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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.

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Die Unpopularität der Jurisprudenz.

und böhmische Flüchtlinge. Als das Ministerium Christin sein Amt antrat, ver¬
schwanden sie plötzlich in der Richtung von Altserbien und Mazedonien, und da
ist es mindestens ein sonderbarer Umstand, daß der Einbruch der Montenegriner
in die Thäler Altserbiens, hart an der mazedonischen Grenze, fast unmittelbar
nach der Entfernung jener verdächtigen Gäste der Serben erfolgte.

Alle diese Anzeichen einer im Gange befindlichen Vorbereitung zu einer neuen
kriegerischen Aktion Rußlands auf der Balkanhalbinsel sind, wie das nicht anders
sein kann, in Halbdunkel gehüllt und verschiedner Deutung fähig. Aber sie er¬
wecken umsomehr Bedenken, als in Petersburg wieder Anzeichen sichtbar wurden,
die anzudeuten scheinen, daß der aggressive Panslawismus in maßgebenden
Kreisen noch keineswegs allen Anhalt verloren habe. Die Beförderung Bogda-
nowitschs zu einem wichtigen Posten war eins derselben, und zwar ein recht
auffälliges, denn der genannte war einer der eifrigsten Befürworter eines Bünd¬
nisses zwischen Rußland und Frankreich und hatte vor einiger Zeit im Auf¬
trage einer Gesellschaft von Deutschenhassern reinsten Wassers dem französischen
"Nationalhelden" Boulanger mit schwungvoller Ansprache einen Ehrendegen
überreicht. Schwer reimt sich damit die gleichzeitig verbreitete Nachricht, der
Zar habe vor kurzem seine Abneigung gegen Boulanger in starken Ausdrücken
geäußert. Es wird daher geraten sein, sich nicht zu großer Vertrauensseligkeit
hinsichtlich der Friedensliebe Rußlands zu überlassen. Österreich-Ungarn we¬
nigstens hat nach dem Obengesagten gar keinen Grund dazu.




Die Unpopularität der Jurisprudenz.
Gin populärer juristischer vortrag,
von Rudolf Leonhard. (Schluß.)

as römische Recht war. gleich dem römischen Volke, schweren
Schicksalen anheimgefallen. Zu der Größe und Macht eines
Volkes gehört ein Doppeltes: Reichtum des Geisteslebens und
strenge sittliche Zucht. An dem erstern fehlte es dem alten
Rom auch in der spätern Zeit nicht, aber die letztere ging ver¬
loren, am meisten in derjenigen Zeit, als halbzivilisirte Ausländer plötzlich mit


Grenzboten II. 1833. 4S
Die Unpopularität der Jurisprudenz.

und böhmische Flüchtlinge. Als das Ministerium Christin sein Amt antrat, ver¬
schwanden sie plötzlich in der Richtung von Altserbien und Mazedonien, und da
ist es mindestens ein sonderbarer Umstand, daß der Einbruch der Montenegriner
in die Thäler Altserbiens, hart an der mazedonischen Grenze, fast unmittelbar
nach der Entfernung jener verdächtigen Gäste der Serben erfolgte.

Alle diese Anzeichen einer im Gange befindlichen Vorbereitung zu einer neuen
kriegerischen Aktion Rußlands auf der Balkanhalbinsel sind, wie das nicht anders
sein kann, in Halbdunkel gehüllt und verschiedner Deutung fähig. Aber sie er¬
wecken umsomehr Bedenken, als in Petersburg wieder Anzeichen sichtbar wurden,
die anzudeuten scheinen, daß der aggressive Panslawismus in maßgebenden
Kreisen noch keineswegs allen Anhalt verloren habe. Die Beförderung Bogda-
nowitschs zu einem wichtigen Posten war eins derselben, und zwar ein recht
auffälliges, denn der genannte war einer der eifrigsten Befürworter eines Bünd¬
nisses zwischen Rußland und Frankreich und hatte vor einiger Zeit im Auf¬
trage einer Gesellschaft von Deutschenhassern reinsten Wassers dem französischen
„Nationalhelden" Boulanger mit schwungvoller Ansprache einen Ehrendegen
überreicht. Schwer reimt sich damit die gleichzeitig verbreitete Nachricht, der
Zar habe vor kurzem seine Abneigung gegen Boulanger in starken Ausdrücken
geäußert. Es wird daher geraten sein, sich nicht zu großer Vertrauensseligkeit
hinsichtlich der Friedensliebe Rußlands zu überlassen. Österreich-Ungarn we¬
nigstens hat nach dem Obengesagten gar keinen Grund dazu.




Die Unpopularität der Jurisprudenz.
Gin populärer juristischer vortrag,
von Rudolf Leonhard. (Schluß.)

as römische Recht war. gleich dem römischen Volke, schweren
Schicksalen anheimgefallen. Zu der Größe und Macht eines
Volkes gehört ein Doppeltes: Reichtum des Geisteslebens und
strenge sittliche Zucht. An dem erstern fehlte es dem alten
Rom auch in der spätern Zeit nicht, aber die letztere ging ver¬
loren, am meisten in derjenigen Zeit, als halbzivilisirte Ausländer plötzlich mit


Grenzboten II. 1833. 4S
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[0361] Die Unpopularität der Jurisprudenz. und böhmische Flüchtlinge. Als das Ministerium Christin sein Amt antrat, ver¬ schwanden sie plötzlich in der Richtung von Altserbien und Mazedonien, und da ist es mindestens ein sonderbarer Umstand, daß der Einbruch der Montenegriner in die Thäler Altserbiens, hart an der mazedonischen Grenze, fast unmittelbar nach der Entfernung jener verdächtigen Gäste der Serben erfolgte. Alle diese Anzeichen einer im Gange befindlichen Vorbereitung zu einer neuen kriegerischen Aktion Rußlands auf der Balkanhalbinsel sind, wie das nicht anders sein kann, in Halbdunkel gehüllt und verschiedner Deutung fähig. Aber sie er¬ wecken umsomehr Bedenken, als in Petersburg wieder Anzeichen sichtbar wurden, die anzudeuten scheinen, daß der aggressive Panslawismus in maßgebenden Kreisen noch keineswegs allen Anhalt verloren habe. Die Beförderung Bogda- nowitschs zu einem wichtigen Posten war eins derselben, und zwar ein recht auffälliges, denn der genannte war einer der eifrigsten Befürworter eines Bünd¬ nisses zwischen Rußland und Frankreich und hatte vor einiger Zeit im Auf¬ trage einer Gesellschaft von Deutschenhassern reinsten Wassers dem französischen „Nationalhelden" Boulanger mit schwungvoller Ansprache einen Ehrendegen überreicht. Schwer reimt sich damit die gleichzeitig verbreitete Nachricht, der Zar habe vor kurzem seine Abneigung gegen Boulanger in starken Ausdrücken geäußert. Es wird daher geraten sein, sich nicht zu großer Vertrauensseligkeit hinsichtlich der Friedensliebe Rußlands zu überlassen. Österreich-Ungarn we¬ nigstens hat nach dem Obengesagten gar keinen Grund dazu. Die Unpopularität der Jurisprudenz. Gin populärer juristischer vortrag, von Rudolf Leonhard. (Schluß.) as römische Recht war. gleich dem römischen Volke, schweren Schicksalen anheimgefallen. Zu der Größe und Macht eines Volkes gehört ein Doppeltes: Reichtum des Geisteslebens und strenge sittliche Zucht. An dem erstern fehlte es dem alten Rom auch in der spätern Zeit nicht, aber die letztere ging ver¬ loren, am meisten in derjenigen Zeit, als halbzivilisirte Ausländer plötzlich mit Grenzboten II. 1833. 4S

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/361>, abgerufen am 01.09.2024.