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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.

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England in Angst.

willigen zum Kampfe für die Hauptstadt? Die Antwort lautet: Keine andern
als die veralteten Snyder- und Martini-Henry-Büchsen, während die kontinen¬
talen Heere, aus deren Mitte der Feind kommen wird, sämtlich entweder schon
jetzt mit trefflichen Magazingewehren bewaffnet sind oder es in kurzer Zeit sein
werden, und zwar sicherlich eher, als unser Nepetirgewehr fertig sein wird,
wenn die gegenwärtig äußerst langsam und gemächlich betriebene Herstellung
desselben nicht sehr beschleunigt wird. Kann das in Enfield und andern Werk¬
stätten nicht geschehen, so müssen Birmingham und die Gesamtheit der Büchsen¬
macher der Provinz herangezogen und so müssen im Notfalle selbst amerika¬
nische Fabrikanten mit der Sache beauftragt werden. Denn Verzögerung ist
äußerst gefährlich, da ungenügende Bewaffnung, welche unsre Leute sicherm Tode
aussetzt, zum Angriff einladet. Dasselbe gilt von den Feld- und Positions¬
geschützen, über die unsre Artillerie verfügt. Sie sind gleichermaßen von ge¬
ringem Werte, gleichfalls veraltet, und dürfen wir gleichgiltig dasitzen, Finger¬
mühle spielen und warten, bis Elswick und Sheffield langsam und in zwei oder
drei Jahren das neue Muster zur Ablieferung bereit gestellt haben, mit welchem
andre Mächte längst ausgerüstet sind? Oder sollten wir nicht auch hier das
Ausland in Anspruch nehmen und zu Krupp oder einem andern großen Ka¬
nonenfabrikanten gehen, der uns das Beste, was er hat, liefern könnte?" Und
wie steht es, fragen die, welche in erster Linie oder allein von solchen Re¬
formen das Heil erwarten, mit den militärischen Transportmitteln? Ist für
Train, Wagen, Pferde und andre Bedürfnisse ausreichend Fürsorge getroffen?
Haben die Freiwilligen und Milizen alles oder auch nur das notwendigste, was
sie zum Felddienste bedürfen, z. B. Decken, Mäntel, Tornister, Kochkessel, Feld¬
flaschen, Brotbeutel, Zelte und Pferdegeschirre, in genügender Menge und Güte?
Ist ein Kommissariat vorhanden, das sie bei einem Feldzuge mit Lebensmitteln
versieht, oder sollen sie von Requisitionen leben? Diese Hilfstruppen der
stehenden Armee sollen, wie der Kriegsminister sagt, ein drittes Korps derselben
bilden, aber haben sie genug Ärzte unter sich, ist Verbandzeug, Arzenei, sind Spi¬
täler, Krankenwagen und ähnliche unerläßliche Dinge für sie vorhanden? Auf alle
diese Fragen ist mit Nein zu antworten, und so wird dieses dritte Armeekorps
nicht viel mehr als eine Menschenmasse in Uniform, nur Kanonenfutter sein.
"Wenn an unsern Küsten, so fährt man fort, eine französische Streitmacht landet,
so wird sie aus wohlgeübten regelmäßigen Truppen bestehen, die in jeder Hinsicht
gut organisirt, vorzüglich bewaffnet und mit allen Erfordernissen für einen Feldzug
reichlich ausgerüstet sind. Wir können ihnen außer zwei schwachen Armeekorps
wirklicher Soldaten nur eine halb bewaffnete und mittelmäßig eingeübte Armee
von Bürgersleuten entgegenstellen, die zwar zahlreich ist, deren große Menge aber
wegen ihrer geringen militärischen Ausbildung, ihrer dürftigen Ausstattung und
ihrer ungenügenden Gewöhnung an rasche Märsche und Strapazen eher ein
Hindernis als einen Vorteil darstellt. Wir müßten dem französischen Angriffs-


England in Angst.

willigen zum Kampfe für die Hauptstadt? Die Antwort lautet: Keine andern
als die veralteten Snyder- und Martini-Henry-Büchsen, während die kontinen¬
talen Heere, aus deren Mitte der Feind kommen wird, sämtlich entweder schon
jetzt mit trefflichen Magazingewehren bewaffnet sind oder es in kurzer Zeit sein
werden, und zwar sicherlich eher, als unser Nepetirgewehr fertig sein wird,
wenn die gegenwärtig äußerst langsam und gemächlich betriebene Herstellung
desselben nicht sehr beschleunigt wird. Kann das in Enfield und andern Werk¬
stätten nicht geschehen, so müssen Birmingham und die Gesamtheit der Büchsen¬
macher der Provinz herangezogen und so müssen im Notfalle selbst amerika¬
nische Fabrikanten mit der Sache beauftragt werden. Denn Verzögerung ist
äußerst gefährlich, da ungenügende Bewaffnung, welche unsre Leute sicherm Tode
aussetzt, zum Angriff einladet. Dasselbe gilt von den Feld- und Positions¬
geschützen, über die unsre Artillerie verfügt. Sie sind gleichermaßen von ge¬
ringem Werte, gleichfalls veraltet, und dürfen wir gleichgiltig dasitzen, Finger¬
mühle spielen und warten, bis Elswick und Sheffield langsam und in zwei oder
drei Jahren das neue Muster zur Ablieferung bereit gestellt haben, mit welchem
andre Mächte längst ausgerüstet sind? Oder sollten wir nicht auch hier das
Ausland in Anspruch nehmen und zu Krupp oder einem andern großen Ka¬
nonenfabrikanten gehen, der uns das Beste, was er hat, liefern könnte?" Und
wie steht es, fragen die, welche in erster Linie oder allein von solchen Re¬
formen das Heil erwarten, mit den militärischen Transportmitteln? Ist für
Train, Wagen, Pferde und andre Bedürfnisse ausreichend Fürsorge getroffen?
Haben die Freiwilligen und Milizen alles oder auch nur das notwendigste, was
sie zum Felddienste bedürfen, z. B. Decken, Mäntel, Tornister, Kochkessel, Feld¬
flaschen, Brotbeutel, Zelte und Pferdegeschirre, in genügender Menge und Güte?
Ist ein Kommissariat vorhanden, das sie bei einem Feldzuge mit Lebensmitteln
versieht, oder sollen sie von Requisitionen leben? Diese Hilfstruppen der
stehenden Armee sollen, wie der Kriegsminister sagt, ein drittes Korps derselben
bilden, aber haben sie genug Ärzte unter sich, ist Verbandzeug, Arzenei, sind Spi¬
täler, Krankenwagen und ähnliche unerläßliche Dinge für sie vorhanden? Auf alle
diese Fragen ist mit Nein zu antworten, und so wird dieses dritte Armeekorps
nicht viel mehr als eine Menschenmasse in Uniform, nur Kanonenfutter sein.
„Wenn an unsern Küsten, so fährt man fort, eine französische Streitmacht landet,
so wird sie aus wohlgeübten regelmäßigen Truppen bestehen, die in jeder Hinsicht
gut organisirt, vorzüglich bewaffnet und mit allen Erfordernissen für einen Feldzug
reichlich ausgerüstet sind. Wir können ihnen außer zwei schwachen Armeekorps
wirklicher Soldaten nur eine halb bewaffnete und mittelmäßig eingeübte Armee
von Bürgersleuten entgegenstellen, die zwar zahlreich ist, deren große Menge aber
wegen ihrer geringen militärischen Ausbildung, ihrer dürftigen Ausstattung und
ihrer ungenügenden Gewöhnung an rasche Märsche und Strapazen eher ein
Hindernis als einen Vorteil darstellt. Wir müßten dem französischen Angriffs-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/460>, abgerufen am 01.09.2024.