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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.

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Ricks Lyhne.

Halloh, ihr Männer! rief Ricks von der Landzunge aus, bohrt das Schiff
in den Grund! schießt mit den Steuerbvrdkanonen durch die Achterluken! In
demselben Augenblick bückte er sich nach einem Stein: Gebt Feuer! und der Stein
entflog seiner Hand.

Erik und Frithjof waren auch nicht träge, und so war denn das Fahrzeug
bald zertrümmert, und Eriks Wrack ebenfalls.

Sorgfältig wurden die Trümmer ins Trockne gebracht, denn nun sollte
ein Scheiterhaufen angezündet werden.

Aus den Schiffstrümmern, aus trocknem Tang und welken Gras war
denn auch bald ein brennender, qualmender Haufen aufgeschichtet, und die kleinen
Kieselsteine und Muscheln, die sich im Tang befanden, knackten und sprangen
lustig in der starken Hitze.

Eine Zeit lang saßen die Knaben regungslos vor dem Scheiterhaufen, aber
plötzlich sprang der noch immer finstre Ricks auf und holte seine sämtlichen
Sachen aus dem Wrack, zerbrach sie in kleine Stücke und warf diese ins
Feuer. Dann holte Erik die seinen, und auch Frithjof holte etliches herbei.
Nun schlugen die Flammen des Opferfeuers hoch in die Luft. Erik aber fürchtete,
daß man den Schein möglicherweise vom Felde aus sehen könne, deswegen fing
er an, das Feuer mit feuchtem Tang zu dämpfen, während Ricks ruhig dastand
und schwermutsvoll dem am Strande dahintreibenden Rauch nachstarrte. Frithjof
hielt sich ein wenig entfernt von den andern und summte einen Heldengesang
vor sich hin, den er hin und wieder heimlich mit wilden Bardengriffen in die
Saiten einer unsichtbaren Harfe begleitete.

Allmählich erlosch das Feuer, und Erik und Frithjof gingen heimwärts,
während Ricks zurückblieb, um das Wrack zu schließen. Als das geschehen
war, sah er sich sorgfältig nach den andern um und warf dann den Schlüssel
mit dem Bande weit hinaus ins Meer. Erik, der sich gerade in dem Augen¬
blick umwandte, sah den Schlüssel fallen, aber hastig drehte er den Kopf um
und fing an, mit Frithjof um die Wette zu laufen.

Am nächsten Tage reiste er ab.

In der ersten Zeit wurde Erik schmerzlich vermißt, denn für die beiden
zurückbleibenden war alles gleichsam stehen geblieben. Das Leben hatte sich
nach und nach unter der Voraussetzung gestaltet, daß drei da waren, um es zu
leben. Drei, das war Gesellschaft, Abwechslung, Mannichfaltigkeit -- zwei, das
war Einsamkeit und nichts weiter. Was in aller Welt sollten sie nun anfangen?

Konnten etwa zwei nach der Scheibe schießen oder Ball spielen? Sie konnten
Robinson Crusoe und Freitag sein; ja das konnten sie, wer aber sollte die
Wilden vorstellen?

Und diese Sonntage! Ricks war so lebensüberdrüssig, daß er erst anfing zu
repetiren und dann mit Hilfe von Herrn Bigums großem Atlas seine geographischen
Kenntnisse weit über die vorgeschriebenen Grenzen bereicherte. Schließlich begann


Ricks Lyhne.

Halloh, ihr Männer! rief Ricks von der Landzunge aus, bohrt das Schiff
in den Grund! schießt mit den Steuerbvrdkanonen durch die Achterluken! In
demselben Augenblick bückte er sich nach einem Stein: Gebt Feuer! und der Stein
entflog seiner Hand.

Erik und Frithjof waren auch nicht träge, und so war denn das Fahrzeug
bald zertrümmert, und Eriks Wrack ebenfalls.

Sorgfältig wurden die Trümmer ins Trockne gebracht, denn nun sollte
ein Scheiterhaufen angezündet werden.

Aus den Schiffstrümmern, aus trocknem Tang und welken Gras war
denn auch bald ein brennender, qualmender Haufen aufgeschichtet, und die kleinen
Kieselsteine und Muscheln, die sich im Tang befanden, knackten und sprangen
lustig in der starken Hitze.

Eine Zeit lang saßen die Knaben regungslos vor dem Scheiterhaufen, aber
plötzlich sprang der noch immer finstre Ricks auf und holte seine sämtlichen
Sachen aus dem Wrack, zerbrach sie in kleine Stücke und warf diese ins
Feuer. Dann holte Erik die seinen, und auch Frithjof holte etliches herbei.
Nun schlugen die Flammen des Opferfeuers hoch in die Luft. Erik aber fürchtete,
daß man den Schein möglicherweise vom Felde aus sehen könne, deswegen fing
er an, das Feuer mit feuchtem Tang zu dämpfen, während Ricks ruhig dastand
und schwermutsvoll dem am Strande dahintreibenden Rauch nachstarrte. Frithjof
hielt sich ein wenig entfernt von den andern und summte einen Heldengesang
vor sich hin, den er hin und wieder heimlich mit wilden Bardengriffen in die
Saiten einer unsichtbaren Harfe begleitete.

Allmählich erlosch das Feuer, und Erik und Frithjof gingen heimwärts,
während Ricks zurückblieb, um das Wrack zu schließen. Als das geschehen
war, sah er sich sorgfältig nach den andern um und warf dann den Schlüssel
mit dem Bande weit hinaus ins Meer. Erik, der sich gerade in dem Augen¬
blick umwandte, sah den Schlüssel fallen, aber hastig drehte er den Kopf um
und fing an, mit Frithjof um die Wette zu laufen.

Am nächsten Tage reiste er ab.

In der ersten Zeit wurde Erik schmerzlich vermißt, denn für die beiden
zurückbleibenden war alles gleichsam stehen geblieben. Das Leben hatte sich
nach und nach unter der Voraussetzung gestaltet, daß drei da waren, um es zu
leben. Drei, das war Gesellschaft, Abwechslung, Mannichfaltigkeit — zwei, das
war Einsamkeit und nichts weiter. Was in aller Welt sollten sie nun anfangen?

Konnten etwa zwei nach der Scheibe schießen oder Ball spielen? Sie konnten
Robinson Crusoe und Freitag sein; ja das konnten sie, wer aber sollte die
Wilden vorstellen?

Und diese Sonntage! Ricks war so lebensüberdrüssig, daß er erst anfing zu
repetiren und dann mit Hilfe von Herrn Bigums großem Atlas seine geographischen
Kenntnisse weit über die vorgeschriebenen Grenzen bereicherte. Schließlich begann


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[0338] Ricks Lyhne. Halloh, ihr Männer! rief Ricks von der Landzunge aus, bohrt das Schiff in den Grund! schießt mit den Steuerbvrdkanonen durch die Achterluken! In demselben Augenblick bückte er sich nach einem Stein: Gebt Feuer! und der Stein entflog seiner Hand. Erik und Frithjof waren auch nicht träge, und so war denn das Fahrzeug bald zertrümmert, und Eriks Wrack ebenfalls. Sorgfältig wurden die Trümmer ins Trockne gebracht, denn nun sollte ein Scheiterhaufen angezündet werden. Aus den Schiffstrümmern, aus trocknem Tang und welken Gras war denn auch bald ein brennender, qualmender Haufen aufgeschichtet, und die kleinen Kieselsteine und Muscheln, die sich im Tang befanden, knackten und sprangen lustig in der starken Hitze. Eine Zeit lang saßen die Knaben regungslos vor dem Scheiterhaufen, aber plötzlich sprang der noch immer finstre Ricks auf und holte seine sämtlichen Sachen aus dem Wrack, zerbrach sie in kleine Stücke und warf diese ins Feuer. Dann holte Erik die seinen, und auch Frithjof holte etliches herbei. Nun schlugen die Flammen des Opferfeuers hoch in die Luft. Erik aber fürchtete, daß man den Schein möglicherweise vom Felde aus sehen könne, deswegen fing er an, das Feuer mit feuchtem Tang zu dämpfen, während Ricks ruhig dastand und schwermutsvoll dem am Strande dahintreibenden Rauch nachstarrte. Frithjof hielt sich ein wenig entfernt von den andern und summte einen Heldengesang vor sich hin, den er hin und wieder heimlich mit wilden Bardengriffen in die Saiten einer unsichtbaren Harfe begleitete. Allmählich erlosch das Feuer, und Erik und Frithjof gingen heimwärts, während Ricks zurückblieb, um das Wrack zu schließen. Als das geschehen war, sah er sich sorgfältig nach den andern um und warf dann den Schlüssel mit dem Bande weit hinaus ins Meer. Erik, der sich gerade in dem Augen¬ blick umwandte, sah den Schlüssel fallen, aber hastig drehte er den Kopf um und fing an, mit Frithjof um die Wette zu laufen. Am nächsten Tage reiste er ab. In der ersten Zeit wurde Erik schmerzlich vermißt, denn für die beiden zurückbleibenden war alles gleichsam stehen geblieben. Das Leben hatte sich nach und nach unter der Voraussetzung gestaltet, daß drei da waren, um es zu leben. Drei, das war Gesellschaft, Abwechslung, Mannichfaltigkeit — zwei, das war Einsamkeit und nichts weiter. Was in aller Welt sollten sie nun anfangen? Konnten etwa zwei nach der Scheibe schießen oder Ball spielen? Sie konnten Robinson Crusoe und Freitag sein; ja das konnten sie, wer aber sollte die Wilden vorstellen? Und diese Sonntage! Ricks war so lebensüberdrüssig, daß er erst anfing zu repetiren und dann mit Hilfe von Herrn Bigums großem Atlas seine geographischen Kenntnisse weit über die vorgeschriebenen Grenzen bereicherte. Schließlich begann

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/338>, abgerufen am 01.09.2024.