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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.

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Mutter, die Schwester der Frau Rat. Der vierte Sohn des Schöffen, der
Wohl eben das Gymnasium beendet hatte, trat in diesem Jahre mit der ersten
Frankfurter Lokalposse auf. In seinem Stücke "Der Prorektor" hatte er seinen
eignen Lehrer, der schon Goethe lateinische Stunden gegeben hatte, grausam abkon¬
terfeit. Es war Johann Jakob Gottlieb Scherbius, Lehrer der Sekunda und
Prorektor, der erst 1798 in Ruhestand trat. Im Jahre 1839 erschien eine
zweite Ausgabe mit eiuer Vignette und einigen Zugaben, nachdem andre
Frankfurter'Lokalpossen, besonders von Malß nud Gruss, auch auf der Bühne
ihr Glück gemacht hatten. Ob Goethe von dieser Bethätigung einer absonderlichen
Anlage seines Neffen unterrichtet war, wissen wir nicht. Zu der Zeit, wo dieser
die neue Frankfurter Posse gründete, erhielt in Jena der junge Mekher die
medizinische Doktorwürde nach Verteidigung seiner Abhandlung: vo kedrs
Mtricla sx xrinoirM LruouwÜZ ExMeata. Die Errcgungsthcorie von Brown,
die erst vor wenigen Jahren in Deutschland bekannt geworden, hatte auch ihn
lebhaft angesprochen. Daß er Goethe seine Abhandlung mitgeteilt hätte, der an
dem lebhaften Streben seines begabten jüngsten Vetters herzliche" Anteil hätte
nehmen müssen, wird durch nichts bezeugt. Mekher begnügte sich nicht mit
dem erworbenen Titel, der ihn zum Eintritt unter die Ärzte seiner Vaterstadt
befähigte, der Ruf des großen Klinikers Johann Peter Frank zog ihn nach
Pavia, und er folgte dem verehrten Lehrer im nächsten Jahre nach Wien, wohin
dieser als Leiter des allgemeine" Krankenhauses berufen worden war, doch sah
er sich vorher noch in Italien zur Bereicherung seiner ärztlichen Kenntnisse um.
In Wien gelang es ihm auch, als Praktikant Zutritt zu dem sonst den Aus¬
ländern verschlossenen großen Gebärhanse zu erhalten.

Am 1. Mai 1795 verkaufte Goethes Mutter, wie der Sohn ihr schon
lange geraten hatte, ihr Hans auf dem Hirschgraben; die Ankäufer waren Johann
Gerhard Blum und dessen Braut Susanna Maria Soltau. Ihre Kinder mußten
hierzu ihre Vollmacht geben. Vielleicht war es damals, daß Dr. starck den
Antrag stellte, sie, weil sie zuviel ausgebe, unter Kuratel zu stellen, was vor
allem Goethe entschieden abwies. An: 5. Juni vermählte sich Luise Schlosser
zu Ansbach mit dem fürstlich-bischöflich lübeckischeu Kammersekretär Nieolovius
M Eutin, zur höchsten Freude der Frau Rat, da diese "allein ihr von einer
teuern und ewig geliebten Tochter übrig geblieben." Goethe freute sich un¬
endlich, als seine Christiane ihn am 1. November mit einem zarten Knaben
beschenkte, obgleich er auf ein Mädchen gehofft hatte, das er, wie er launig gegen
Schiller äußerte, dem Sohne seines verbündeten Dichters zur Gattin heranbilden
wollte. Als auch dieses Kind ihm gleich darauf (am 17.) entrissen wurde,
war sein Schmerz noch ergreifender als bei den frühern Verlusten und Unfällen.

Jubelnde Freude ergriff die Frau Rat, als sie die Kunde von der glück¬
lichen Niederkunft ihrer Enkelin in Eutin erhielt. "Nun danket alle Gott mit
Herz, Mund und Händen, der große Dinge thut," schrieb sie am 5. April 1796.


Mutter, die Schwester der Frau Rat. Der vierte Sohn des Schöffen, der
Wohl eben das Gymnasium beendet hatte, trat in diesem Jahre mit der ersten
Frankfurter Lokalposse auf. In seinem Stücke „Der Prorektor" hatte er seinen
eignen Lehrer, der schon Goethe lateinische Stunden gegeben hatte, grausam abkon¬
terfeit. Es war Johann Jakob Gottlieb Scherbius, Lehrer der Sekunda und
Prorektor, der erst 1798 in Ruhestand trat. Im Jahre 1839 erschien eine
zweite Ausgabe mit eiuer Vignette und einigen Zugaben, nachdem andre
Frankfurter'Lokalpossen, besonders von Malß nud Gruss, auch auf der Bühne
ihr Glück gemacht hatten. Ob Goethe von dieser Bethätigung einer absonderlichen
Anlage seines Neffen unterrichtet war, wissen wir nicht. Zu der Zeit, wo dieser
die neue Frankfurter Posse gründete, erhielt in Jena der junge Mekher die
medizinische Doktorwürde nach Verteidigung seiner Abhandlung: vo kedrs
Mtricla sx xrinoirM LruouwÜZ ExMeata. Die Errcgungsthcorie von Brown,
die erst vor wenigen Jahren in Deutschland bekannt geworden, hatte auch ihn
lebhaft angesprochen. Daß er Goethe seine Abhandlung mitgeteilt hätte, der an
dem lebhaften Streben seines begabten jüngsten Vetters herzliche» Anteil hätte
nehmen müssen, wird durch nichts bezeugt. Mekher begnügte sich nicht mit
dem erworbenen Titel, der ihn zum Eintritt unter die Ärzte seiner Vaterstadt
befähigte, der Ruf des großen Klinikers Johann Peter Frank zog ihn nach
Pavia, und er folgte dem verehrten Lehrer im nächsten Jahre nach Wien, wohin
dieser als Leiter des allgemeine» Krankenhauses berufen worden war, doch sah
er sich vorher noch in Italien zur Bereicherung seiner ärztlichen Kenntnisse um.
In Wien gelang es ihm auch, als Praktikant Zutritt zu dem sonst den Aus¬
ländern verschlossenen großen Gebärhanse zu erhalten.

Am 1. Mai 1795 verkaufte Goethes Mutter, wie der Sohn ihr schon
lange geraten hatte, ihr Hans auf dem Hirschgraben; die Ankäufer waren Johann
Gerhard Blum und dessen Braut Susanna Maria Soltau. Ihre Kinder mußten
hierzu ihre Vollmacht geben. Vielleicht war es damals, daß Dr. starck den
Antrag stellte, sie, weil sie zuviel ausgebe, unter Kuratel zu stellen, was vor
allem Goethe entschieden abwies. An: 5. Juni vermählte sich Luise Schlosser
zu Ansbach mit dem fürstlich-bischöflich lübeckischeu Kammersekretär Nieolovius
M Eutin, zur höchsten Freude der Frau Rat, da diese „allein ihr von einer
teuern und ewig geliebten Tochter übrig geblieben." Goethe freute sich un¬
endlich, als seine Christiane ihn am 1. November mit einem zarten Knaben
beschenkte, obgleich er auf ein Mädchen gehofft hatte, das er, wie er launig gegen
Schiller äußerte, dem Sohne seines verbündeten Dichters zur Gattin heranbilden
wollte. Als auch dieses Kind ihm gleich darauf (am 17.) entrissen wurde,
war sein Schmerz noch ergreifender als bei den frühern Verlusten und Unfällen.

Jubelnde Freude ergriff die Frau Rat, als sie die Kunde von der glück¬
lichen Niederkunft ihrer Enkelin in Eutin erhielt. „Nun danket alle Gott mit
Herz, Mund und Händen, der große Dinge thut," schrieb sie am 5. April 1796.


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[0427] Mutter, die Schwester der Frau Rat. Der vierte Sohn des Schöffen, der Wohl eben das Gymnasium beendet hatte, trat in diesem Jahre mit der ersten Frankfurter Lokalposse auf. In seinem Stücke „Der Prorektor" hatte er seinen eignen Lehrer, der schon Goethe lateinische Stunden gegeben hatte, grausam abkon¬ terfeit. Es war Johann Jakob Gottlieb Scherbius, Lehrer der Sekunda und Prorektor, der erst 1798 in Ruhestand trat. Im Jahre 1839 erschien eine zweite Ausgabe mit eiuer Vignette und einigen Zugaben, nachdem andre Frankfurter'Lokalpossen, besonders von Malß nud Gruss, auch auf der Bühne ihr Glück gemacht hatten. Ob Goethe von dieser Bethätigung einer absonderlichen Anlage seines Neffen unterrichtet war, wissen wir nicht. Zu der Zeit, wo dieser die neue Frankfurter Posse gründete, erhielt in Jena der junge Mekher die medizinische Doktorwürde nach Verteidigung seiner Abhandlung: vo kedrs Mtricla sx xrinoirM LruouwÜZ ExMeata. Die Errcgungsthcorie von Brown, die erst vor wenigen Jahren in Deutschland bekannt geworden, hatte auch ihn lebhaft angesprochen. Daß er Goethe seine Abhandlung mitgeteilt hätte, der an dem lebhaften Streben seines begabten jüngsten Vetters herzliche» Anteil hätte nehmen müssen, wird durch nichts bezeugt. Mekher begnügte sich nicht mit dem erworbenen Titel, der ihn zum Eintritt unter die Ärzte seiner Vaterstadt befähigte, der Ruf des großen Klinikers Johann Peter Frank zog ihn nach Pavia, und er folgte dem verehrten Lehrer im nächsten Jahre nach Wien, wohin dieser als Leiter des allgemeine» Krankenhauses berufen worden war, doch sah er sich vorher noch in Italien zur Bereicherung seiner ärztlichen Kenntnisse um. In Wien gelang es ihm auch, als Praktikant Zutritt zu dem sonst den Aus¬ ländern verschlossenen großen Gebärhanse zu erhalten. Am 1. Mai 1795 verkaufte Goethes Mutter, wie der Sohn ihr schon lange geraten hatte, ihr Hans auf dem Hirschgraben; die Ankäufer waren Johann Gerhard Blum und dessen Braut Susanna Maria Soltau. Ihre Kinder mußten hierzu ihre Vollmacht geben. Vielleicht war es damals, daß Dr. starck den Antrag stellte, sie, weil sie zuviel ausgebe, unter Kuratel zu stellen, was vor allem Goethe entschieden abwies. An: 5. Juni vermählte sich Luise Schlosser zu Ansbach mit dem fürstlich-bischöflich lübeckischeu Kammersekretär Nieolovius M Eutin, zur höchsten Freude der Frau Rat, da diese „allein ihr von einer teuern und ewig geliebten Tochter übrig geblieben." Goethe freute sich un¬ endlich, als seine Christiane ihn am 1. November mit einem zarten Knaben beschenkte, obgleich er auf ein Mädchen gehofft hatte, das er, wie er launig gegen Schiller äußerte, dem Sohne seines verbündeten Dichters zur Gattin heranbilden wollte. Als auch dieses Kind ihm gleich darauf (am 17.) entrissen wurde, war sein Schmerz noch ergreifender als bei den frühern Verlusten und Unfällen. Jubelnde Freude ergriff die Frau Rat, als sie die Kunde von der glück¬ lichen Niederkunft ihrer Enkelin in Eutin erhielt. „Nun danket alle Gott mit Herz, Mund und Händen, der große Dinge thut," schrieb sie am 5. April 1796.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/427>, abgerufen am 01.09.2024.