Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Das Geschlecht Texior, Goeihos iniitterlicher Stcimmbamn,

seine Studien zu vollenden und als akademischer Lehrer der Rechte aufzutreten.
Goethe fand die Mutter jetzt ganz heiter in ihrer bequemen, geräumigen und
gut gelegenen Mietwohnung. Mit ihr besprach er auch ihre Vermögensver-
hältnisse; er riet ihr größere Vorsicht in der Anlage ihrer Gelder, da sie durch
höhere Zinsen sich hatte verleiten lassen, weniger auf die notwendige Sicherheit
zu achten. Ohne Zweifel kam auch auf die Zukunft von August und Christiane
die Rede, welche die Mutter, sterbe er früher, als die Seinigen in ihrem letzten
Willen bedenken solle. Er selbst hatte sein Testament, ehe er von Weimar ab¬
reiste, amtlich hinterlegt. Eine unendliche Freude machte er der Frau Rat durch
die Vorlesung des Gedichtes "Hermann und Dorothea," dessen Handschrift ihn
begleitete; hatte er doch sie selbst in Hermanns Mutter dargestellt, und der in
der Dichtung wehende Geist war der ihrige. Auf der Reise hielt er sich auch
einige Zeit in Tübingen auf, wo er die meisten Universitätsprofessoren kennen
lernte. Seinen Vetter dürfte er kaum empfohlen haben, obgleich derselbe
diese Hochschule zu seinem akademischen Auftreten bestimmt hatte. In das
Album ist Textor unter dem 3. November eingetragen.

Schon am 11. September starb in Frankfurt der Schöffe Schlosser, dessen
beide Söhne bald die Hochschule besuchen sollten. Die Familie Nicolovius
wurde in diesem und dem folgenden Jahre mit zwei Söhnen, Franz und
Heinrich, gesegnet. Der zweite sechsunddreißigjährige Sohn Starcks, der Wei¬
marische Hofrat, heiratete 1798 die Jungfer Anna Maria Petsch. Schon
gleich nach dem Tode des Schöffen Schlosser hatte man in Frankfurt den Ge¬
danken gefaßt, dessen Bruder, der in Eutin zurückgezogen lebte, in die Dienste
der Stadt zu ziehen, was aber uur auf besouders ehrenvolle Weise geschehen
konnte. Man berief ihn als Syndikus, nachdem man in Wien die Erlaubnis
erwirkt hatte, von der vorschriftsmäßigen Kugelung Abstand zu nehmen. Am
20. Oktober 1798 verließ er Eutin und kehrte mit der Gattin und den beiden
Kindern zweiter Ehe nach seiner Vaterstadt zurück. Unendliche Freude erfüllte
die Frau Rat, die noch gesteigert wurde durch die gemütliche briefliche Ver¬
bindung, in welche ihr Sohn mit Schlosser über dessen anzulegenden Garten
trat. Leider war die Freude nur von kurzer Dauer. Frankfurt erlebte schon
im folgenden Jahre an Goethes Geburtstage eine neue Brandschatzung von
den Franzosen. Als diese im folgenden Oktober sich wieder der Stadt näherten,
zog Schlosser, der auf die Nachricht davon aus seinem Garten eilte, sich eine
starke Erkältung zu; er fiel in ein hitziges Fieber, das ihn schon am 17. Oktober
hinraffte. Dieses traurige Ereignis brachte im nächsten Jahre Nicolovins zur
Ordnung der Familienverhältnisse nach Frankfurt. Die Freude der Frau Rat
über ihren Urenkel Eduard war so groß, daß sie im Theater, wohin sie ihn
mitnahm, nach allen Seiten hin sich desselben rühmte. Damals schrieb Nieo-
lvvius. ihr reicher Lebensquell sei ihm ein wahres Labsal; ihre Manier, ihr
sehr entschiedener Charakter in der Gesellschaft, ihre Sonderbarkeit, ihr auf-


Das Geschlecht Texior, Goeihos iniitterlicher Stcimmbamn,

seine Studien zu vollenden und als akademischer Lehrer der Rechte aufzutreten.
Goethe fand die Mutter jetzt ganz heiter in ihrer bequemen, geräumigen und
gut gelegenen Mietwohnung. Mit ihr besprach er auch ihre Vermögensver-
hältnisse; er riet ihr größere Vorsicht in der Anlage ihrer Gelder, da sie durch
höhere Zinsen sich hatte verleiten lassen, weniger auf die notwendige Sicherheit
zu achten. Ohne Zweifel kam auch auf die Zukunft von August und Christiane
die Rede, welche die Mutter, sterbe er früher, als die Seinigen in ihrem letzten
Willen bedenken solle. Er selbst hatte sein Testament, ehe er von Weimar ab¬
reiste, amtlich hinterlegt. Eine unendliche Freude machte er der Frau Rat durch
die Vorlesung des Gedichtes „Hermann und Dorothea," dessen Handschrift ihn
begleitete; hatte er doch sie selbst in Hermanns Mutter dargestellt, und der in
der Dichtung wehende Geist war der ihrige. Auf der Reise hielt er sich auch
einige Zeit in Tübingen auf, wo er die meisten Universitätsprofessoren kennen
lernte. Seinen Vetter dürfte er kaum empfohlen haben, obgleich derselbe
diese Hochschule zu seinem akademischen Auftreten bestimmt hatte. In das
Album ist Textor unter dem 3. November eingetragen.

Schon am 11. September starb in Frankfurt der Schöffe Schlosser, dessen
beide Söhne bald die Hochschule besuchen sollten. Die Familie Nicolovius
wurde in diesem und dem folgenden Jahre mit zwei Söhnen, Franz und
Heinrich, gesegnet. Der zweite sechsunddreißigjährige Sohn Starcks, der Wei¬
marische Hofrat, heiratete 1798 die Jungfer Anna Maria Petsch. Schon
gleich nach dem Tode des Schöffen Schlosser hatte man in Frankfurt den Ge¬
danken gefaßt, dessen Bruder, der in Eutin zurückgezogen lebte, in die Dienste
der Stadt zu ziehen, was aber uur auf besouders ehrenvolle Weise geschehen
konnte. Man berief ihn als Syndikus, nachdem man in Wien die Erlaubnis
erwirkt hatte, von der vorschriftsmäßigen Kugelung Abstand zu nehmen. Am
20. Oktober 1798 verließ er Eutin und kehrte mit der Gattin und den beiden
Kindern zweiter Ehe nach seiner Vaterstadt zurück. Unendliche Freude erfüllte
die Frau Rat, die noch gesteigert wurde durch die gemütliche briefliche Ver¬
bindung, in welche ihr Sohn mit Schlosser über dessen anzulegenden Garten
trat. Leider war die Freude nur von kurzer Dauer. Frankfurt erlebte schon
im folgenden Jahre an Goethes Geburtstage eine neue Brandschatzung von
den Franzosen. Als diese im folgenden Oktober sich wieder der Stadt näherten,
zog Schlosser, der auf die Nachricht davon aus seinem Garten eilte, sich eine
starke Erkältung zu; er fiel in ein hitziges Fieber, das ihn schon am 17. Oktober
hinraffte. Dieses traurige Ereignis brachte im nächsten Jahre Nicolovins zur
Ordnung der Familienverhältnisse nach Frankfurt. Die Freude der Frau Rat
über ihren Urenkel Eduard war so groß, daß sie im Theater, wohin sie ihn
mitnahm, nach allen Seiten hin sich desselben rühmte. Damals schrieb Nieo-
lvvius. ihr reicher Lebensquell sei ihm ein wahres Labsal; ihre Manier, ihr
sehr entschiedener Charakter in der Gesellschaft, ihre Sonderbarkeit, ihr auf-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0429" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/203206"/>
          <fw type="header" place="top"> Das Geschlecht Texior, Goeihos iniitterlicher Stcimmbamn,</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1373" prev="#ID_1372"> seine Studien zu vollenden und als akademischer Lehrer der Rechte aufzutreten.<lb/>
Goethe fand die Mutter jetzt ganz heiter in ihrer bequemen, geräumigen und<lb/>
gut gelegenen Mietwohnung. Mit ihr besprach er auch ihre Vermögensver-<lb/>
hältnisse; er riet ihr größere Vorsicht in der Anlage ihrer Gelder, da sie durch<lb/>
höhere Zinsen sich hatte verleiten lassen, weniger auf die notwendige Sicherheit<lb/>
zu achten. Ohne Zweifel kam auch auf die Zukunft von August und Christiane<lb/>
die Rede, welche die Mutter, sterbe er früher, als die Seinigen in ihrem letzten<lb/>
Willen bedenken solle. Er selbst hatte sein Testament, ehe er von Weimar ab¬<lb/>
reiste, amtlich hinterlegt. Eine unendliche Freude machte er der Frau Rat durch<lb/>
die Vorlesung des Gedichtes &#x201E;Hermann und Dorothea," dessen Handschrift ihn<lb/>
begleitete; hatte er doch sie selbst in Hermanns Mutter dargestellt, und der in<lb/>
der Dichtung wehende Geist war der ihrige. Auf der Reise hielt er sich auch<lb/>
einige Zeit in Tübingen auf, wo er die meisten Universitätsprofessoren kennen<lb/>
lernte. Seinen Vetter dürfte er kaum empfohlen haben, obgleich derselbe<lb/>
diese Hochschule zu seinem akademischen Auftreten bestimmt hatte. In das<lb/>
Album ist Textor unter dem 3. November eingetragen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1374" next="#ID_1375"> Schon am 11. September starb in Frankfurt der Schöffe Schlosser, dessen<lb/>
beide Söhne bald die Hochschule besuchen sollten. Die Familie Nicolovius<lb/>
wurde in diesem und dem folgenden Jahre mit zwei Söhnen, Franz und<lb/>
Heinrich, gesegnet. Der zweite sechsunddreißigjährige Sohn Starcks, der Wei¬<lb/>
marische Hofrat, heiratete 1798 die Jungfer Anna Maria Petsch. Schon<lb/>
gleich nach dem Tode des Schöffen Schlosser hatte man in Frankfurt den Ge¬<lb/>
danken gefaßt, dessen Bruder, der in Eutin zurückgezogen lebte, in die Dienste<lb/>
der Stadt zu ziehen, was aber uur auf besouders ehrenvolle Weise geschehen<lb/>
konnte. Man berief ihn als Syndikus, nachdem man in Wien die Erlaubnis<lb/>
erwirkt hatte, von der vorschriftsmäßigen Kugelung Abstand zu nehmen. Am<lb/>
20. Oktober 1798 verließ er Eutin und kehrte mit der Gattin und den beiden<lb/>
Kindern zweiter Ehe nach seiner Vaterstadt zurück. Unendliche Freude erfüllte<lb/>
die Frau Rat, die noch gesteigert wurde durch die gemütliche briefliche Ver¬<lb/>
bindung, in welche ihr Sohn mit Schlosser über dessen anzulegenden Garten<lb/>
trat. Leider war die Freude nur von kurzer Dauer. Frankfurt erlebte schon<lb/>
im folgenden Jahre an Goethes Geburtstage eine neue Brandschatzung von<lb/>
den Franzosen. Als diese im folgenden Oktober sich wieder der Stadt näherten,<lb/>
zog Schlosser, der auf die Nachricht davon aus seinem Garten eilte, sich eine<lb/>
starke Erkältung zu; er fiel in ein hitziges Fieber, das ihn schon am 17. Oktober<lb/>
hinraffte. Dieses traurige Ereignis brachte im nächsten Jahre Nicolovins zur<lb/>
Ordnung der Familienverhältnisse nach Frankfurt. Die Freude der Frau Rat<lb/>
über ihren Urenkel Eduard war so groß, daß sie im Theater, wohin sie ihn<lb/>
mitnahm, nach allen Seiten hin sich desselben rühmte. Damals schrieb Nieo-<lb/>
lvvius. ihr reicher Lebensquell sei ihm ein wahres Labsal; ihre Manier, ihr<lb/>
sehr entschiedener Charakter in der Gesellschaft, ihre Sonderbarkeit, ihr auf-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0429] Das Geschlecht Texior, Goeihos iniitterlicher Stcimmbamn, seine Studien zu vollenden und als akademischer Lehrer der Rechte aufzutreten. Goethe fand die Mutter jetzt ganz heiter in ihrer bequemen, geräumigen und gut gelegenen Mietwohnung. Mit ihr besprach er auch ihre Vermögensver- hältnisse; er riet ihr größere Vorsicht in der Anlage ihrer Gelder, da sie durch höhere Zinsen sich hatte verleiten lassen, weniger auf die notwendige Sicherheit zu achten. Ohne Zweifel kam auch auf die Zukunft von August und Christiane die Rede, welche die Mutter, sterbe er früher, als die Seinigen in ihrem letzten Willen bedenken solle. Er selbst hatte sein Testament, ehe er von Weimar ab¬ reiste, amtlich hinterlegt. Eine unendliche Freude machte er der Frau Rat durch die Vorlesung des Gedichtes „Hermann und Dorothea," dessen Handschrift ihn begleitete; hatte er doch sie selbst in Hermanns Mutter dargestellt, und der in der Dichtung wehende Geist war der ihrige. Auf der Reise hielt er sich auch einige Zeit in Tübingen auf, wo er die meisten Universitätsprofessoren kennen lernte. Seinen Vetter dürfte er kaum empfohlen haben, obgleich derselbe diese Hochschule zu seinem akademischen Auftreten bestimmt hatte. In das Album ist Textor unter dem 3. November eingetragen. Schon am 11. September starb in Frankfurt der Schöffe Schlosser, dessen beide Söhne bald die Hochschule besuchen sollten. Die Familie Nicolovius wurde in diesem und dem folgenden Jahre mit zwei Söhnen, Franz und Heinrich, gesegnet. Der zweite sechsunddreißigjährige Sohn Starcks, der Wei¬ marische Hofrat, heiratete 1798 die Jungfer Anna Maria Petsch. Schon gleich nach dem Tode des Schöffen Schlosser hatte man in Frankfurt den Ge¬ danken gefaßt, dessen Bruder, der in Eutin zurückgezogen lebte, in die Dienste der Stadt zu ziehen, was aber uur auf besouders ehrenvolle Weise geschehen konnte. Man berief ihn als Syndikus, nachdem man in Wien die Erlaubnis erwirkt hatte, von der vorschriftsmäßigen Kugelung Abstand zu nehmen. Am 20. Oktober 1798 verließ er Eutin und kehrte mit der Gattin und den beiden Kindern zweiter Ehe nach seiner Vaterstadt zurück. Unendliche Freude erfüllte die Frau Rat, die noch gesteigert wurde durch die gemütliche briefliche Ver¬ bindung, in welche ihr Sohn mit Schlosser über dessen anzulegenden Garten trat. Leider war die Freude nur von kurzer Dauer. Frankfurt erlebte schon im folgenden Jahre an Goethes Geburtstage eine neue Brandschatzung von den Franzosen. Als diese im folgenden Oktober sich wieder der Stadt näherten, zog Schlosser, der auf die Nachricht davon aus seinem Garten eilte, sich eine starke Erkältung zu; er fiel in ein hitziges Fieber, das ihn schon am 17. Oktober hinraffte. Dieses traurige Ereignis brachte im nächsten Jahre Nicolovins zur Ordnung der Familienverhältnisse nach Frankfurt. Die Freude der Frau Rat über ihren Urenkel Eduard war so groß, daß sie im Theater, wohin sie ihn mitnahm, nach allen Seiten hin sich desselben rühmte. Damals schrieb Nieo- lvvius. ihr reicher Lebensquell sei ihm ein wahres Labsal; ihre Manier, ihr sehr entschiedener Charakter in der Gesellschaft, ihre Sonderbarkeit, ihr auf-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/429
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/429>, abgerufen am 01.09.2024.