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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.

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Amerikanisches Eisenbahnwesen,

den Fenstern in Mannshöhe zierliche Drahtgitter angebracht, die aber nur
Hüte, Bücher, Handtäschchen, Schirme, Stöcke u. dergl. aufzunehmen geeignet
sind; größere Stücke muß man bei starker Besetzung auf dem Fußboden zwischen
den Füßen anzubringen suchen, da sie unter dem Sitze wegen der darunter be¬
findlichen Hcizungsröhren keinen Raum finden. Die Wagenfenster sind etwa so
groß wie die unsrigen, lassen sich aber nicht von oben nach unten, sondern nur
in umgekehrter Richtung und nicht beliebig weit aufschieben, weil der Schnepper,
welcher das hinaufgeschobene Fenster festhält, in der Mitte der Fensterhöhe an¬
gebracht ist; man hat daher nur die Wahl, das Fenster entweder zur untern
Hälfte oder gar nicht zu öffnen. Das erstere hat den Übelstand, daß der
Reisende den ganzen Zug und Staub unmittelbar über Augen und Oberkörper
bekommt, während bei unsrer Fenstervorrichtung der Luftzug über die Köpfe
der Reisenden hinweg, also in einer für die Gesundheit wie für die Lüftung
weit zweckmäßigeren Weise geregelt werden kann. Im übrigen dienen zur
Lüftung noch besondre Fensterchen, die an den Seiten des erhöhten Mütel-
daches der Wagen angebracht sind und sich nach der der Fahrrichtung entgegen¬
gesetzten Seite anstreben lassen. Von der Mitteldecke, die meist silberne Sterne
auf blauem Grunde zeigt, hängen die üblichen Petroleumlampen herab, in der
Regel zwei mit je zwei Flammen in jedem Wagen; sie verbreiten aber nur
geringe Helligkeit, sodaß man kaum dabei lesen kann. Die Dunkelstunden sucht
man daher möglichst mit Schlafen auszufüllen; dabei ist es ergötzlich, die ver¬
schiedenartigen verzweifelten Anstrengungen zu beobachten, womit jeder eine
möglichst bequeme Stellung herauszufinden versucht. Endlich fällt unser Blick
"och auf zwei Verschlüge an den beiden Enden des Wagens, gegenüber den
bereits erwähnten eisernen Öfen; an den Außenseiten dieser Verschlüge befindet
sich ein großer Blechkessel mit ioe nater (Trinkwasser) zum beliebigen Gebrauch,
und das Innere dient als Abort, auf dem einen Wagenende für Ladies, auf
dem andern für Gentlemen. In der rauheren Jahreszeit bildet die Uberheizung
der Wagen die Regel, sodaß die Unglücklichen auf den Endsitzen halb gebraten
und doch auch wieder bei jedem Öffnen der Thüren der eisig kalten Nachtluft
ausgesetzt werden; von einer Regelung der Wärme nach dem Belieben der
Insassen wie in unsern Wagen ist keine Rede. Außerdem ist die AbWartung
der Öfen auf gewissen Linien mangelhaft, sodaß oft Hitze und Kälte miteinander
abwechseln, je nachdem der Ofen "pustet" oder "schweigt"; mitunter kann man
in einer Nacht diese Wandlungsprozesse mehrmals durchmachen. Es ist daher
empfehlenswert, jede Empfindlichkeit gegen Tempemturwechscl entweder daheim
SU lassen oder sie sich wenigstens vorher abzugewöhnen, wozu sich auf der
Überfahrt stets Zeit und Gelegenheit findet. Im übrigen zeigt die Aus¬
stattung der Täfelung und Polsterung etwa dieselbe Eleganz wie unsre zweite
Wagenklasse. (Schluß folgt.)




Amerikanisches Eisenbahnwesen,

den Fenstern in Mannshöhe zierliche Drahtgitter angebracht, die aber nur
Hüte, Bücher, Handtäschchen, Schirme, Stöcke u. dergl. aufzunehmen geeignet
sind; größere Stücke muß man bei starker Besetzung auf dem Fußboden zwischen
den Füßen anzubringen suchen, da sie unter dem Sitze wegen der darunter be¬
findlichen Hcizungsröhren keinen Raum finden. Die Wagenfenster sind etwa so
groß wie die unsrigen, lassen sich aber nicht von oben nach unten, sondern nur
in umgekehrter Richtung und nicht beliebig weit aufschieben, weil der Schnepper,
welcher das hinaufgeschobene Fenster festhält, in der Mitte der Fensterhöhe an¬
gebracht ist; man hat daher nur die Wahl, das Fenster entweder zur untern
Hälfte oder gar nicht zu öffnen. Das erstere hat den Übelstand, daß der
Reisende den ganzen Zug und Staub unmittelbar über Augen und Oberkörper
bekommt, während bei unsrer Fenstervorrichtung der Luftzug über die Köpfe
der Reisenden hinweg, also in einer für die Gesundheit wie für die Lüftung
weit zweckmäßigeren Weise geregelt werden kann. Im übrigen dienen zur
Lüftung noch besondre Fensterchen, die an den Seiten des erhöhten Mütel-
daches der Wagen angebracht sind und sich nach der der Fahrrichtung entgegen¬
gesetzten Seite anstreben lassen. Von der Mitteldecke, die meist silberne Sterne
auf blauem Grunde zeigt, hängen die üblichen Petroleumlampen herab, in der
Regel zwei mit je zwei Flammen in jedem Wagen; sie verbreiten aber nur
geringe Helligkeit, sodaß man kaum dabei lesen kann. Die Dunkelstunden sucht
man daher möglichst mit Schlafen auszufüllen; dabei ist es ergötzlich, die ver¬
schiedenartigen verzweifelten Anstrengungen zu beobachten, womit jeder eine
möglichst bequeme Stellung herauszufinden versucht. Endlich fällt unser Blick
»och auf zwei Verschlüge an den beiden Enden des Wagens, gegenüber den
bereits erwähnten eisernen Öfen; an den Außenseiten dieser Verschlüge befindet
sich ein großer Blechkessel mit ioe nater (Trinkwasser) zum beliebigen Gebrauch,
und das Innere dient als Abort, auf dem einen Wagenende für Ladies, auf
dem andern für Gentlemen. In der rauheren Jahreszeit bildet die Uberheizung
der Wagen die Regel, sodaß die Unglücklichen auf den Endsitzen halb gebraten
und doch auch wieder bei jedem Öffnen der Thüren der eisig kalten Nachtluft
ausgesetzt werden; von einer Regelung der Wärme nach dem Belieben der
Insassen wie in unsern Wagen ist keine Rede. Außerdem ist die AbWartung
der Öfen auf gewissen Linien mangelhaft, sodaß oft Hitze und Kälte miteinander
abwechseln, je nachdem der Ofen „pustet" oder „schweigt"; mitunter kann man
in einer Nacht diese Wandlungsprozesse mehrmals durchmachen. Es ist daher
empfehlenswert, jede Empfindlichkeit gegen Tempemturwechscl entweder daheim
SU lassen oder sie sich wenigstens vorher abzugewöhnen, wozu sich auf der
Überfahrt stets Zeit und Gelegenheit findet. Im übrigen zeigt die Aus¬
stattung der Täfelung und Polsterung etwa dieselbe Eleganz wie unsre zweite
Wagenklasse. (Schluß folgt.)




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/445>, abgerufen am 27.07.2024.