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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.

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Oeo jnvemts.

außer für ihr eignes Gemeinwesen, hatten kein Militär und keine Gesandten
zu unterhalten, verfrachteten ihre Zitronen und Oliven über den ganzen Erd¬
boden, und erfuhren zu ihrer angenehmen Überraschung, daß die Bucht von
Mentone sich eines Wintcrklimas erfreut, wie kaum eine zweite Stelle in Europa.

Dieser Vorzug ist der Gegend geblieben. Ihrer Unabhängigkeit aber mußte sie
sich 1860 "freiwillig" begeben, und seit 1870 ist sie mit Monopolen und Steuern
wieder reichlich gesegnet. Der Kutscher, der eine Fahrt über die italienische Grenze
gemacht hat und bei der Rückkehr nicht nur seinen Wagen, sondern sogar seine
Taschen nach Tabak, Zündhölzern, Spiritus u. a. in. durchsuchen lassen muß,
mag wohl mit gemischten Gefühlen nach der andern Landspitze hinüberblicken, wo
seine einstigen Leidensgenossen jetzt gänzlich steuerfrei leben. Die Spielbank zahlt
so hohen Pacht, daß der Fürst auf andre Einnahmen verzichten kann -- ac-o
Mo-uns, das heißt so lange die Nachbarstaaten das moderne Raubnest dulden.

Wenn wir von der Mentoneser Revolution ungefähr einen Eindruck em¬
pfangen haben, wie von dem Textbuch einer komischen Oper, so wird dieser
durch den Anblick von Stadt und Schloß Monaco nicht im mindesten ab¬
geschwächt. Die Burgen und Türme ringsumher an der Küste, welche oft
noch durch den Namen der Ortschaften charakterisirt werden, wie Castiglione,
Castellar, dann Roccabruna, die Burg von Mentone u. s. w., sind mehr oder
weniger verfallen; die großartigen Befestigungswerke von Monaco stehen noch
aufrecht, und der Schloßplatz ist höchst bedrohlich mit einigen Dutzenden Ka¬
nonen (Geschenken Ludwigs XIV.) und Pyramiden von Kugeln (die möglicher¬
weise ebenso alt sind wie die Feuerröhre) ausgestattet. Aber auf den Wällen
geht man spazieren, und die Kanonen werden als Bänke benutzt, dem Wanderer
und der Kinderfrau zur kurzen Ruh bereitet. Die Soldaten, lauter schöne
Leute, sind ausstaffirt wie die päpstliche Nobelgarde, gehen höchst würdevoll
spazieren, und wenn sie bei der Ablösung einen Chor von Offenbach anstimmten,
würde sich wohl niemand wundern. Das Schloß, in keinem Verhältnis zu
zu dem 3^ Kilometer langen und 1 Kilometer bis -- 150 Meter breiten Fürsten¬
turm, der Ehreuhof, zu groß für das Schloß, die prachtvolle doppelarmige
Freitreppe von weißem Marmor, zu groß für Hof und Schloß, die bunt über¬
malten Fresken, mit denen angeblich einst Caravaggio und Cartone die Längs¬
wände geschmückt haben; alles das würde sich aufs beste für eine Theater¬
dekoration eignen. Nicht minder der Baumwuchs, dem man sonst nur in
niedrigeren Breitegraden begegnet, nicht minder die Stadt, welche sich durch
langweilige Regelmäßigkeit und äußere Wohlanständigkeit von den andern, male¬
rischen Städten mit engen, dunkeln, südlich unreinlichen Gassen unterscheidet, nicht
minder endlich die mit allem Luxus "römisch-byzantinisch" rekonstruirte Nikolaus¬
kirche, in deren Gewölben das ruhmreiche Geschlecht der Grimaldi schlummert.
Es ist merkwürdig, daß weder an dieser, noch an der neuen Karlskirchc in Monte
Carlo der Wahlspruch mit passender Änderung angebracht worden ist: veo Mvanti.


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außer für ihr eignes Gemeinwesen, hatten kein Militär und keine Gesandten
zu unterhalten, verfrachteten ihre Zitronen und Oliven über den ganzen Erd¬
boden, und erfuhren zu ihrer angenehmen Überraschung, daß die Bucht von
Mentone sich eines Wintcrklimas erfreut, wie kaum eine zweite Stelle in Europa.

Dieser Vorzug ist der Gegend geblieben. Ihrer Unabhängigkeit aber mußte sie
sich 1860 „freiwillig" begeben, und seit 1870 ist sie mit Monopolen und Steuern
wieder reichlich gesegnet. Der Kutscher, der eine Fahrt über die italienische Grenze
gemacht hat und bei der Rückkehr nicht nur seinen Wagen, sondern sogar seine
Taschen nach Tabak, Zündhölzern, Spiritus u. a. in. durchsuchen lassen muß,
mag wohl mit gemischten Gefühlen nach der andern Landspitze hinüberblicken, wo
seine einstigen Leidensgenossen jetzt gänzlich steuerfrei leben. Die Spielbank zahlt
so hohen Pacht, daß der Fürst auf andre Einnahmen verzichten kann — ac-o
Mo-uns, das heißt so lange die Nachbarstaaten das moderne Raubnest dulden.

Wenn wir von der Mentoneser Revolution ungefähr einen Eindruck em¬
pfangen haben, wie von dem Textbuch einer komischen Oper, so wird dieser
durch den Anblick von Stadt und Schloß Monaco nicht im mindesten ab¬
geschwächt. Die Burgen und Türme ringsumher an der Küste, welche oft
noch durch den Namen der Ortschaften charakterisirt werden, wie Castiglione,
Castellar, dann Roccabruna, die Burg von Mentone u. s. w., sind mehr oder
weniger verfallen; die großartigen Befestigungswerke von Monaco stehen noch
aufrecht, und der Schloßplatz ist höchst bedrohlich mit einigen Dutzenden Ka¬
nonen (Geschenken Ludwigs XIV.) und Pyramiden von Kugeln (die möglicher¬
weise ebenso alt sind wie die Feuerröhre) ausgestattet. Aber auf den Wällen
geht man spazieren, und die Kanonen werden als Bänke benutzt, dem Wanderer
und der Kinderfrau zur kurzen Ruh bereitet. Die Soldaten, lauter schöne
Leute, sind ausstaffirt wie die päpstliche Nobelgarde, gehen höchst würdevoll
spazieren, und wenn sie bei der Ablösung einen Chor von Offenbach anstimmten,
würde sich wohl niemand wundern. Das Schloß, in keinem Verhältnis zu
zu dem 3^ Kilometer langen und 1 Kilometer bis — 150 Meter breiten Fürsten¬
turm, der Ehreuhof, zu groß für das Schloß, die prachtvolle doppelarmige
Freitreppe von weißem Marmor, zu groß für Hof und Schloß, die bunt über¬
malten Fresken, mit denen angeblich einst Caravaggio und Cartone die Längs¬
wände geschmückt haben; alles das würde sich aufs beste für eine Theater¬
dekoration eignen. Nicht minder der Baumwuchs, dem man sonst nur in
niedrigeren Breitegraden begegnet, nicht minder die Stadt, welche sich durch
langweilige Regelmäßigkeit und äußere Wohlanständigkeit von den andern, male¬
rischen Städten mit engen, dunkeln, südlich unreinlichen Gassen unterscheidet, nicht
minder endlich die mit allem Luxus „römisch-byzantinisch" rekonstruirte Nikolaus¬
kirche, in deren Gewölben das ruhmreiche Geschlecht der Grimaldi schlummert.
Es ist merkwürdig, daß weder an dieser, noch an der neuen Karlskirchc in Monte
Carlo der Wahlspruch mit passender Änderung angebracht worden ist: veo Mvanti.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/47>, abgerufen am 28.07.2024.