergegangen
sind, dazu ein Hintergrund von Kulturzuständen und Zeitereignissen, welcher von
der Stille zwischen: dem österreichischen Erbfolgekriege und dem siebenjährigen
Kriege bis zur französischen Revolution und zum Konsulat des ersten Napoleon
reicht, Zeitereignissen, von denen einige, wie der Sturz Bernstorffs und die
Herrschaft Struensees in Dänemark, die Anfänge der französischen Revolution,
Klopstock nahe genug ergriffe» und berührten, sie alle fordern in einer voll¬
ständigen Klopstockbiogrophie ihre Berücksichtigung. Wer da, wo Muucker die
Perspektiven nur eröffnen kann, sie selbst lebendig auszufüllen versteht, den über¬
kommt es, daß nicht bloß die Menschen unsers, sondern auch des vorigen Jahr¬
hunderts gewaltige Wandlungen zu durchleben hatten und gleich uns von Glück
sagen konnten, wenn sich ihre Kraft überall diesen Wciudlungen gewachsen zeigte.

Muncker hat Recht, wenn er im Schlußwort seines Buches die Unmög¬
lichkeit betont, daß irgend eine Zeit, irgend ein deutscher Leserkreis empfänglich
zu Klopstock zurückkehren, seine Schriften wieder mit wahrer Teilnahme lesen
werde, er möge auch Recht mit der Hoffnung behalten, „daß der (wenn auch
bisweilen überschwängliche) Eifer, mit dem seit einiger Zeit das Studium Klop-
stocks und seiner Werke in den wissenschaftlichen Kreisen Deutschlands wieder
betrieben wird, dem Sänger der Messiade und der Oden bei den Gebildeten
unsers Volkes überhaupt die Achtung und dankbare Verehrung wiedergeben
werde, welche dem Begründer unsrer neuern Poesie nach seinem geschichtlichen
Verdienste gebührt." Ohne weiteres teilen läßt sich seine Hoffnung hierauf
nicht, gerade die Aufnahme seines Buches muß uns zeigen, wie viel geschicht¬
licher Sinn bei den Gebildeten noch vorhanden ist, wie weit man imstande ist,
sich aus der „Aktualität" in Leben und Stimmung vergangner Tage zu ver¬
setzen und die einfache Wahrheit anzuerkennen, daß unser Leben ohne die Lebens¬
arbeit der Idealisten des achtzehnten Jahrhunderts unendlich ärmer und uner¬
quicklicher sein würde.

Ein Gegensatz, oder besser eine Voraussetzung jener Jahrzehnte, in denen
Klopstock emporwuchs, könnte und sollte in Munckers Werke stärker und deut¬
licher hervortreten, obschon es unter allen Aufgaben des Historikers und Bio¬
graphen die schwerste ist, die gesellschaftliche Atmosphäre einer zurückliegenden Zeit
und Kultur wieder heraufzubeschwören. Noch lag in der ganzen ersten Hälfte
des vorigen Jahrhunderts der Druck, welchen materielle Verarmung, dürftige,
geistlose Bildung, demütige Unterordnung unter die unberechtigtsten Ansprüche


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[0533] Munckers Klopstockbiograxhie. Bildung durchaus beherrscht war; das Hamburg des vorigen Jahrhunderts mit seinen mannichfachen geistigen Elementen, die, wenn nicht stärker, doch ein- fluß- und wirkuugsrcicher waren als die heutigen; die Göttinger Hainbündler, die in Klopstock ihren Herrn und Meister nicht bloß ehrten, sondern vergötterten. Eine Fülle von Lebensanschauungen, Bildungen und Bestrebungen, die uns in all ihren Äußerlichkeiten, in ihren Erscheinungen fremd geworden sind, während ihre letzten Ergebnisse in das Mark unsrer Bildung, unsers Lebens übergegangen sind, dazu ein Hintergrund von Kulturzuständen und Zeitereignissen, welcher von der Stille zwischen: dem österreichischen Erbfolgekriege und dem siebenjährigen Kriege bis zur französischen Revolution und zum Konsulat des ersten Napoleon reicht, Zeitereignissen, von denen einige, wie der Sturz Bernstorffs und die Herrschaft Struensees in Dänemark, die Anfänge der französischen Revolution, Klopstock nahe genug ergriffe» und berührten, sie alle fordern in einer voll¬ ständigen Klopstockbiogrophie ihre Berücksichtigung. Wer da, wo Muucker die Perspektiven nur eröffnen kann, sie selbst lebendig auszufüllen versteht, den über¬ kommt es, daß nicht bloß die Menschen unsers, sondern auch des vorigen Jahr¬ hunderts gewaltige Wandlungen zu durchleben hatten und gleich uns von Glück sagen konnten, wenn sich ihre Kraft überall diesen Wciudlungen gewachsen zeigte. Muncker hat Recht, wenn er im Schlußwort seines Buches die Unmög¬ lichkeit betont, daß irgend eine Zeit, irgend ein deutscher Leserkreis empfänglich zu Klopstock zurückkehren, seine Schriften wieder mit wahrer Teilnahme lesen werde, er möge auch Recht mit der Hoffnung behalten, „daß der (wenn auch bisweilen überschwängliche) Eifer, mit dem seit einiger Zeit das Studium Klop- stocks und seiner Werke in den wissenschaftlichen Kreisen Deutschlands wieder betrieben wird, dem Sänger der Messiade und der Oden bei den Gebildeten unsers Volkes überhaupt die Achtung und dankbare Verehrung wiedergeben werde, welche dem Begründer unsrer neuern Poesie nach seinem geschichtlichen Verdienste gebührt." Ohne weiteres teilen läßt sich seine Hoffnung hierauf nicht, gerade die Aufnahme seines Buches muß uns zeigen, wie viel geschicht¬ licher Sinn bei den Gebildeten noch vorhanden ist, wie weit man imstande ist, sich aus der „Aktualität" in Leben und Stimmung vergangner Tage zu ver¬ setzen und die einfache Wahrheit anzuerkennen, daß unser Leben ohne die Lebens¬ arbeit der Idealisten des achtzehnten Jahrhunderts unendlich ärmer und uner¬ quicklicher sein würde. Ein Gegensatz, oder besser eine Voraussetzung jener Jahrzehnte, in denen Klopstock emporwuchs, könnte und sollte in Munckers Werke stärker und deut¬ licher hervortreten, obschon es unter allen Aufgaben des Historikers und Bio¬ graphen die schwerste ist, die gesellschaftliche Atmosphäre einer zurückliegenden Zeit und Kultur wieder heraufzubeschwören. Noch lag in der ganzen ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts der Druck, welchen materielle Verarmung, dürftige, geistlose Bildung, demütige Unterordnung unter die unberechtigtsten Ansprüche

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/533>, abgerufen am 01.09.2024.